News: Warum ist Eis, wie es ist?
Warum haben feste Eiskristalle bei Temperaturen, die weit unter dem Schmelzpunkt von 0 °C liegen, eine geschmolzene Oberflächenschicht (wodurch wir so leicht Ski und Schlittschuh laufen, sowie rutschen können)? Warum bleiben zwei Eisstücke, wenn man sie zusammen führt, aneinander haften und vereinigen sich? Warum binden unterschiedliche Moleküle in der Stratosphäre der Erde so leicht an die Oberfläche von Eispartikeln, wo sie dann chemisch reagieren (was u. a. zum Ozonloch führt)? Diese große Palette faszinierender Fragen hat Eis zu einem der am intensivsten studierten Stoffe gemacht. Bisher gibt es jedoch auf viele dieser Fragen und auf andere Unklarheiten noch keine definitive Antwort, da alle Versuche, Informationen über die mikroskopische Struktur der Oberfläche eines einzelnen Eiskristalls zu erlangen, fehlschlugen.
Sogar die leistungsfähige Methode der Elektronenbeugung versagte, die routinemäßig zur Analyse von Oberflächenstrukturen angewandt wird: Sie konnte kein klares Bild der strukturellen Anordnung der obersten Eisschicht liefern. Die Gruppe aus Wissenschaftlern des Lawrence Berkeley National Laboratory, der Freien Universität Amsterdam und der Universität 'Pierre und Marie Curie' in Paris haben auf der Basis theoretischer Simulationen argumentiert, daß die ganz oben befindlichen Wassermoleküle so stark vibrieren, daß kein zusammenhängendes Beugungsmuster zu beobachten ist.
Um dieses Problem zu lösen, setzten Forscher in Göttingen die Streuung energiearmer Helium-Atome ein. Der Vorteil dieser Technik besteht darin, daß sie keine Zerstörung anrichtet und nur die alleroberste Kristallschicht vermißt. Da die (111)-Oberfläche von Platin fast die gleichen Gitterabstände wie Eis hat, nutzte man Platin als Schablone, auf der Filme mit 10-100 mm Dicke aus Eiskristallen wuchsen. Erst nach Abkühlung der Oberfläche auf 30 K konnte man scharfe, intensive Beugungsmaxima beobachten. Diese gaben nicht nur Auskunft über die Gitterabstände und den Aufbau der Moleküle in der obersten Schicht, sondern deuteten eine zumindest teilweise Ausrichtung der Wasserstoffatome an der Oberfläche an (ferroelektrische Anordnung).
Ein weiterer Vorteil der beschriebenen Methode liegt darin, daß mit der gleichen Ausstattung hochauflösende Flugzeit-Spektren von Energieverlusten und -gewinnen gemessen werden können. Diese Spektren enthalten Informationen über die Frequenzen und Wellenlängen der kollektiven Schwingungen (Phonone) an der Oberfläche. Wurde der Kristall erneut auf 30 K abgekühlt, zeichnete sich eine sehr intensive, unelastische Spitze auf einem starken multiphonen Hintergrund ab. Dieser Höchstwert wurde mittels eines theoretischen Modells simuliert, welches das Signal einer bestimmten Scherbewegung mit großer Amplitude innerhalb einer Ebene an der Oberfläche zuordnen konnte. Bei höheren Temperaturen verstärkt sich die Bewegung immer mehr, was zu einem hochverdichteten "Phononenbad" führt, wobei schließlich einzelne Moleküle von ihrem ursprünglichen Standort wegbrechen. Dies erklärt die flüssigkeitsähnliche oberste Schicht und auch die bei den Experimenten zur Elektronenbeugung aufgetretenen Schwierigkeiten.
Die Schwingungsstörungen an der Eisoberfläche machen auch deutlich, warum zwei Eisstücke zusammenwachsen, wenn sie aneinander gedrückt werden. Die Wassermoleküle an der Eiskristalloberfläche bilden Wasserstoffbrückenbindungen mit denen der anderen Eisoberfläche, wenn zwei Kristalle miteinander in Kontakt geraten. Dies verbessert ihre räumliche Zuordnung und dadurch vermindern sich die sanften Vibrationen der Oberfläche, und die Verbindungsschicht wird fest. Außerdem kann die hohe Konzentration fremder Moleküle an der Oberfläche von Eispartikeln in der Stratosphäre dann dadurch erklärt werden, daß ein Energieaustausch durch das an der Oberfläche verfügbare "Phononenbad" leicht möglich wird. Diese Situation kann verglichen werden mit einem Tischtennisball, der auf einen mit einem weichen Gummiteppich bedeckten Betonboden fallengelassen wird. Ohne den Teppich würde der Ball zurückspringen, während er so durch den Teppich seine gesamte kinetische Energie verliert und auf der Oberfläche liegenbleiben kann.
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