Gesundheit: Warum Geschichten zu erzählen guttut

Von seiner Frau betrogen, beschließt König Schahriyar, jede Nacht eine andere Frau zu heiraten und sie am Morgen hinrichten zu lassen, um sicherzustellen, dass er nie wieder betrogen wird. Scheherazade meldet sich freiwillig, um den König zu heiraten, und überlistet ihn. Jeden Abend beginnt sie eine fesselnde Geschichte, hört aber im Morgengrauen wieder auf und macht ihn neugierig auf mehr. Nacht für Nacht fesselt sie ihn mit neuen Geschichten, und in 1001 Nächten verliebt er sich in sie und gibt seinen grausamen Plan auf.
Dies ist die Rahmenhandlung von »Tausendundeine Nacht«, einer Sammlung von Volksmärchen aus dem Nahen Osten – darunter die Geschichten von Aladdin, Ali Baba und Sindbad –, die die Macht des Erzählens hervorheben. Aber kann die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, tatsächlich das Leben eines Erzählenden in der realen Welt retten?
Die jüngsten Forschungsergebnisse von meinem Team und mir gehen zwar noch nicht so weit, aber sie zeigen, dass gute Erzählfähigkeiten das Wohlbefinden von Menschen dramatisch verbessern können. Das deutet darauf hin, dass geschickten Geschichtenerzählern tatsächlich ein längeres Leben beschert sein könnte. Wie genau? Um das herauszufinden, müssen Sie bis zum Ende dieser Geschichte warten. Nicht zum Ende spicken!
Unsere Reise beginnt mit umfangreichen Forschungsarbeiten zur narrativen Identität. Diese haben ergeben, dass Menschen einen Sinn in ihrer eigenen Identität sehen, indem sie ihre Lebenserfahrungen zu einer Geschichte formen – einer Geschichte, die ihrem Leben einen Sinn gibt. Die Idee ist, dass wir durch die Verknüpfung unserer Erfahrungen eine leitende Kraft erkennen, die unseren Weg geprägt hat (zum Beispiel die Überzeugung, dass »ich gerne Menschen helfe«), und dass wir dadurch unseren Sinn und unsere Bedeutung im Leben entdecken.
Mein Team und ich haben den Schwerpunkt unserer Forschung verlagert und nicht nur (Lebens-) Geschichten, sondern vor allem das Geschichtenerzählen untersucht. Wir vermuten, dass geschickte Geschichtenerzähler im Vergleich zu anderen einen stärkeren Sinn für Bedeutsamkeit in ihrem Leben haben und ihre Erfahrungen mit einer »Warum-Mentalität« angehen. Sie konzentrieren sich also auf die Gründe, warum sie tun, was sie tun, und nicht nur darauf, wie sie es tun.
Unsere Hypothese über geschickte Geschichtenerzähler liegt in der Natur von Geschichten begründet. In ihnen strebt in der Regel ein Held danach, ein Ziel zu erreichen: zum Beispiel einen Job zu bekommen oder das Herz einer anderen Person zu gewinnen. Auf seinem Weg muss er verschiedene Hindernisse und Herausforderungen überwinden. Menschen, die beim Geschichtenerzählen brillieren, müssen daher zwei Schlüsselkompetenzen besitzen. Erstens müssen sie die Ereignisse im Verlauf einer Geschichte sinnvoll miteinander verbinden, um eine kohärente Erzählung zu schaffen. Zweitens müssen sie lernen, die Welt mit den Augen ihrer Figuren zu sehen und das »Warum« zu verstehen, das die Menschen antreibt. Wenn sie diese beiden Fähigkeiten dann auf ihr eigenes Leben anwenden, nutzen geschickte Geschichtenerzähler die erste Fähigkeit, um herauszufinden und zu verfolgen, was ihrem Leben einen Sinn gibt, während die zweite eine Denkweise fördert, die das »Warum« hinter ihren Handlungen dem »Wie« voranstellt.
Um diesen Punkt zu veranschaulichen, stellen wir uns zwei Menschen vor: Rachel und Monica. Beide hatten den gleichen beruflichen Werdegang und haben dabei in sehr unterschiedlichen Branchen gearbeitet, darunter Sport, Medizin und das Bankwesen. Während ihrer gesamten Laufbahn handelten sie oft aus einem Impuls heraus. Während Rachel eine geschickte Geschichtenerzählerin ist, kann Monica das nicht von sich behaupten, und dieser Unterschied wird deutlich, wenn sie über ihre Karriere nachdenken. Monica fühlt sich eher verloren und ist sich über ihren Sinn und Zweck im Leben nicht im Klaren. Sie hat nicht das »Warum« im Kopf, sondern hat sich schon immer auf das »Wie« und nicht auf das große Ganze konzentriert, wenn sie Dinge in Angriff nahm. Rachel hingegen würde eher dazu neigen, tiefer über ihr Leben nachzudenken und Zusammenhänge zu erkennen, wie beispielsweise die Tatsache, dass sie in jedem Job ihre Führungspositionen genutzt hat, um die Präsenz von Frauen in entscheidungsträchtigen Posten zu stärken. Diese Beobachtung gibt ihr ein Gefühl von Zielstrebigkeit und ein tieferes Verständnis dafür, was sie antreibt – das heißt, sie erkennt ihr »Warum«. Aber das ist nur eine hypothetische Geschichte. Würde sie sich im wirklichen Leben bewähren?
