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Gedächtnis: Warum neue Erinnerungen die alten nicht auslöschen

Obwohl wir ständig neue Erinnerungen sammeln, vergessen wir nicht sofort das Alte. Der Schlaf spielt hierbei eine wichtige Rolle.
Ein buntes Gehirn, das sich aus Zahnrädern zusammensetzt.
Dies ist eine maschinell erzeugte Übersetzung eines Artikels der internationalen Partner von Spektrum.de. Er wurde von uns überprüft, jedoch nicht redaktionell bearbeitet. Gerne können Sie uns Ihr Feedback am Ende des Artikels mitteilen.

Wir alle erleben immer wieder neue Dinge. Aber wie kommt es, dass wir die alten Dinge nicht vergessen? Mit anderen Worten, warum überschreiben neuere Erinnerungen nicht die früheren und löschen sie aus? Das Geheimnis, so erklärt eine in »Nature« veröffentlichte Studie eines Forscherteams der Cornell University in den USA, liegt daran, dass wir sie zu unterschiedlichen Zeiten während des Schlafs festigen. Die Festigung des Gedächtnisses erfolgt nämlich im Non-REM-Schlaf: Neuronen, die während einer Erfahrung aktiviert wurden, werden im Schlaf reaktiviert und gehen die Erfahrung erneut durch, um sie zu speichern.

Was wir jedoch nicht wussten, war, wie das Gehirn das so genannte katastrophale Vergessen verhindert, also die Verzerrung oder Auslöschung alter Erinnerungen, wenn neue auftreten. Die Studienkoordinatorin Azahara Oliva, eine Physikerin mit einem Doktortitel in Neurowissenschaften, erklärte dies gegenüber »Le Scienze«: »Das Gehirn festigt mehrere Erinnerungen und minimiert Überschneidungen mit Hilfe von genau koordinierten und getrennten Unterzuständen des Non-REM-Schlafs.«

Der Non-REM-Schlaf ist in der Tat ziemlich »bewegt«: Er hat mehrere Unterzustände und wird immer tiefer. Und es sind genau diese Unterzustände, die die Festigung des Gedächtnisses organisieren. Die Entdeckung wurde an Mäusen gemacht, die sich als perfekte Versuchskaninchen für diese Untersuchung erwiesen: Wenn sie schlafen, lassen sie die Augen offen. So konnten die Forscher mit Hilfe von Minikassetten, die mit einer Infrarotkamera ausgestattet waren, die Veränderungen des Pupillendurchmessers verfolgen und beobachten dabei, dass sich die Pupille im Non-REM-Schlaf in Zyklen von etwa einer Minute verkleinert und dann wieder zu ihrer normalen Größe zurückkehrt. Könnte es sein, dass diese Schwankungen – wie im Wachzustand – Veränderungen der Gehirnaktivität widerspiegeln? Vielleicht gerade im Zusammenhang mit der Festigung von neuen und alten Erinnerungen?

Um das herauszufinden, implantierten die Wissenschaftler Elektroden in den Hippocampus der Tiere und zeichneten die Aktivität dieses Hirnbereichs auf: In der Kleine-Pupillen-Phase des Non-REM-Schlafs, so entdeckten sie, reaktivierten sich die Neuronen in Mustern, die (in Bezug auf Zeitpunkt und Intensität der Aktivierung) denen von Tageserfahrungen entsprachen, was auf einen genauen zeitlichen Rahmen für die Festigung neuer Erinnerungen hindeutet.

Um die Hypothese zu testen, veränderten Oliva und ihr Team die Neuronen im Hippocampus der Maus genetisch so, dass sie ihre Aktivität mit Licht steuern konnten, eine Technik, die Optogenetik genannt wird. Anschließend trainierten sie die Tiere, eine in einem Labyrinth versteckte Belohnung zu finden, und manipulierten dann die Aktivität der Hippocampuszellen, die für die Erlernung dieser Aufgabe während des Non-REM-Schlafs zuständig waren. Das taten sie einerseits bei Phasen mit zusammengezogener, andererseits bei Phasen mit geweiteter Pupille.

So fanden sie heraus, dass die Mäuse nur dann sofort nach dem Aufwachen vergaßen, wo die Belohnung versteckt war, wenn die Phase mit zusammengezogener Pupille manipuliert wurde. Wenn die neuronale Aktivität für die Festigung neuer Erinnerungen während der Phase des Non-REM-Schlafs gestört wird, in der die Pupille zusammengezogen ist, wird das Gedächtnis selbst gelöscht. Aber es geschieht auch etwas Wichtiges, wenn sich die Pupille wieder vergrößert: die Festigung alter Erinnerungen, was für die Mäuse in dem Experiment gleichbedeutend war mit dem Wiedererleben der Erfahrung, sich in einer vertrauten Umgebung zu bewegen.

»Es ist wie ein Zyklus, der sich während des Schlafs langsam wiederholt: neues Lernen, altes Wissen, neues Lernen, altes Wissen; das Gehirn nutzt diese Zeitskala, um neues und altes Wissen zu trennen«, erklärte Oliva. So bewahrt es beides und verhindert ein katastrophales Vergessen. Obwohl die Entdeckung von Mäusen stammt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die zeitliche Trennung der Gedächtnisfestigung auch beim Menschen auftritt: Die Struktur des Non-REM-Schlafs und der Prozess der Gedächtnisbildung sind in der Tat evolutionär konserviert – das heißt, sie sind bei unterschiedlichen Tierarten ähnlich.

»Wir haben begonnen, uns mit Kollegen, die am Menschen arbeiten, zu vergleichen, um zu sehen, ob und inwieweit sich unsere Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen und wie sie zur Verbesserung des Gedächtnisses genutzt werden können«, betont Antonio Fernandez-Ruiz, ein weiterer Koordinator der Studie. Die Verbesserung der Gedächtnisleistung ist eine der möglichen therapeutischen Anwendungen, die in der Forschung gefragt sind.

»Studien am Menschen haben gezeigt, dass Stimulationen während des Schlafs, die darauf abzielen, Erinnerungen zu löschen oder zu verbessern, manchmal funktionieren und manchmal nicht«, erklärte der Wissenschaftler. »Es wäre daher interessant, in klinischen Studien Stimulationsprotokolle auszuprobieren, die auf Phasen des REM-Schlafs basieren, ähnlich wie bei den Mäusen.«

Die Studie könnte aber auch für die Entwickler von Algorithmen in der künstlichen Intelligenz von Nutzen sein, denn katastrophales Vergessen betrifft tatsächlich auch künstliche neuronale Netze. Die Entdeckung, wie das Gehirn die Festigung neuer und alter Informationen zeitlich trennt, wird dazu beitragen, intelligente Algorithmen zu programmieren, die sich alles »merken« können, obwohl sie ständig neue Dinge lernen.

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