Hochgebirge: Warum es Gletscher nachts krachen lassen
»Wir hörten diesen lauten Knall. Es fühlte sich an, als würde unser Gletscher bersten oder explodieren«, so beschreibt der Glaziologe Evgeny Podolskiy von der Hokkaido University in Sapporo das durchaus beängstigende Schauspiel, das er mit seinem Team 2017 auf dem Trakarding-Trambau-Gletschersystem durchstehen musste. Denn das Knacken und Knallen trat immer nachts auf, so dass die Wissenschaftler nicht sehen konnten, was auf dem Eis vor sich ging. Podolskiy vermutete, dass es etwas mit den Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht zu tun haben müsse, die hier in einer Höhe von etwa 5000 Metern auftraten: Während die Forscher tagsüber im T-Shirt arbeiten konnten, mussten sie sich nachts gegen Temperaturen von bis zu minus 15 Grad Celsius wappnen. Doch erst die Auswertung von Seismometer-, Klima- und Geländedaten brachten die Auflösung, welche Podolskiy und Co in den »Geophysical Research Letters« erläutern.
Verantwortlich waren tatsächlich die starken Temperaturschwankungen, doch wirkten sie sich nur auf einen Teil des Gletschers aus – wo das Eis blank und ohne dicke Schuttdecke vorlag. Das Gestein wirkt sonst wie ein Isolator und schützt die Eiszunge vor Extremwerten. Ohne diesen Schutz sorgte die nächtliche Kälte dafür, dass sich das Eis stark zusammenzog, wodurch explosionsartig Risse auftraten – welche die Forscher in ihren Zelten erzittern ließen. Nur die größten Spalten erzeugten einen Knall, wenn sie sich plötzlich öffneten; die Seismometer registrierten jedoch noch mehr Aktivität und zahlreiche kleinere Risse. Damit habe man erstmals außerhalb der Polargebiete und bei vergleichsweise hohen Temperaturen diese thermisch bedingten Brüche nachgewiesen, so die Glaziologen.
Gefährdet waren sie dadurch nicht, da sie – mit Blick auf den Mount Everest – auf der Gesteinsdecke des Gletschersystems campierten. Allerdings bedrohen Eisabbrüche im Hochgebirge immer wieder Bergsteiger oder Infrastruktur. Bislang gibt es aber keine Möglichkeit, sie zuverlässig vorherzusagen. Da sich der Himalaja durch den Klimawandel ebenfalls rasch erwärmt, drohen hier zukünftig womöglich häufiger Gletscherabbrüche und neue Spalten.
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