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Evolution: Warum Einsiedlerkrebse in Plastikmüll wohnen

Einsiedlerkrebse tragen immer öfter Plastikbecher statt Schneckenhäuser. Doch nicht alles ist, wie es scheint. Womöglich haben die Tiere gute Gründe, künstliche Stoffe vorzuziehen.
Ein Einsiedlerkrebs auf Sand mit einem roten Plastikbecher als Gehäuse.
Womöglich ist dieser Plastikbecher besonders attraktiv für Krebsweibchen. Doch hält er auch eine entschlossene Möwe ab?

Tropische Landeinsiedlerkrebse (Coenobitidae) benutzen immer öfter menschengemachten Abfall als Behausung. Und das wohl mit Absicht. Das legt eine Untersuchung nahe, in der ein Team um Zuzanna Jagiello online gepostete Bilder auswertete, um herauszufinden, wie häufig dieses Verhalten ist. Wie die Arbeitsgruppe jetzt in der Fachzeitschrift »Science of the Total Environment« berichtet, greifen die an allen tropischen Küsten verbreiteten Tiere regelmäßig auf menschengemachte Materialien, besonders Plastikmüll, zurück. In insgesamt 386 Fotos von Tieren mit künstlichen Schalen waren 10 der insgesamt 16 bekannten Arten von Landeinsiedlerkrebsen vertreten. Jagiello und ihr Team argumentieren, dass die Tiere womöglich gezielt menschengemachte Materialien bevorzugen. Einsiedlerkrebse seien sehr wählerisch bei ihren Behausungen und nutzten verschiedene Merkmale, um die besten auszuwählen. Langfristig beeinflusse das Verhalten womöglich sogar die Evolution der Krebse.

Einsiedlerkrebse brauchen eine fremde Schale, weil ihr Hinterleib weich und verwundbar ist. Normalerweise nutzen sie dazu Schneckenhäuser; ihr Hinterleib ist sogar asymmetrisch gebogen, um besser in die gewundenen Schalen zu passen. Doch die Krebse wählen nicht irgendeine Schale. Welches Gehäuse sie tragen, ist entscheidend für ihre Überlebenschancen und den Fortpflanzungserfolg. Deswegen sind sie sehr wählerisch, und frühere Studien haben gezeigt, dass eine Reihe von Faktoren ihre Entscheidung beeinflussen. Die von der polnischen Gruppe katalogisierten Einsiedlerkrebse zeigten eine klare Neigung zu Schalen aus Kunststoff, insbesondere schwarz-weiße Plastikdeckel. Sie machten rund 85 Prozent der Schalen aus, in großem Abstand gefolgt von Metall und Glas.

Die Arbeitsgruppe gesteht zu, dass die von ihr gesammelten Daten vermutlich verzerrt sind. Plastik sei womöglich einfacher zu erkennen als andere Abfälle und werde deswegen häufiger fotografiert. Zusätzlich sei natürlich von vielen Faktoren abhängig, welches Verhalten fotografiert und online publiziert werde. Onlinequellen auszuwerten sei jedoch ein etabliertes Verfahren und im Artenschutz sei auch schon demonstriert worden, dass solche Daten valide sind. Das Team listet eine Reihe von möglichen Gründen dafür auf, dass Einsiedlerkrebse menschengemachtes Material als Behausung auswählen. So ist Abfall einerseits schlicht in großen Mengen an allen Küsten verfügbar, während Schneckenhäuser seltener würden, besonders in stark von Menschen veränderten Regionen. Zum Teil haben die Krebse also buchstäblich wenig andere Wahlmöglichkeiten.

Andererseits gibt es aber auch mehrere Gründe, weshalb die Tiere gezielt Abfall auswählen könnten. Zum Beispiel könnten ungewöhnliche Schalen Männchen als Geschlechtspartner attraktiver machen, weil sie aus der Masse herausstechen. Ein weiterer Grund, der womöglich die Vorliebe für Plastik erklärt, ist das geringere Gewicht: Tiere mit leichteren Schalen müssen weniger Energie fürs Herumschleppen aufbringen. Eine dritte Möglichkeit ist, dass Tiere mit Schalen aus Plastik zwischen dem überall herumfliegenden Plastikmüll einfach besser getarnt sind als ihre Artgenossen in traditionellen Schneckenhäusern. Zumal Raubtiere womöglich nicht damit rechnen, dass Plastikmüll eine Krabbe verbergen kann.

Zuletzt vermutet das Team, dass die Plastikschalen schlicht gut riechen. Kunststoff gibt nach Kontakt mit Meerwasser Dimethylsulfid ab, weshalb bekanntermaßen viele Raubtiere Plastik mit Nahrung verwechseln. Womöglich spiele ein ähnlicher Effekt auch für die Krabben eine Rolle, heißt es in der Veröffentlichung. Welche Auswirkungen die künstlichen Häuser langfristig auf die Krabben haben, ist noch unklar. Allerdings ist unter natürlichen Bedingungen der Mangel an geeigneten Schalen ein begrenzender Faktor für die Population, so dass die Tiere erst einmal von der Abfallflut profitieren könnten. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass sexuelle Selektion die Neigung zu ungewöhnlichen Schalen verstärkt – und die Krabben für potenzielle negative Effekte der Schalen anfälliger macht. Denn nicht jede bunte Kappe ist auch ein stabiler Schutz für den empfindlichen Hinterleib.

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