Klimaschutz: Das große Beton-Problem
Zement, Wasser, Sand und Kies bilden die Grundlage der Welt des 21. Jahrhunderts. Bekannt ist die Mischung unter dem Namen Beton. Aus dieser Mixtur entsteht nach ein paar Stunden Warten ein künstlicher Stein für Staudämme, Brücken, Hochhäuser und vieles mehr. Für das Klima aber ist der Wunderstoff ein großes Problem, weil beim Herstellen von einer Tonne Zement rund 700 Kilogramm des Treibhausgases Kohlendioxid in die Luft steigen.
Abgesehen von Wasser wird keine andere Substanz auf der Erde so häufig genutzt wie der Zement, der den Beton steinhart werden lässt. Und das summiert sich zu immensen Mengen Klimagas. Jedes Jahr werden weltweit zwölf Kubikkilometer Beton produziert, genug, um die Stadtfläche Berlins gleichmäßig mehr als 13 Meter hoch zu bedecken. Sechs Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen bläst die Zementindustrie in die Luft.
Das ist streng genommen gar nicht so viel: Andere Bereiche müssen bei der Energiewende noch größere Brocken stemmen. Allerdings ist es besonders schwer, der Zementindustrie das Freisetzen des Treibhausgases abzugewöhnen: »Nur ein Drittel der Kohlendioxidemissionen stammen aus dem Energiebereich, der große Rest aber kommt aus einer chemischen Reaktion, bei der Kalkstein das Treibhausgas freisetzt«, erklärt Frank Winnefeld, der sich in der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf bei Zürich mit nachhaltigem Zement beschäftigt.
Augenwischerei mit Plastikabfall
Das bedeutet, bewährte Klimaschutzlösungen funktionieren hier nicht. Beim Heizen ersetzt man den Öl- oder Gasbrenner einfach durch eine mit Ökostrom betriebene Wärmepumpe oder im Auto den Dieselmotor durch einen Elektroantrieb, um den größten Teil der Kohlendioxidemissionen zu vermeiden. Dagegen löst ein mit grünem Wasserstoff befeuerter Drehrohrofen beim Brennen von Zement bestenfalls ein Drittel des Problems.
»Nur ein Drittel der Kohlendioxidemissionen stammt aus dem Energiebereich. Der große Rest kommt aus einer chemischen Reaktion«Frank Winnefeld, Senior Researcher bei der Empa in Dübendorf
Bei diesem Teil des Problems immerhin hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bereits etwas getan. »Wurden früher Erdgas oder Erdölprodukte verbrannt, hat die Zementindustrie heute bereits 60 bis 70 Prozent dieser Brennstoffe durch Alternativen wie geschredderte Kunststoffe und Altreifen ersetzt«, erklärt Björn Siebert, der an der Technischen Hochschule Köln (TH Köln) über Beton forscht.
Nur hat die Industrie dabei zwar teures Erdöl oder Erdgas durch preiswerte Kunststoffabfälle ersetzt, die ohnehin entsorgt werden mussten. Der Kohlendioxidausstoß hat sich dadurch aber praktisch nicht verringert. Ersetzt man die bisherigen Energielieferanten durch eine Mikrowellenheizung, die mit grüner Energie aus Solar- oder Windenergieanlagen betrieben wird, oder durch grünen Wasserstoff, sieht die Situation schon besser aus.
Allerdings müssten dieses Verfahren und die entsprechenden Anlagen erst noch entwickelt werden. Das wiederum dürfte eher Jahrzehnte als Jahre dauern. Und es löst vor allem nicht das Problem der weitaus größeren Freisetzung von Kohlendioxid beim Brennen des Kalksteins.
Das Chemie-Problem des Betons
Aus der Sicht von Chemieingenieuren besteht Kalkstein vor allem aus einer Kalziumkarbonat genannten Verbindung, die sich aus einem Kalzium- und einem Karbonat-Ion zusammensetzt. Letzteres verliert beim Erhitzen ein Kohlendioxidmolekül. Übrig bleibt ein Sauerstoffion, das mit dem Metall Kalziumoxid bildet, genannt »Branntkalk«, die Grundkomponente von Zement.
