Paläoklima: Warmzeit ließ Grönlands Gletscher kalt
Um bis zu acht Meter stieg der Meeresspiegel während der letzten Warmzeit – des so genannten Eem – weltweit an. Der größte Teil dieses Zuwachses sollte auf den umfassenden Gletscherschwund Grönlands zurückgehen, dessen Eisschild vor 130 000 bis 115 000 Jahren beträchtlich schrumpfte – so dachte man zumindest bislang. Ein mehr als 2,5 Kilometer langer Eisbohrkern aus dem Norden der Insel deutet nun aber an, dass die Gletscher wohl trotz des starken Temperaturanstiegs bemerkenswert stabil gewesen sein könnten: Während des Höhepunkts des Eems war es hier durchschnittlich um bis zu acht Grad Celsius wärmer als heute. Auch wenn die Temperaturen im Mittel damals immer noch bei etwa minus 17 Grad Celsius lagen, so hatte sich doch die sommerliche Tauperiode beträchtlich ausgeweitet – ähnlich wie es heute bereits im Süden Grönlands der Fall ist und was sich auch für den Norden andeutet.
Für die Analyse des Bohrkerns mussten die beteiligten Forscher um Ilka Weikusat vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven die am Fuße des Eises durcheinandergebrachte Schichtung rekonstruieren: "Im Gegensatz zu dem darüberliegenden jüngeren Eiszeiteis, dessen einzelne Jahresschichten wie Tortenböden übereinanderliegen, hatten sich die einzelnen Lagen aus dem Eem und dem Übergang in die letzte Eiszeit wie eine zusammengeschobene Tischdecke mit aufliegender Serviette ineinandergefaltet", so Weikusat. Die Glaziologen vermaßen deshalb den Eispanzer vor Ort mit Radiowellen, bestimmten Isotopenverhältnisse und Methangehalte und verglichen dies anschließend mit sicher dieser Epoche zugeordneten Daten aus der Antarktis und anderer Regionen. Erst danach konnten sie sich den Temperatur- und Eisbedingungen der Region während des Eems widmen.
Und diese Ergebnisse überraschten die Wissenschaftler ziemlich: "Unsere Daten zeigen, dass es während der Eem-Warmzeit in Nordgrönland bis zu acht Grad Celsius wärmer war als heute", sagt Projektleiterin Dorthe Dahl-Jensen von der Universität Kopenhagen. Dadurch verloren die Gletscher beträchtlich an Masse und Volumen: Seit dem Höhepunkt der vorangegangenen Kaltzeit hatte der Eisschild etwa 400 Meter an Mächtigkeit verloren, am Ende der Wärmeperiode waren die Gletscher etwa 130 Meter niedriger als heute – trotz der rapiden Erwärmung innerhalb von nur 6000 Jahren. Gleichzeitig schrumpfte das Volumen um etwa ein Viertel, was den Meeresspiegel um zwei Meter steigen ließ. Doch dass der grönländische Eispanzer auf diesen Temperaturanstieg nicht noch empfindlicher reagiert habe – wie bisher gedacht –, sei die gute Nachricht der Studie, so Dahl-Jensen. Mindestens drei bis vier Meter Meeresspiegelanstieg sollte die Tauperiode im hohen Norden verursacht haben, war die bisherige Schätzung. Zugleich blieb er nach dieser Schrumpfkur bis zum Beginn der nächsten Kaltzeit weit gehend stabil, so die Analyse.
Umgekehrt bedeutet der grönländische Befund, dass die schmelzenden Gletscher der Antarktis deutlich mehr zum damaligen gesamten Meeresspiegelanstieg um acht Meter beigetragen haben müssen: Sie wären damit instabiler gewesen als bislang angenommen. Dass sich die Uferlinien damals so extrem zurückgezogen haben, ist jedenfalls sicher; das belegen unter anderem zahlreiche biogeologische Untersuchungen an Korallenriffen. Gegenwärtig trägt jedoch Grönland doppelt so stark zum Anschwellen der Ozeane bei wie der Südpol: Seit 1992 verlor die arktische Eisinsel rund 2,7 Milliarden Tonnen Eis, die Antarktis dagegen "nur" 1,35 Milliarden Tonnen. Insgesamt stieg der globale Ozeanpegel deswegen um 0,6 Millimeter pro Jahr; bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es nach Berechnungen des Weltklimarats IPCC bis zu 1,9 Meter werden.
Letztes Jahr hatten andere Geowissenschaftler prognostiziert, dass eine Temperaturerhöhung um acht Grad Celsius den grönländischen Eisschild innerhalb von nur 2000 Jahren praktisch völlig zerstören könnte. Doch beruhte diese Schätzung auf einer reinen Modellierung. Der Blick ins Eem deutet an, dass sich unter wärmeren Bedingungen auch ein neues Gleichgewicht einstellen könnte. Dafür sorgt womöglich ein Prozess, der damals bereits stattfand und auch derzeit wieder beobachtet wird: Schmelzwasser sickert in den Firn oder tiefer ins Eis und gefriert dort wieder. Entsprechende Schichten aus wieder gefrorenem Schmelzwasser haben die Forscher jedenfalls im Eiskern gefunden.
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