News: Wann wurde die Erde grün?
Soweit die Darstellung in den meisten Lehrbüchern. Betrachtet man allerdings die Ergebnisse von Wissenschaftlern um Blair Hedges von der Pennsylvania State University, müssten diese Kapitel bald gründlich umgeschrieben werden. Die Forscher verglichen 119 Proteine von Pilzen, um daraus einen genauen Stammbaum der Gruppe aufzustellen. Nun sind Pilze keine Pflanzen, aber wahrscheinlich waren sie ganz entscheidend an dem pflanzlichen Sprung an Land beteiligt – indem sie eine Symbiose mit einem Photosynthese-betreibenden Organismus eingingen. Heutige Beispiele für solch enge Partnerschaften sind Flechten, bei denen meist Schlauchpilze (Ascomyceten) mit Cyanobakterien oder Grünalgen zusammenleben, sowie Mykorrhizae, bei denen Pilze und Pflanzenwurzeln Stoffe austauschen.
Aus den allmählichen Veränderungen in der Aminosäuresequenz der Proteine ermittelten die Forscher die Mutationsrate und erhielten so eine molekulare Uhr, mit der sie die Abspaltung der einzelnen Gruppen genau datieren konnten. Weiterhin berücksichtigten sie, wann sich die Abstammungslinien der Grünalgen-Gattung Chlamydomonas und der höheren Pflanzen trennten sowie ab wann die Gefäßpflanzen, bezogen auf die Moosgattung Physcomitrella, eigene Wege gingen. Um die Abweichungen in den Rechenergebnissen möglichst gering zu halten, glichen die Wissenschaftler die Werte mit gut untersuchten molekularen Uhren aus der Tierwelt ab.
Die Daten sind überraschend, denn demnach sollen die Landpflanzen ihre Heimat schon weit früher, nämlich vor 700 Millionen Jahren erobert haben – auf diesen Zeitpunkt datiert die molekulare Uhr den abzweigenden Ast der höheren Pflanzen. Die für ein symbiotisches Zusammenleben womöglich nötigen Pilze entstanden bereits 100 Millionen Jahre früher. Und Grünalgen existieren offenbar schon seit mindestens einer Milliarde Jahre.
Ein so frühes Auftreten an Land hätte sich bestimmt deutlich auf die Entwicklung der Erde ausgewirkt. Denn Pilze können starke Säuren abgeben, welche die Verwitterung von Gesteinen beschleunigen. Dabei jedoch werden große Mengen Kohlendioxid gebunden. Eine weitere Kohlenstoffsenke wäre das schlecht abbaubare Lignin der ersten Pflanzen. Beide Prozesse würden den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre verringern und so eine Abkühlung verursachen – eine alternative Erklärung für den "Schneeball Erde" vor 750 bis 580 Millionen Jahren, als beinahe unser gesamter Planet unter einer Eisdecke verschwand. Außerdem hätten die ersten pflanzlichen Landbewohner den Sauerstoffgehalt der Luft sicherlich deutlich ansteigen lassen, was die kambrische Explosion der biologischen Vielfalt gefördert hätte.
Aber noch ist nicht sicher, dass die Lehrbücher eingestampft werden müssen, denn so mancher Kollege äußert Zweifel. Charles Wellman von der University of Sheffield beispielsweise warnt davor, molekularen Uhren zu sehr zu vertrauen. Und auch die Vorgehensweise, die Datierungen über molekulare Uhren aus der Tierwelt abzusichern, erscheint ihm fraglich. "Das ist ein Kartenhaus", meint er. Denn Pilze mögen in den fossilen Überlieferungen fehlen, weil sie keine geeigneten Gewebe besaßen. "Aber das Auftreten von Sporen in den fossilen Nachweisen gibt uns einen Zeitpunkt für das Auftreten der Landpflanzen, dem ich sehr vertraue", erklärt er. Was natürlich nicht ausschließt, dass noch ältere Exemplare gefunden werden.
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