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Austrocknender Regenwald: Warum die Dürre im Amazonasgebiet alle Rekorde bricht

Der brasilianische Amazonas-Regenwald erlebt derzeit eine verheerende Dürre. Schuld ist ein Zusammenspiel aus Klimawandel, Abholzung und ungünstigen Wetterphänomenen, sagen Forscherinnen und Forscher. Und es wird erst einmal nicht besser.
Ausgetrockneter Rio Negro während der Dürre im Oktober 2023
Kaum mehr als ein Rinnsal: der Rio Negro in Brasilien Ende Oktober 2023.

Im Oktober 2023 war ein Teil des Rio Negro nur noch 12,7 Meter tief. Der Fluss, der in der Nähe der brasilianischen Stadt Manaus in den Amazonas mündet, erreichte damit seinen niedrigsten Pegelstand seit Beginn der Aufzeichnungen vor 120 Jahren. Im Lago Tefé, rund 500 Kilometer westlich, wurden derweil mehr als 150 tote Flussdelfine entdeckt. Ihnen wurde wahrscheinlich nicht der niedrige Wasserstand im See zum Verhängnis, sondern die hohen Wassertemperaturen von fast 40 Grad Celsius.

Es sind Symptome der beispiellosen Dürre, die den Amazonas-Regenwald in diesem Jahr heimsucht. Der Klimawandel ist daran beteiligt. Aber auch diverse andere Faktoren trugen dazu bei, dass Gemeinden am Fluss von der Versorgung mit Gütern und Lebensmitteln abgeschnitten und indigene Bewohner dazu gezwungen sind, schmutziges, kontaminiertes Wasser zu nutzen, was Magen-Darm-Infektionen und andere Krankheiten begünstigt.

Die Dürre sei das Ergebnis von drei Dingen, erklärt Luciana Gatti, die am brasilianischen Nationalen Institut für Weltraumforschung (Inpe) in São José dos Campos den Klimawandel erforscht. Das erste sei die Abholzung, »die die Widerstandsfähigkeit des Regenwaldes zerstört und ihn in einen trockeneren, heißeren Ort verwandelt«.

Große Teile des Regenwaldes sind zerstört

Die Entwaldung im brasilianischen Amazonasgebiet ist zwar zwischen Januar und Juli 2023 zurückgegangen – nach Angaben von Inpe um 42,5 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2022. Doch der Rückgang folgt auf etliche Jahre mit Rekordzerstörung. Der Hauptschuldige, berichteten Forscher im Gespräch mit »Nature«, sei die Agrarindustrie. Viehzüchter und Landwirte haben in den vergangenen vier Jahrzehnten Bäume gefällt, um Brasiliens Landwirtschaftsfläche um rund 50 Prozent zu vergrößern, vor allem im Amazonasgebiet. Das geht aus einem Bericht von MapBiomas hervor, einem Zusammenschluss von akademischen, wirtschaftlichen und nichtstaatlichen Organisationen, die die Landnutzung in Brasilien überwachen.

Etwa 20 Prozent des Amazonas-Regenwaldes sind abgeholzt, 40 Prozent degradiert. Das bedeutet, dass die Bäume zwar hier noch stehen, aber nicht mehr gesund sind und damit anfällig für Brände und Trockenheit, sagt Gatti. »Das ist alles vom Menschen verursacht worden.«

El Niño bringt Trockenheit im Norden und Überschwemmungen im Süden

Der zweite Faktor, der zur Dürre beiträgt, macht die Sache noch schlimmer: Im Jahr 2023 hat ein El-Niño-Ereignis eingesetzt. Das ist eine Phase eines Phänomens namens El Niño-Southern Oscillation (ENSO), die alle zwei bis sieben Jahre auftritt. Während El Niño schwächen sich die Winde, die normalerweise entlang des Äquators von Osten nach Westen wehen, ab oder kehren um und warmes Wasser drängt in den östlichen tropischen Pazifik. Die Niederschlagsmuster in Südamerika ändern sich, was zu trockener Luft im Norden, wo der Regenwald liegt, und zu feuchter Luft im Süden führt. Infolgedessen wird Uruguay derzeit von heftigen Regenfällen heimgesucht. Und in Paraguay, Argentinien und Südbrasilien ereigneten sich in den vergangenen Monaten Überschwemmungen, bei denen Dutzende von Menschen ums Leben kamen und Tausende ihr Zuhause verloren.

