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Corona-Impfungen: Was die unerwünschten Proteine bei den mRNA-Impfstoffen bedeuten

Eine neue Studie zeigt: mRNA-Impfstoffe erzeugen nicht nur das Spike-Protein. Ein biochemischer Effekt lässt zusätzlich funktionslose Nebenprodukte entstehen. Was bedeutet das?
3D-Rendering eines Ribosoms
Damit ein Protein entstehen kann, wird mRNA durch einen Proteinkomplex namens Ribosom gefädelt. Je drei mRNA-Bausteine sagen dem Komplex, welche Aminosäure ins Protein (rot) eingebaut wird.

Bei einer jetzt in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlichten Studie hat sich gezeigt, dass mRNA-Impfstoffe kleine Mengen unerwünschter Proteine entstehen können. Das liegt, wie die Arbeitsgruppe um Anne E. Willis von der University of Cambridge berichtet, an einer chemischen Veränderung der Impf-mRNA, die dazu führt, dass das Molekül manchmal nicht korrekt ausgelesen wird: Der Vorgang produziert gelegentlich quasi molekularen Ausschuss. Doch was bedeutet das für die Impfung, und welche Folgen hat das für die mRNA-Technologie allgemein? Ein Überblick über die Hintergründe der Entdeckung.

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Warum wird die Impf-mRNA ungenau gelesen?

Bei der mRNA des Impfstoffs ist einer der vier Bausteine der RNA durch eine chemisch veränderte Variante ersetzt worden. Neben den normalen Bausteinen Cytosin (C), Guanin (G) und Adenin (A) enthält es statt Uracil (U) den Baustein 1-Methylpseudouracil. Dadurch löst die mRNA einerseits eine weniger starke angeborene Immunreaktion aus – die sich nach der Impfung durch Symptome ähnlich wie ein Infekt äußert –, und andererseits wird aus ihr mehr Protein gebildet.

Allerdings ist bekannt, dass ein solcher Austausch dazu führen kann, dass die künstliche mRNA nicht ganz so präzise ausgelesen wird. So hatten frühere Studien gezeigt, dass andere veränderte mRNA-Bausteine – die nicht im Impfstoff auftauchen – beim Herstellen des Proteins falsch, also als andere Bausteine, gelesen werden können und so veränderte Proteine entstehen lassen. 1-Methylpseudouracil verursacht diese Lesefehler nicht. Studien zeigten jedoch, dass der Baustein dazu führt, dass die mRNA langsamer ausgelesen wird. Wie diese Veränderung auf die Übersetzung in Proteine auswirkt, ist zum Teil noch unbekannt.

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Was ist ribosomale Leserasterverschiebung?

Dabei geht es um ein als ribosomale Leserasterverschiebung (ribosomal frameshifting) bezeichnetes Phänomen, das unter anderem auftritt, wenn etwas das Auslesen der mRNA bremst. Dabei verschiebt sich die RNA-Kette beim Übersetzen der genetischen Information in Proteine um eine Position. Das Problem dabei ist, dass dadurch nicht bloß ein einzelner Baustein des Proteins verändert wird, sondern alle nachfolgenden. Je drei aufeinander folgende RNA-Bausteine bilden nämlich den Code für einen einzelnen Proteinbaustein. Das Leseraster bestimmt darüber, welche drei Bausteine jeweils eine Gruppe bilden.

So bedeutet die Basenabfolge UUC in der mRNA, dass an diesem Punkt die Aminosäure Phenylalanin ins Protein eingebaut wird. Verschiebt sich die RNA-Kette um eine Position, beginnt die gelesene Dreiergruppe plötzlich mit den Bausteinen UC und wird mit dem darauf folgenden Baustein der nächsten Dreiergruppe vervollständigt – ein völlig anderer Code. Die eingebaute Aminosäure ist in diesem Beispiel stattdessen Serin, egal welcher Baustein folgt. Die beiden verbleibenden Bausteine der Dreiergruppe werden wiederum mit dem darauf folgenden Buchstaben zusammen ausgelesen, und so weiter. So entsteht ein völlig anderes Protein.

Ribosomale Leserasterverschiebung ist ein auch natürlich auftretender Prozess, weil die Übersetzung von mRNA in Proteine nicht perfekt funktioniert. In manchen Fällen ist das sogar erwünscht und wird gezielt herbeigeführt. Zum Beispiel können Viren so mit der gleichen Gensequenz zwei unterschiedliche Proteine herstellen. Auch Coronaviren nutzen diesen Mechanismus, und bei uns spielt er vermutlich eine Rolle bei der Genregulation.

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Was hat die Arbeitsgruppe genau nachgewiesen?