Moderner Zement ist chemisch allerdings etwas komplexer. Man brennt den fein gemahlenen Kalkstein nicht allein, sondern zusammen mit fein gemahlenem Ton, Sand und Eisenerz. Sie steuern Silizium-, Aluminium- und Eisenoxide bei, die zusätzliche Reaktionen eingehen, wenn das Klimagas Kohlendioxid ausgetrieben wird. Bei 1450 Grad reagieren sie mit Kalziumoxid zu Stoffen wie Kalziumsilikaten und Kalziumaluminaten. Die »Klinkerminerale« enthalten neben Kalzium und Sauerstoff zusätzlich Silizium, Aluminium und Eisen.
»Diese bis zu faustgroßen ›Klinker‹ werden zusammen mit Gips zu einem feinen Pulver zermahlen, das trocken gelagert wird«, erklärt Empa-Forscher Frank Winnefeld. Für die Herstellung von Beton wird der Zement dann mit Wasser, Kies und Sand gemischt. Zunächst ist dieser Frischbeton noch zähflüssig und kann so gut verarbeitet werden.
Der Filz, der Beton stark macht
Allerdings hat bereits eine chemische Reaktion begonnen, bei der das Wasser mit den Molekülen im Zement reagiert, aus denen dabei Kalziumsilikathydrate, Kalziumaluminathydrate und andere Verbindungen entstehen. Zunächst lagern sich diese Moleküle zu winzigen Kristallen zusammen. Weil der beigefügte Gips diese Reaktionen verzögert, werden diese Teilchen erst nach ungefähr zwei bis vier Stunden größer.
»Aus diesen Kristallen ragen lange, stachelige Gebilde heraus. Ein wenig erinnern sie an winzig kleine Igel«, fasst Björn Siebert von der TH Köln die weitere Entwicklung zusammen. »Bald verhaken sich Stacheln ineinander und verfilzen zu einer steinharten Masse, die den Kies und andere Gesteinskörnung fest umschließen.« Durch dieses Verfilzen erhält der Beton erst seine Festigkeit.
Für den Klimaschutz erweist er sich deswegen als eine schwer zu knackende Nuss: Funktioniert das Ganze in den eineinhalb Jahrhunderten seit der Erfindung des Stahlbetons doch nur, wenn vorher das Kohlendioxid aus dem Kalk entweicht und sich aus dem entstandenen Kalziumoxid dann die Kalziumsilikathydrat-Nadeln bilden können.
Auf der Jagd nach dem Kalk-Ersatz
Senken lassen sich die Emissionen aus dem Kalkstein daher nur, wenn man den Kalkstein selbst ersetzt oder zumindest deutlich weniger davon einsetzt. Genau diesen Weg geht die Zementindustrie bereits seit etlichen Jahren, wobei sie damit natürlich auch das Ziel verfolgt, die Kosten zu senken. So verwenden die Hersteller schon seit einem Jahrhundert die bei der Roheisenherstellung in Hochöfen als Abfall anfallenden Hüttensande. Diese enthalten reichlich Kalzium-, Silizium- und Aluminiumoxid in einem glasartigen Zustand und reagieren daher ähnlich wie Zement.
»Bis zu 95 Prozent Zement lassen sich mit diesem Hüttensand ersetzen«, erklärt Frank Winnefeld. Damit vermeidet man nicht nur reichlich Kohlendioxidemissionen aus dem Kalkstein, sondern hat auch noch weitere Vorteile: »Bei diesem Prozess wird ohnehin weniger Wärme frei, die durch einen solchen langsamer aushärtenden Zumahlstoff auf einen größeren Zeitraum verteilt wird«, erklärt Björn Siebert. Dadurch entstehen weniger Spannungen, die gerade bei großen Bauteilen wie massigen Bodenplatten sonst leicht Probleme machen können. Andererseits verlängert diese verzögerte Aushärtung unter Umständen auch die Bauzeit und verursacht so höhere Kosten.