Im Norden und Nordosten Brasiliens haben währenddessen acht Bundesstaaten von Juli bis September 2023 die niedrigsten Niederschlagsmengen seit 40 Jahren verzeichnet, wie das brasilianische Nationale Zentrum für Frühwarnung und Überwachung von Naturkatastrophen (Cemaden) in São José dos Campos berichtet. In diesen Monaten erleben die meisten Teile des Amazonasgebiets den Höhepunkt ihrer »Feuersaison«.

Trockenperioden im Amazonasgebiet haben neben dem niedrigen Wasserstand auch weitere Folgen. Landwirte und andere, die den Regenwald abholzen, verbrennen keine Bäume, wenn es regnet oder die Luft feucht ist, erklärt die Ökosystemforscherin Erika Berenguer von der University of Oxford. Anders sehe das bei den durch El Niño herbeigeführten trockenen Bedingungen aus. Das habe die schwierigen Bedingungen noch verschärft und einige unkontrollierte Brände ausgelöst, wie Berenguer bei einem Besuch in der Stadt Belterra im nördlichen Bundesstaat Pará im September selbst miterleben musste.

»Wir schliefen und wachten umgeben von Rauch auf«, schildert die Forscherin. Ironischerweise war sie mit einem Team vor Ort, um zu untersuchen, wie anfällig der Regenwald für Brände ist. Die Situation wurde so schlimm, dass sie für zehn Tage evakuiert werden musste. »Ich hatte mehr mit Kurzatmigkeit zu kämpfen als zu der Zeit, als ich Covid hatte. Und ich gehöre zu denen, die einfach wieder gehen und Medikamente bekommen können. Was ist mit denen, die das nicht können? Das ist eine kollektive Vergiftung.«

»Die Dinge werden nicht besser werden«

Der dritte Faktor, der für die schwere Dürre im Amazonasgebiet verantwortlich ist, ist die ungewöhnliche Erwärmung des Wassers im nördlichen Atlantik. Der Klimawandel trage zu dieser Anomalie bei, sagt Maria Assunção Dias, Klimatologin an der Universität von São Paulo in Brasilien. Die Erwärmung dieser Gewässer habe die intertropische Konvergenzzone beeinflusst. Diese Region in der Nähe des Äquators »ist eines der wichtigsten meteorologischen Systeme in den Tropen und eine Region mit intensiver Wolken- und Regenbildung«, sagt Karina Lima, Geografin an der Universität von Rio Grande do Sul in Porto Alegre. Die Zone habe sich nach Norden verlagert und die Stürme mit sich genommen, weg vom Norden Brasiliens.

All das zusammen sorgt am Amazonas derzeit für Rekorde. Der Regenwald habe schon in der Vergangenheit Trockenperioden erlebt, aber schwere Dürren würden immer häufiger werden, erklärt Dias. Es gebe ein erkennbares Muster, fügt sie hinzu und verweist auf die extremen Dürreperioden in den Jahren 1912, 1925, 1983, 1987, 1998, 2010, 2016 und jetzt 2023.

»Der Kipppunkt des Waldes rückt näher – und zwar schnell«Karina Lima, Geografin

Ein großes Problem ist, dass El Niño gerade erst begonnen hat. »Die Dinge werden also nicht besser werden«, sagt Gatti. Es könnte sich sogar ein »Super-El-Niño« entwickeln, befürchtet Dias. Das könnte passieren, wenn die Temperatur an der Meeresoberfläche im tropischen Pazifik um 2,5 Grad Celsius oder mehr über dem Durchschnitt liegt – eine Möglichkeit, wenn man bedenkt, dass 2023 das wärmste jemals auf der Erde aufgezeichnete Jahr werden dürfte. Anfang November erklärte die World Meteorological Organization, dass El Niño mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit mindestens bis Ende April anhalten wird.

Obwohl es schwer vorherzusagen ist, wann die nächste Dürre den Amazonas heimsuchen wird, haben Studien gezeigt, dass der Klimawandel das Timing von El-Niño-Ereignissen durcheinanderbringt. »Die Tendenz geht dahin, dass wir stärkere und häufigere Episoden erleben«, sagt Lima. Dies könnte katastrophale Folgen für den Amazonas-Regenwald haben, der bereits durch die Abholzung und ein wärmeres, trockeneres Klima gebeutelt ist. »Der Kipppunkt des Waldes rückt näher – und zwar schnell.«

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