Impfen: Warum Masern immer wieder den Bibelgürtel heimsuchen
Die Masern haben in den letzten Jahren weltweit ein gewisses Comeback erlebt: Weil Menschen ihre Auffrischungsimpfung vergessen oder bewusst ihre Kinder nicht impfen lassen, hat die Zahl der Infektionen wieder zugenommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Impfgegner daher zu einem der zehn größten globalen Gesundheitsrisiken ernannt. Eine Region und Bevölkerungsgruppe, in der es seit Jahrzehnten immer wieder zu größeren Ausbrüchen der Masern kommt, ist der niederländische Bibelgürtel, in dem mehrere zehntausend strenggläubige Protestanten leben. Ein großer Teil von ihnen lehnt aus religiösen Gründen Impfungen ab, so dass sich dort alle zwölf Jahre die Masern in großem Stil ausbreiten und stets je rund 2500 Menschen infizieren. Warum dieser Turnus auftritt, untersuchten Bartosz Lisowsk vom Jagiellonian University Medical College und sein Team in »Biosystems«.
Die Krankheitswellen hängen demnach eng mit der Populationsdynamik zusammen: Masern sind sehr virulent und übertragen sich sehr leicht; ein Immunisierungsgrad – durch Impfung oder überstandene Infektion – von mehr als 95 Prozent in einer Bevölkerungsgruppe bremst das Virus jedoch und stoppt die Ausbreitung. Im Bibelgürtel liegt die Impfquote bei etwa 60 Prozent unter Kindern. Seit 1976 kam es deshalb zu drei größeren Masernepidemien; letztmals 2013/14. Wegen der geringen Impfquote kann sich das Virus stark vermehren und zahlreiche Menschen befallen, wobei vornehmlich Schulkinder bis zum Alter von zehn Jahren betroffen sind. Sie werden immun und können sich später nicht mehr infizieren oder das Virus weitergeben. Dadurch erhöht sich der so genannte Herdenschutz für die Bevölkerungsgruppe: An Masern erkranken weniger Menschen, weil sich das Virus im immunisierten Umfeld schlecht ausbreiten kann.
Ein Teil der Kinder wird jedoch auch bei den Wellen nicht infiziert und wird ohne Immunisierung erwachsen. In der Zwischenzeit schwächt sich aber der Herdenschutz ab, weil durch Geburten nicht geimpfte Kinder nachkommen – bis der Herdenschutz einen kritischen Schwellenwert unterschreitet und sich die Krankheit wieder rasant durch die Bevölkerung arbeiten kann: Im Fall des Bibelgürtels ist dies anscheinend in einem Zwölf-Jahres-Rhythmus der Fall. Dieses periodische Auftreten der Masern sei jedoch grundsätzlich schlimmer als eine permanente Verbreitung des Virus, schreiben die Forscher. Denn ist die Krankheit permanent in der Bevölkerung unterwegs, trifft sie fast jedes Kind, das dadurch immun wird. Im Schulalter verläuft die Erkrankung jedoch weniger schwer als bei Erwachsenen, wo häufiger Komplikationen auftreten. Auch dies treffe auf den Bibelgürtel zu, so Lisowsk und Co: Mehr Erwachsene erkrankten an den Masern, von denen zunehmend mehr deswegen auch ins Krankenhaus mussten.
Schwere Komplikationen treten allerdings auch bei Säuglingen und Kleinkindern sowie bei Menschen mit eingeschränktem Immunsystem auf. Gerade für sie ist ein starker Herdenschutz durch Impfungen wichtig, da beispielsweise Säuglinge nicht gegen das Virus geimpft werden können. In Deutschland erhalten sie das Vakzin erstmals im Alter von zwölf Monaten. Gefürchtet werden dabei auch Spätfolgen wie die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), von der eines von 3300 Kindern betroffen ist, die Masern vor ihrem fünften Lebensjahr durchmachen mussten. In Deutschland kam es in den letzten Jahren ebenfalls immer wieder regional zu größeren Masernausbrüchen, etwa in Berlin oder Köln – unter anderem weil die Impfrate in bestimmten Bevölkerungskreisen deutlich zurückgegangen ist: Als Epizentrum für Masernwellen haben sich in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise regelmäßig Waldorfschulen hervorgetan.
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