Um zu zeigen, dass mit 1-Methylpseudouracil veränderte mRNA häufiger unerwünschte Leserasterverschiebungen verursacht, stellte das Team um Willis eine künstliche mRNA her. Das daraus übersetzte Protein regt einen Farbstoff genau dann zum Leuchten an, wenn die mRNA beim Ablesen um eine Position verschoben ist. Bei unveränderter mRNA passierte das in einer Zellkultur nicht, mRNA mit 1-Methylpseudouracil dagegen erzeugte diese Leuchtreaktion. In einer weiteren Analyse zeigte das Team, dass zwar das unveränderte Protein auch hier den allergrößten Teil der Produkte ausmachte, aber eben durch die Verschiebung manchmal zwei weitere veränderte Proteine entstanden waren.

Anschließend testete die Arbeitsgruppe, ob das auch mit dem mRNA-Impfstoff BNT162b2 von Biontech geschieht. Dabei impfte sie Mäuse einerseits mit diesem Impfstoff, andererseits gar nicht oder mit einem Adenovirus-Vektorimpfstoff, bei dem 1-Methylpseudouracil nicht auftaucht. Dabei ließ sich bei den mit dem mRNA-Impfstoff geimpften Mäusen eine Immunreaktion auf ein Protein nachweisen, das durch verschobene mRNA entstanden war. Das veränderte Protein entstand nicht nur, sondern wurde auch dem Immunsystem präsentiert.

In einer vergleichbaren Kontrolle an Menschen zeigte sich ebenfalls eine stärkere Immunantwort bei mRNA-Geimpften auf das »verschobene« Protein. Das heißt, das in die mRNA eingebaute 1-Methylpseudouracil führt dazu, dass neben dem gewünschten Spike-Protein auch kleine Mengen unerwünschter Nebenprodukte entstehen können, die dann als körperfremde Proteine ebenfalls eine Immunantwort auslösen. Allerdings ist dieser Teil der Untersuchung mit nur 20 Personen in der Versuchsgruppe so klein, dass man über die Existenz des Effekts hinaus keine weiteren Schlussfolgerungen über seine Größe oder Bedeutung ziehen kann.

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Sind die unerwünschten Proteine gefährlich?

Theoretisch könnte der Anteil an Ausschuss die Effektivität des Impfstoffs etwas reduzieren, doch dass die Proteine Schaden anrichten, darauf gibt es keinen Hinweis, wie die Arbeitsgruppe um Willis anmerkt. So entstehen auch unter normalen Umständen in Zellen oft fehlerhafte Proteine, die dann wieder abgebaut werden. Allerdings sind die durch den Impfstoff entstehenden Proteine körperfremd und lösen deswegen eine Immunreaktion aus. Das ist prinzipiell erst einmal ein normaler Vorgang. Dadurch jedoch besteht die theoretische Möglichkeit, dass die Proteine körpereigenen Strukturen stark ähneln und dadurch Autoimmunreaktionen begünstigen. Es gibt aber bisher keine Anzeichen dafür, dass das bei dem Impfstoff der Fall ist.

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Sind die unerwünschten Proteine ein Problem für zukünftige mRNA-Medikamente?

Die Studie zeigt, dass bei der mRNA-Technologie mit 1-Methylpseudouracil ein ribosomaler Frameshift deutlich häufiger auftritt als bei unveränderter mRNA. Das ist nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen unschön – idealerweise passiert bei medizinischen Behandlungen ausschließlich das Gewünschte –, es lässt sich ebenso wenig garantieren, dass die entstehenden Nebenprodukte bei allen Anwendungen harmlos sind. Bei zukünftigen Anwendungen sollte ein solches Verrutschen der mRNA also möglichst verhindert werden.

Allerdings zeigt das Team zum Abschluss der Arbeit, dass das problemlos geht. Denn wie sich zeigt, verrutscht die mRNA nicht beliebig irgendwo. Vielmehr passiert das an ganz bestimmten »rutschigen« Stellen, die alle das gleiche gemeinsame Merkmal haben. Dort kann das Molekül, das die jeweiligen Dreierkombinationen im Erbgut ausliest, nicht nur gut an die eigentlichen drei Bausteine binden, sondern auch in einer um eine Position verrutschte Position – die Impf-mRNA enthält gleich sechs solche rutschigen Positionen. Die gute Nachricht: Weil es mehrere unterschiedliche Dreiergruppen mit der gleichen Bedeutung gibt, kann man jede dieser rutschigen Stellen quasi »rutschfest« machen. Dabei muss man jedoch sorgfältig prüfen, ob sich dadurch andere Eigenschaften der mRNA verändern. Die Entdeckung verkompliziert also das Design von therapeutischen mRNA, zum Beispiel auch für Krebstherapien.

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