Direkt zum Inhalt

Hydrodynamik: Warum Meerwasser schäumt und Flusswasser nicht

Jahrzehntelang wunderten sich Fachleute, warum Luftbläschen im Meerwasser so stabil sind. Durch experimentelle Beobachtungen konnten Physiker dieses Rätsel nun lösen.
Welle im Meer (Symbolbild)
Die schaumige Struktur von Meerwasser war lange Zeit ein Rätsel.

Wenn Meerwasser auf die Küste prallt, wird es aufgewirbelt und bildet Gischt. Dieses schaumige Gemisch aus Wasser und Luft hat Fachleute jahrzehntelang beschäftigt. In Süßwasser ist dieses Phänomen deutlich schwächer ausgeprägt – die darin entstehenden Luftbläschen sind so kurzlebig, dass keine schaumige Substanz entsteht. Nun haben Physiker um Bo Liu von der University of Alberta in Edmonton das Rätsel offenbar gelüftet. Wie sie in ihrer am 8. September 2023 bei »Physical Review Letters« veröffentlichten Arbeit beschreiben, sollen die Kräfte zwischen den im Salzwasser befindlichen Ionen dazu führen, dass das Wasser zwischen den Luftbläschen nur langsam abfließen kann.

Meerwasser ist nicht die einzige Substanz, die schäumt. Tatsächlich ist das eine gemeinsame Eigenschaft von Elektrolyten: Flüssigkeiten, in denen Ionen gelöst sind und sich frei bewegen können. Daher vermuten Fachleute schon lange, dass die geladenen Teilchen dafür verantwortlich sind, dass die Luftbläschen in den Flüssigkeiten so widerstandsfähig sind. Doch der genaue Mechanismus, der dazu führt, war bislang unbekannt. Im Gegenteil: Bisherige Modelle legten nahe, dass die gelösten Ionen den Zerfall der Luftbläschen beschleunigen sollten.

Die Luftbläschen beeinflussen das Verhalten von Flüssigkeiten, unter anderem deren Fähigkeit, Wärme zu leiten. Diese Eigenschaften spielen in vielen industriellen Prozessen eine wichtige Rolle, etwa bei der Fertigung von Impfstoffen oder der Mineralgewinnung. Deshalb sind Fachleute daran interessiert, die Vorgänge besser zu verstehen.

Wenn sich zwei Luftbläschen innerhalb einer Flüssigkeit einander nähern, können sie sich ab einem bestimmten Abstand (wenigen Mikrometern) verformen, wodurch sie eine dünne Fluidschicht zwischen sich einschließen, die sie nach und nach verdrängen, bis die zwei Bläschen schließlich kollidieren. Liu und seine Kollegen waren überzeugt, dass sich die Langlebigkeit der Luftbläschen erklären ließe, wenn man die dünne Flüssigkeitsschicht zwischen den Luftblasen genauer beobachten könnte.

Physiker schießen Luftblasen aufeinander

Dafür haben die Physiker mehrere Experimente durchgeführt: Über ein dünnes Röhrchen haben sie ein Luftbläschen von zwei Millimetern Durchmesser mit einer Geschwindigkeit von drei Millimetern pro Sekunde (etwa 0,01 Kilometer pro Stunde) durch eine Flüssigkeit gepumpt – geradewegs auf ein anderes Bläschen zu, das auf einer Silikonoberfläche befestigt war. Um die Vorgänge genau zu beobachten, haben Liu und seine Kollegen einen Lichtstrahl auf das Geschehen gerichtet und mit einer High-Speed-Kamera das Reflexionsmuster aufgenommen. Durch die Wellenbewegungen der dünnen Flüssigkeitsschicht zwischen den Bläschen bildete sich ein Interferenzmuster, das sie auswerten konnten. Auf diese Weise konnten sie beobachten, wie die Wasserschicht zwischen den beiden Luftbläschen immer dünner wird und davonfließt.

In reinem Wasser bewegten sich die runden Bläschen geradewegs aufeinander zu und kollidierten nach etwa 0,14 Millisekunden. Bei einer Wiederholung des Versuchs in einer Natriumchloridlösung schienen sich die Luftbläschen anfangs gleich zu verhalten: Der Flüssigkeitsfilm zwischen den Bläschen wurde rapide dünner. Doch als die begrenzende Flüssigkeit nur noch etwa 30 Nanometer dick war, änderte sich das Verhalten schlagartig: Die Bläschen verformten sich stark, wodurch die begrenzende Flüssigkeitsschicht an Fläche gewann, und blieb mehrere Millisekunden bestehen, bevor die Bläschen schließlich kollidierten. Man kann sich das wie zwei Luftballons vorstellen, die man fest zusammengedrückt: Die Kontaktfläche wächst an, bis sie irgendwann platzen.

»Nichts von dem, was wir bisher ausgearbeitet hatten, konnte die experimentellen Ergebnisse erklären«Rogerio Manica, Physiker

Die Physiker um Liu wiederholten das Experiment mit unterschiedlichen Natriumchlorid-Konzentrationen und anderen Lösungen. Das Ergebnis war im Wesentlichen immer gleich: Durch die gelösten Ionen schienen sich die Luftbläschen abzustoßen, wodurch sie daran gehindert wurden, zusammenzuprallen. Das verlängerte die Lebenszeit der Luftbläschen je nach Elektrolyt um etwa 2 bis 14 Millisekunden.

Diese Beobachtungen zu erklären, erwies sich allerdings als äußerst schwierig. Der Physiker Rogerio Manica von der University of Alberta und Koautor der Studie hatte sich bereits mehrere Jahre mit der theoretischen Beschreibung von kollidierenden Luftbläschen beschäftigt. »Aber nichts von dem, was wir bisher ausgearbeitet hatten, konnte die experimentellen Ergebnisse erklären«, sagte Manica. Deswegen wandte sich das Team weiteren experimentellen Daten zu, die andere Fachleute gesammelt hatten. Diese hatten die Oberflächenspannung von verschiedenen Elektrolyten mit der von Wasser verglichen. Diese Ergebnisse konnten Manica, Liu und seine Kollegen nutzen, um ein mathematisches Modell zu entwickeln, das die Oberflächenspannung in den dünnen Flüssigkeitsschichten zwischen den Luftbläschen berechnet.

Ihr Modell ergab, dass sich ab einer Dicke von etwa 30 bis 50 Nanometern die Ionenkonzentration in der Schicht im Vergleich zur restlichen Flüssigkeit verändert. Zwischen den beiden Luftbläschen ist die Ionendichte höher als in der restlichen Umgebung. Das verhindert, dass die dünne Schicht einfach wegströmt. »Die Ionen verzögern den Zusammenprall der Bläschen erheblich, indem sie die Lebensdauer des dünnen Flüssigkeitsfilms zwischen den Bläschen verlängern«, erklärte Liu.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.