Eine andere Möglichkeit ist die Flugasche, also die Partikel, die moderne Kraftwerke beim Verbrennen von Steinkohle aus den Rauchgasen filtern. Diese Flugasche enthält vor allem glasartige Aluminiumsilikate, die mit dem beim Abbinden des Zements entstandenen Kalziumhydroxid wieder zu den stachligen Kristallen des künstlichen Steins reagieren.
Es gibt nicht genug Abfall
Auf lange Sicht jedoch sind diese beiden Abfallstoffe keine Lösung: In Zukunft sollen ja die Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden. Und schon heute reichen Flugaschen und Hüttensande bei Weitem nicht aus, um den gigantischen Bedarf der Zement- und Betonindustrie zu decken.
Diese Einschränkung gilt auch für eine Technik, bei der man stark alkalische Lösungen nutzt, um Zement bei niedrigen Temperaturen und damit geringem Energieverbrauch herzustellen. Dabei verbackt man Schlacken, Asche und ähnliche Materialien zum Beispiel mit Natriumsilikaten zu einem brauchbaren Zement. Nur reichen die Zuschlagstoffe lange nicht für den heutigen Betonverbrauch.
»Daneben wird für bestimmte Zemente als Zumahlstoff das Trass genannte Gestein verwendet, das zum Beispiel in der Vulkaneifel abgebaut wird«, erklärt Björn Siebert. Dieses Vulkangestein besteht vor allem aus Silizium- und Aluminiumverbindungen und kann daher ebenfalls dem Zement beigemischt werden. Allerdings auch nur dort, wo Trass vorkommt. Schließlich lohnt es sich angesichts des riesigen Betonverbrauchs weder mit Blick auf die Kosten noch auf die Ökobilanz kaum, die benötigten Rohstoffe weit zu transportieren. Kalk und Ton zur Herstellung von Zement gibt es dagegen fast überall in erreichbarer Entfernung.
Vom Smartphone zum Betonpfeiler
Die Empa-Forscher testen in der Schweiz daher einen ganz anderen Zusatzstoff: »Beim Recycling von Edelmetallen wie Gold, Silber, Platin, Indium und Gallium aus dem Schrott von Elektronik-, Elektro- und Haushaltsgeräten bleibt eine Schlacke übrig, die viel Eisen enthält«, erklärt Frank Winnefeld. Damit aber kann man ähnlich wie mit Flugasche und Hüttensand 20 bis 30 Prozent des herkömmlichen Zements ersetzen. Und da in Zukunft eher mehr als weniger ausgediente Smartphones, Computer und andere Geräte recycelt werden sollten, dürfte dieser Rohstoff nicht so schnell knapp werden. Obendrein fällt er vor allem dort an, wo Menschen leben und viel Beton benötigt wird.
»Bis zu 95 Prozent Zement lassen sich mit diesem Hüttensand ersetzen«Frank Winnefeld
Die Kohlendioxidemissionen bei der Zementherstellung lassen sich auch erheblich verringern, wenn man die Mineralienmischung verändert, aus der man Zement brennt. »Wir untersuchen dazu zurzeit mit Kalziumsulfoaluminat (CSA) einen viel versprechenden Kandidaten«, sagt Frank Winnefeld von der Schweizer Empa.
Für diesen »CSA-Zement« werden Kalkstein, das in Ländern wie Australien, China, Indien und anderen Regionen reichlich abgebaute Aluminium-Erz Bauxit und das ebenfalls relativ häufige Mineral Anhydrit zusammen gemahlen und gebrannt. Das aber funktioniert statt bei den üblichen 1450 bereits bei 1250 Grad Celsius, was Energie spart und weniger Kohlendioxid erzeugt. Obendrein ersetzen Bauxit und Anhydrit einen Teil des Kalksteins, und am Ende werden statt 700 nur noch 500 Kilogramm Kohlendioxid beim Herstellen von einer Tonne Zement frei.