Um zu untersuchen, inwieweit die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, für Geschichtenerzählende von Nutzen ist, haben wir fünf Studien mit rund 800 Teilnehmenden durchgeführt. Wie gut sie Geschichten erzählen konnten, maßen wir in mehreren Stufen. Erstens entwickelten wir eine Art Fragebogen, in die Teilnehmenden angeben sollten, inwieweit sie Aussagen wie »Meine Geschichten begeistern normalerweise meine Zuhörer« zustimmen. Zweitens befragten wir enge Freunde der Teilnehmenden, wie sie deren Fähigkeiten als Geschichtenerzählende bewerten würden. Drittens luden wir Trios von Fremden in unser Labor ein und baten sie, einander Geschichten zu erzählen. In unserem Laborexperiment erzählten alle Teilnehmenden zwei unterschiedliche Geschichten: eine über einen eigenen Charakterzug und eine weitere, die drei von uns vorgegebene Zufallswörter enthielt.
Dieser Ansatz unterscheidet sich deutlich von früheren Studien über Lebensgeschichten – hier konzentrieren wir uns auf die Fähigkeit, aus minimalem Material eine fesselnde Erzählung zu erschaffen. Im Rahmen des Experiments bewerteten alle Teilnehmenden die Erzählfähigkeiten der anderen Teilnehmenden im Trio und anschließend sahen sich Experten im Gebiet des Geschichtenerzählens – Personen, die gerade einen Kurs zu diesem Thema absolviert hatten – die Videoaufzeichnungen der Sitzungen an und gaben unabhängige Bewertungen ab. Auf diese Weise hatten wir vier Maßstäbe für die Fähigkeit des Geschichtenerzählens: (1) Selbsteinschätzungen der Teilnehmenden zu ihren eigenen Fähigkeiten, (2) Einschätzungen von engen Freunden, (3) Bewertungen von anderen Mitgliedern des Trios in unserem Laborexperiment und (4) Expertenmeinungen. Zusätzlich zu diesen Einschätzungen haben wir den Teilnehmenden Fragen gestellt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sinnvoll sie das Leben finden und ob sie Entscheidungen eher mit einer Warum-Denkweise als mit einer Wie-Denkweise angehen.
Bei allen Studien und Messungen haben wir durchweg festgestellt, dass die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, sowohl mit einem Verständnis für den eigenen Sinn im Leben als auch mit einer auf das »Warum« ausgerichteten Denkweise zusammenhängt. Als wir prüften, ob Persönlichkeitsmerkmale unsere Ergebnisse beeinflussen könnten, stellten wir fest, dass dies nicht der Fall war. Allerdings hat die Persönlichkeit unsere Ergebnisse auf interessante Weise nuanciert. Menschen, die von Natur aus offen für neue Erfahrungen sind, sind zum Beispiel bessere Geschichtenerzähler. Das ergibt Sinn: Solchen Menschen finden sich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in einzigartigen und interessanten Ereignisse wieder, die sich für großartige Geschichten eignen. Und das gibt diesen Menschen mehr Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten zum Geschichtenerzählen zu verfeinern, wenn sie ihre Erfahrungen mit anderen teilen.
Wir haben auch festgestellt, dass die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, für Introvertierte stärker damit zusammenhing, ob sie in ihrem Leben einen Sinn gefunden hatten. Extrovertierte Menschen haben im Allgemeinen einen stärkeren Sinn für Bedeutsamkeit in ihrem Leben, aber das Geschichtenerzählen kann introvertierten Menschen helfen, diesen Unterschied auszugleichen. Sowohl das Geschichtenerzählen als auch die Extrovertiertheit hängen mit Ausdrucksfähigkeit zusammen. Während es Extrovertierten darum geht, sich in einer sozialen Umgebung auszudrücken, beruht das Geschichtenerzählen auf der Fähigkeit, dies durch Geschichten zu tun. Es reicht schon eine dieser beiden Tendenzen aus, um ein Gefühl für Sinn und Zweck zu erwecken.
Aus unserer Arbeit haben wir mehrere Lehren gezogen. Erstens: Da Menschen mit einer Warum-Mentalität per Definition einen hervorragenden Blick für das große Ganze haben, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Fähigkeit, gute Geschichten zu erzählen, und die Fähigkeit, das große Ganze zu sehen, eng miteinander verbunden sind. Obwohl die Fähigkeit, das große Ganze zu sehen, an sich schon nützlich ist, könnte sie außerdem ein entscheidender Vorteil sein, den Menschen gegenüber künstlicher Intelligenz haben, die nur Mikroaufgaben ausführt. Angesichts einer unsicheren Zukunft sollten wir unsere einzigartige Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, schätzen und kultivieren.
Unsere Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass Erzählworkshops – die in den letzten Jahren immer beliebter geworden sind – das Leben der Menschen auf eine Weise beeinflussen, die über die Verbesserung der Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeit hinausgeht. Sie können die treibende Kraft in unserer Existenz hervorheben und auf unseren Pfad im Leben hinweisen.
Seinen Lebenssinn zu kennen, hat vielfältige Vorteile – einige davon sind unerwartet. Frühere Forschungen haben ergeben, dass eine starke Gewissheit über den eigenen Lebenssinn mit vielen gesundheitlichen Vorteilen einhergeht, einschließlich einer verlängerten Lebensspanne. Zusammen mit unseren Ergebnissen deutet das darauf hin, dass das Erzählen von Geschichten auch zu einer besseren Gesundheit und einer geringeren Sterblichkeit beitragen kann. Außerdem hilft das Erzählen von Geschichten dabei, Kontakte zu knüpfen, was das soziale Leben bereichern kann. Da starke soziale Beziehungen bekanntermaßen die Gesundheit fördern und sogar die Langlebigkeit beeinflussen, könnte das Geschichtenerzählen indirekt die körperliche Gesundheit unterstützen, indem es tiefere und breitere soziale Bindungen fördert.
Vielleicht war die Moral von Tausendundeiner Nacht also von Anfang an richtig: Geschichtenerzählen kann Leben retten.

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