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News: Wann ist eine Flüssigkeit keine Flüssigkeit?

Ein Glas mag halb voll oder halb leer sein, alles eine Frage der Weltsicht. Was aber, wenn nun auch das Wasser im Glas nur noch halbflüssig oder halbfest ist? Das ist nun nicht mehr eine Frage von Optimismus oder Pessimismus, sondern Gegenstand aktueller physikalischer Forschung, bei der Wissenschaftler ungewöhnlichen Strukturen auf der Spur sind. Eingeschlossen in einer begrenzten Geometrie bilden Flüssigkeiten nämlich einen intermediären Aggregatzustand aus.
Experimente mit extrem scharf gebündelten Röntgenstrahlen hoher Intensität haben nun gezeigt, daß sich Flüssigkeiten in einer begrenzten Geometrie wie zum Beispiel Filtern, Poren oder zwischen zwei Platten anders verhalten als mitten im Flüssigkeitsvolumen. Auch ihre Eigenschaften verändern sich unter solchen Umständen. Das haben Forscher der Northwestern University unter Leitung von Pulak Dutta in den Physical Review Letters vom 15. März 1999 berichtet (Abstract).

Sie bestrahlten einen dünnen Film einer Flüssigkeit namens TEHOS (Tetrakis-(2-Ethylhexoxy)-Silan), die auf eine feste Siliconoberfläche aufgebracht wurde, mit Synchronotron-Strahlung der Advanced Light Source am Argonne National Laboratory und der National Synchrotron Light Source am Brookhaven National Laboratory. Der physikalische Zustand, den TEHOS auf dieser Oberfläche einnahm, wurde dabei durch das Interferenzmuster des reflektierten Lichts charakterisiert. "Da die Flüssigkeit während der Experimente nicht ihre chemische Zusammensetzung änderte, mußten es die Moleküle sein, die ihre Anordnung veränderten", sagt Dutta.

"Flache Wellen weisen auf eine Flüssigkeit hin, und scharfe Spitzen auf einen Festkörper", erläutert Chunjong Ho. In den Versuchen mit TEHOS bildeten sich jedoch schachbrettartige Interferenzmuster mit breiten Erhebungen aus. Bei Verwendung von Röntgenstrahlen weist ein solches Verhalten auf einen Festkörper im molekularen Bereich hin. Die fast sphärischen TEHOS-Moleküle bilden drei festkörperartige Schichten aus, von denen jede ein Molekül dick ist. Dabei entsteht ein intermediärer Zustand zwischen fest und flüssig – die Moleküle sind weder vollständig geordnet wie in einem Festkörper, noch komplett ungeordnet wie in einer Flüssigkeit.

Nachdem es bislang gescheitert war, festkörperartiges Verhalten bei freien Flüssigkeitsoberflächen nachzuweisen, könnten die Entdeckung des gemischten Agregatzustandes an der Grenzfläche zwischen der Flüssigkeit und einem Festkörper neue Wege bei der Entwicklung von Schmiermitteln und dünnen Beschichtungen eröffnen – vor allem im Hinblick auf ihr Versagen unter bestimmten Bedingungen.

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