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News: Warum Hirnverletzte infektionsgefährdet sind

Personen, die eine Verletzung des Gehirns erleiden, ob durch Unfall oder durch chirurgischen Eingriff (etwa zur Entfernung von Tumoren), haben innerhalb der folgenden Tage ein hohes Risiko für Infektionen. Dabei betrifft die Anfälligkeit für Keime den gesamten Körper und reicht bis zur schwersten Form der Infektionskrankheit, der Sepsis. So erkrankt etwa die Hälfte von Unfallopfern mit nicht-offenen Kopfverletzungen innerhalb der ersten Woche nach dem Trauma an einer Lungenentzündung. Bislang konnte man den Zusammenhang zwischen Hirnschädigung und Infektanfälligkeit nicht verstehen. Jetzt aber haben Berliner Forscher die Ursache der Infektionsanfälligkeit erkannt: Sie beruht auf einer Schwächung des Immunsystems durch massive Ausschüttung von Interleukin-10.

Die Wissenschaftler um Christian Woiciechowsky von der medizinischen Fakultät Charité der Humboldt-Universität zu Berlin, konnten dies durch eine Reihe schlüssiger Untersuchungen an Zellkulturen, mit Ratten und am Menschen klären. Danach ist eine Voraussetzung für die Immunschwäche, daß bei der Gehirnverletzung bzw. -operation das Stammhirn in Mitleidenschaft gezogen ist. Die im Stammhirn verlaufenden Fasern des sympathischen Nervensytems werden dadurch gereizt und erregen ihrerseits die Nebenniere. Diese schüttet daraufhin "Stress"-Hormone (Adrenalin, Noradrenalin) aus. Die Hormone suchen Bindungsstellen (Rezeptoren) auf Immunzellen, den Monozyten, und heften sich dort an. Das veranlaßt die Monozyten, vermehrt ein Zytokin, das Interleukin-10, zu sezernieren.

Bislang kannte man dieses Zytokin als einen zellulären Hemmstoff gegen allzu heftige Entzündungsreaktionen im Körper.Jetzt aber zeigt sich, daß Interleukin-10 auch dann ausgeschüttet wird, wenn im Körper gar keine Infektionen ablaufen. Seine Freisetzung aus den Monozyten erfolgt offenbar direkt, ohne jede weitere Stimulation, Minuten nach der Anheftung der Stresshormone. Dies jedenfalls ergaben Beobachtungen an Monozyten in der Kultur.

Die Auswirkung der Stresshormone auf die Abwehrlage des Menschen kann auch bei anderen krankhaften Zuständen beobachtet werden, die mit erhöhter Ausschüttung von Stresshormonen einhergehen, etwa bei Herzinfarkten, Verbrennungen oder sogar bei seelischen Krisen: Stets folgt derm Hormongewitter der Anstieg der Konzentration von Interleukin-10 im Blut.

Allerdings läßt sich dieser Automatismus vereiteln, wie die Berliner Forscher an Ratten zeigen konnten. Hinderten sie die Hormone daran, sich an die Monozyten zu koppeln, indem sie deren Andockstellen (Rezeptoren) mit Medikamenten, den sogenannten Beta-Rezeptoren-Blockern, besetzten, so unterblieb die Interleukin-10- Freisetzung. Ob dies beim Menschen auch so einfach gelingt, wird zur Zeit untersucht. Denkbar wäre auch die Entwicklung von Interleukin-10-Hemmstoffen.Die neue Kenntnis der Zusammenhänge zwischen der Ausschüttung von Stresshormonen und Immunsuppression dürfte auf jede Fall zukünftig schwere Infektionen vermeiden helfen (Nature Medicine vom Juli 1998, Abstract 1, Abstract 2).

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