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Hydrodynamik: Was Archimedes übersah

"Heureka!", soll er gerufen haben, aus der Wanne gesprungen und nackt durch die Straßen gelaufen sein. Was heutigen Forschern eine Nacht in der psychiatrischen Anstalt bescheren würde, trug im Falle Archimedes' mit zu seinem Ruhm bei. Erst jetzt bemerken Wissenschaftler, dass der freudige Altgrieche beim Baden wohl nicht ganz genau hingesehen hat.
Warum gehen Schiffe eigentlich nicht unter? Wieso schwimmt Holz? Und was hindert die Luftmatratze daran, mit Onkel Herbert in den Tiefen des Baggersees zu verschwinden? Des Rätsels Lösung lautet: Auftrieb. Sobald wir einen Gegenstand ins Wasser werfen oder selbst in die Fluten steigen, verdrängt der Körper Wassermoleküle, die sich zuvor frei tummeln konnten. Dieses Wasser verschwindet aber nicht einfach im Nichts, sondern wird weiterhin von der Erdschwerkraft angezogen und würde nur allzu gerne wieder zurück auf seinen angestammten Platz. Es drückt mit einer entsprechenden Kraft, dem Auftrieb, den Körper nach oben. Das führt zu einem Patt: Das Wasser muss so weit weichen, dass die verdrängte Masse der Masse des eingetauchten Körpers entspricht – dann haben wir ein Gleichgewicht und ein schwimmendes Schiff.

Dieses Gesetz vom Auftrieb war so einfach wie genial, dass ungezählte Generationen von Wissenschaftlern und Bootsbauern ihm bedenkenlos vertraut haben. Nicht so ganz zu Recht, behaupten nun Physiker um Gregory Falkovich vom israelischen Weizmann-Institut. Denn Archimedes und seine Nachfolger haben beharrlich eine Kraft vernachlässigt, die zumindest bei kleinen Schwimmkörpern eine gewichtige Rolle spielt: die Oberflächenspannung.

Wie ein Gegenstand mit Wasser klarkommt, hängt nämlich zum großen Teil davon ab, ob er aus einem wasseranziehenden (hydrophilen) oder wasserabstoßenden (hydrophoben) Material besteht. Hydrophile Stoffe saugen das Wasser an den Rändern geradezu nach oben und ziehen dadurch den Körper tiefer hinein, als es Auftrieb und Schwerkraft alleine gestatten würden. Sie wirken dadurch schwerer. Im Gegensatz dazu treiben hydrophobe Gegenstände weiter oben, als es ihrer Masse entspricht, da die Bindungskräfte zwischen den Wassermolekülen den ungeliebten Eindringling kräftig herausdrücken. Hydrophob macht also scheinbar leichter, als man in Wirklichkeit ist.

Diese auf den ersten Blick gering wirkenden Abweichungen von Archimedes' Prinzip wirken sich noch stärker aus, wenn die Wasseroberfläche bewegt ist. Falkovichs Team ließ in ihren Experimenten dafür einen Behälter auf und ab vibrieren, sodass sich eine stehende Welle ausbildete. Diese besondere Form von Wellen hat Bereiche, in denen sich die Oberfläche stark nach oben und unten bewegt, die so genannten Wellenbäuche, und als Knoten bezeichnete Regionen, in denen der Wasserspiegel die ganze Zeit auf dem Ruheniveau bleibt. In diese Wellenlandschaften kamen kleine Kügelchen aus hydrophobem Teflon oder hydrophilem Glas.

Auftrieb in stehender Welle | Glas- und Teflonkügelchen in einer stehenden Welle: Oben eine stroboskopische Aufnahme (Seitenansicht), die den Weg eines Teflonkügelchens vom Knoten in Richtung der maximalen Auslenkung der Welle zeigt. Unten zwei Aufsichten, wie sich die hydrophilen Glaskügelchen an den Knotenpunkten sammeln.
Das Material bestimmte den Weg der Teilchen: Während die Teflonkügelchen innerhalb von Sekunden zu den heftig schwankenden Wellenbäuchen wanderten, sammelten sich die hydrophilen Glasperlen an den Knoten an. Als Ursache bestimmten die Wissenschaftler seitwärts gerichtete Kräfte, die asymmetrisch wirken, weil die Krümmung der Oberfläche zu den Knoten hin größer war als näher an den Wellenbäuchen. Für die weiter herausgehobenen hydrophoben Teflonbällchen bewirkte das einen Schub zur stärkeren Bewegung, während es die tiefer eingesunkenen Glaskügelchen in ruhigere Zonen zog.

Archimedes' Ungenauigkeit wird weder Schiffe zum Sinken bringen, noch das Badevergnügen am Baggersee beeinträchtigen. Doch sollte ein Öltanker auf hoher See auseinanderbrechen, könnte es mit dem neuen Wissen möglich sein, die Verteilung der giftigen Fracht besser zu berechnen. Denn im Mikrokosmos der Öltröpfchen sind hydrophobe Kräfte von enormer Bedeutung.
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