Grüner Beton hat ein Kostenproblem
Besonders attraktiv aber ist ein von den Empa-Forschern untersuchter Zement, der sich aus Magnesiumsilikat herstellen lässt. Es kommt als Olivin-Mineral in Vulkangesteinen aus dem Erdmantel zum Beispiel in Skandinavien reichlich vor. Mit dem Kohlendioxid aus einem industriellen Prozess wie der Stahlherstellung reagiert dieses Material zu Magnesiumkarbonat und nimmt dabei erhebliche Mengen des Treibhausgases auf.
Beim anschließenden Brennen reagiert nur ein Teil des Magnesiumkarbonats und verwandelt sich in Magnesiumoxid, während das darin enthaltene Kohlendioxid wieder frei wird. Da aber ein erheblicher Teil des Magnesiumkarbonats gar nicht reagiert, bietet die gesamte Herstellung dieses MOMS-Zements (Magnesium Oxide derived froM Silicates) unter dem Strich die Möglichkeit, mehr Kohlendioxid zu speichern als freizusetzen.
Allerdings gibt es zwei Haken an dieser Rechnung: Da weite Transportwege angesichts des riesigen Betonverbrauchs nicht in Frage kommen, wird dieser Zement nur dort interessant, wo Olivin wie in Skandinavien auch abgebaut werden kann. Bis es so weit ist, wird es nicht nur beim MOMS-Zement, sondern auch bei anderen neuen Alternativen noch einige Zeit dauern.
Schließlich sind Empa-Forscher Frank Winnefeld und seine Kollegen gerade erst dabei, diese Substanzen zu erforschen. Welche Mischungen aus den beteiligten Substanzen braucht man, damit die Eigenschaften des Produkts mit herkömmlichem Portlandzement mithalten können? Wie lange trotzen diese Zemente dann den oft widrigen Einflüssen ihrer Umwelt?
Zwischenlösung: CO2-Nutzung
Bis diese Ergebnisse vorliegen und ein alternativer Zement zugelassen ist, werden aber gerade die ärmeren Weltregionen nicht warten wollen. Gerade dort boomt derzeit die Betonproduktion. Wer dem Zement schon heute seine klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen abgewöhnen will, kommt daher kaum um eine Maßnahme herum, die in Mitteleuropa ausgerechnet bei Umwelt- und Klimaschutzorganisationen nicht allzu hoch im Kurs steht: »Man kann das beim Zementbrennen entstehende Kohlendioxid bereits im Werk abfangen und anschließend zum Beispiel mit grünem Wasserstoff zu Kohlenwasserstoffen verarbeiten, die bisher aus Erdöl und Erdgas gewonnen werden«, erklärt Frank Winnefeld.
Noch besser wäre natürlich ein weiteres Verfahren, das Forscher des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) im Herbst 2019 vorgestellt haben – und das ebenfalls erst in weit mehr als einem Jahrzehnt in der Praxis eingesetzt werden könnte: Statt Kalk bei hohen Temperaturen zu brennen, schlagen sie vor, Wasser und Kalziumkarbonat mittels grünen elektrischen Stroms in Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlendioxid und Kalziumhydroxid zu zerlegen.
Letzteres kann im einfachsten Fall mit Sand zu Zement verarbeitet werden. Wasserstoff und Sauerstoff können in Brennstoffzellen Strom erzeugen. Und weil das entstehende Kohlendioxid sehr rein ist, kann es leicht für chemische Prozesse oder als Kohlensäure für Getränke verwendet werden. Fehlen solche Abnehmer, kann das Kohlendioxid auch in die Erde verpresst werden. Diese politisch sehr umstrittene Möglichkeit gibt es natürlich auch für das bei der herkömmlichen Zementproduktion entstehende Kohlendioxid. Die Chancen auf einen grünen Beton stehen langfristig also gar nicht so schlecht.
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