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Positive Psychologie: Warum Urlaubsfotos uns glücklich machen

Wer bei jeder Gelegenheit zur Kamera greift, hat weniger vom Augenblick, heißt es oft. Das stimmt aber gar nicht, sagen Psychologen – und erklären, warum Fotos schöne Momente sogar noch schöner machen können.
Frau macht Foto vom Sonnenuntergang

Sommerzeit ist Urlaubszeit. Nach vielen Wochen Arbeit möchte man jetzt vor allem eines: sich amüsieren. Ob Delfinschwimmen in ­Mexiko oder Wandern im Schwarzwald – die schönsten Stunden des Jahres wollen wir maximal auskosten. Doch kaum liegen wir am weißen Bilderbuchstrand, durchzuckt uns der Gedanke: schnell ein Foto machen, um die Erinnerung für immer zu konservieren! Sobald wir durch den Sucher blicken, nagt aber oft schon das schlechte Gewissen an uns. Sollten wir lieber im Hier und Jetzt bleiben? Machen wir uns selbst gerade den perfekten Augenblick kaputt?

Ein Team US-amerikanischer Wissenschaftler hat sich dieser Frage angenommen, mit erfreulichem Ergebnis: Durch Fotos werden schöne Erlebnisse sogar noch schöner! Die Psychologen und Marketingspezialisten um Kristin Diehl von der University of Southern California ließen mehr als 2000 Teilnehmer teils im Labor, teils in natürlichen Situationen drauflosknipsen. Die Probanden begaben sich unter anderem auf eine Stadtrundfahrt, besuchten ein Museum und aßen in einer Markthalle zu Mittag. Die eine Hälfte der Teilnehmer wurde aufgefordert, dabei Fotos zu schießen, die andere nicht. Unmittelbar danach schätzten alle auf einem Fragebogen ein, wie sehr sie die Aktivität genossen hatten und wie intensiv sie in diese vertieft waren. Die Ergebnisse waren sogar für die Autoren unerwartet.

»Wir machen selbst gerne Fotos«, sagt Kristin Diehl. »Wir hätten allerdings gedacht, dass das eher schadet. Wie aber eine Studie nach der anderen zeigte, macht Fotografieren angenehme Momente noch schöner.« Anhand der Daten wurde nicht nur deutlich, dass diejenigen, die knipsten, mehr Spaß hatten, sondern dass sie auch stärker in die Aktivität versunken waren. Die Forscher glauben, es ist genau diese intensive Hinwendung zu einer Situation, die unsere Laune beflügelt.

Wer Fotos schießt, hat nicht nur mehr Spaß, sondern ist auch tiefer in die Aktivität versunken

Doch tauchten die Leute wirklich tiefer in ihre Aktivität ein? Oder empfanden sie das nur so? Um das zu klären, studierten Diehl und Kollegen auch das Verhalten ihrer Probanden. Während eines Experiments in einem archäologischen Museum trugen die Teilnehmer spezielle Brillen, die erfassten, wo sie hinsahen und wie lange sie bestimmte Objekte mit ihrem Blick fixierten. Jene Besucher, die von den Wissenschaftlern mit einem Foto­apparat ausgerüstet worden waren, betrachteten die Exponate länger und vergleichsweise häufiger als andere Objekte im Raum. Auch hier gefiel der Fotogruppe der Tag im Museum besser als denen, die die Statuen und Skulpturen nicht ablichten durften. Wie Nachbefragungen zeigen, hält dieser Effekt sogar eine ganze Woche an.

Imaginäre Fotos reichen aus

Was genau liegt der positiven Wirkung des Fotografierens zu Grunde? Entscheidend ist anscheinend nicht, ob man tatsächlich den Auslöser drückt. Sogar Probanden, die nur in ihrer Vorstellung die Highlights einer virtuellen Stadtrundfahrt durch London festhielten, ­berichteten von einem ähnlich schönen Erlebnis wie jene, die wirklich Bilder schießen durften. Beide Gruppen genossen die Tour mehr als Teilnehmer, die keine Kamera dabei hatten – auch keine imaginäre. Offenbar macht also der gedankliche Plan, ein Foto zu schießen, den Unterschied.

Achtsamkeitsforscher Stefan Schmidt vom Universitätsklinikum Freiburg erklärt das so: »Konzentrieren wir uns sehr stark auf eine Be­ob­achtung, wenn wir etwa vorhaben, den perfekten Moment für ein Foto abzupassen, treten wir automatisch in intensiveren Kontakt mit dem gegenwärtigen Erleben.« Der Psychologe Thomas Heidenreich forscht an der Hochschule Esslingen zum selben Thema und ergänzt: »Die Studie ist mit ihrem unerwarteten Ausgang ein schönes Beispiel dafür, wie falsch wir manchmal mit unseren intuitiven Annahmen liegen – auch dann, wenn sie mit einer Forderung nach mehr Achtsamkeit einhergehen.«

Doch nicht immer ist Fotografieren ratsam. Erfordert die Situation etwa eine aktive Teilnahme, ist das Knipsen nicht hilfreich, so das Ergebnis einer Studie von Diehl und Kollegen. In dieser Untersuchung durften die Probanden kreativ werden: Sie sollten entweder selbst einen Minieiffelturm aus Süßigkeiten basteln oder jemandem dabei zusehen. Wer nur beobachtete, hatte mehr Spaß, wenn er das Kunstwerk zwischendurch ablichtete. Für die Bastler machte Fotografieren das Erlebnis hingegen nicht besser, da sie ohnehin in ihr Projekt vertieft waren. In einem weiteren Versuch wurden die Teilnehmer gebeten, vor Ort bereits eine Auswahl der besten Fotos zu treffen. Das direkte Auswerten und Löschen der Bilder verringerte ebenfalls den positiven Effekt. »Bloßes Fotografieren lenkt nicht zu sehr ab«, so Diehl. »Versende ich das Bild aber gleich bei WhatsApp oder lege einen Filter darüber, stört das den Genuss.«

Unangenehmes nicht fotografieren

Und noch eine weitere Einschränkung machen die Autoren: In unangenehmen Situationen sollte man auf keinen Fall zur Kamera greifen. Diehl und ihre Kollegen ließen einige Versuchspersonen eine Safari in der afrikanischen Savanne erleben – wenn auch nur am Bildschirm. Sie präsentierten ihnen entweder ein fesselndes Video, in dem eine Gruppe Warzenschweine eine bereits tote Antilope frisst, oder einen eher abstoßenden Film, in dem ein Rudel Löwen einen afrikanischen Büffel bei lebendigem Leib verspeist. »Macht man ein Foto, ist man stärker Teil des Moments. Wenn die Erfahrung positiv ist, gefällt sie uns besser. Allerdings verstärkt Fotografieren auch negative Erlebnisse«, gibt Diehl zu bedenken. Es intensiviere also das, was man ohnehin schon spüre.

Entpuppt sich die nächste Reise nicht als totaler Reinfall, sollten wir demnach unbedingt ein paar Schnappschüsse machen. Und auch so mancher Künstler, der von Konzertbesuchern verlangt, die (Handy-)Kamera in der Hosentasche zu lassen, müsste seine Empfehlung überdenken. Wenn uns also das nächste Mal jemand ermahnt, das blöde Ding wegzupacken und den Moment doch lieber ganz unmittelbar zu erleben, gucken wir einfach getrost weiter durch die Linse.

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