News: Was eine Münze erzählen kann
Etwa 6000 Münzen, die größtenteils aus der Sammlung der Universität Tübingen stammen, haben die Wissenschaftler untersucht. Die meisten Geldstücke waren zwar zeitlich bereits grob eingeordnet, doch mußten sie für das Projekt genauer datiert werden. Auf den islamischen Münzen aus dem 8. bis 14. Jahrhundert steht normalerweise das Prägejahr und die Münzstätte, in der sie gefertigt wurden. "In der Praxis ist das aber nicht ganz so einfach, weil auch Imitationen mit falschen Angaben oder abgenutzte Münzen darunter sind", sagt Florian Schwarz von der Tübinger Forschungsstelle für Islamische Numismatik. Für den Islamwissenschaftler ist es kein Problem, die meist arabische Sprache auf den Münzen zu verstehen. Häufig ist dort vermerkt, welcher Kalif zur Zeit der Münzherstellung herrschte und wer vor Ort zuständig war. "Aus zwei Jahrzehnten im 12., Anfang des 13. Jahrhunderts in Wachsch in Tadschikistan sind nur einige Münzen bekannt. Für uns war neu, daß in der Zeit kurz vor dem mongolischen Übergriff neben bekannten Herrschernamen auch einige türkische Namen auftauchten", erklärt Schwarz.
Anders als die islamischen Münzen zeigen die mittelalterlichen Münzen aus Südwestdeutschland häufig Bilder, manchmal auch Schrift. Doch ist meistens nicht zu erkennen, wo und wann sie geprägt wurden. "Immerhin haben wir aber große Erfahrung in der Datierung dieser Münzen. Prinzipiell lassen sich königliche und bischöfliche Münzstätten unterscheiden. Ein Bischofsstab kann zum Beispiel auf die Stadt Worms hinweisen. Für Lindau ist häufig eine Linde abgebildet", gibt Ilisch Einblick in die Bestimmungsarbeit. Von der sorgfältigen Feindatierung der zahlreichen Münzen, die auch in Verbindung mit geschichtlichen Quellen durch Forschungen von Michael Matzke vom Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Tübingen möglich wurden, werden wohl in Zukunft andere Forscher profitieren.
Das gilt auch für die Untersuchung des Münzmetalls, die der Mineraloge und Geochemiker Willem B. Stern von der Universität Basel vorgenommen hat "Ursprünglich wollten wir von der Münze ausgehend Aussagen treffen, wie die Münzstätte mit Silber versorgt wurde", erklärt Ilisch. Dabei war es wichtig, die Einordnung südwestdeutscher Münzen, zu deren Herstellung weitere schriftliche Quellen vorhanden sind, mit den islamischen Münzen zu vergleichen. Das Metall wurde entweder aus Bergwerken oder durch Wiedereinschmelzen gewonnen. Den Forschern kommt dabei entgegen, daß das Münzsilber nicht völlig rein ist, sondern weitere Elemente in wechselnden Anteilen enthält. Die Zusammensetzung, vor allem Goldspuren, Bismuth und Platinmetalle im Silber, ist für die Herkunft der Münzen charakteristisch. "Die Idee war es, das Münzsilber mit den Schlacken aus Bergwerken zu vergleichen. Doch wechseln die Spurenelemente unter Umständen schon von Ader zu Ader im gleichen Bergwerk", erklärt Ilisch. Rückschlüsse von der Münze auf den Herstellungsort waren nur in einzelnen Fällen möglich, wenn das Silber wie im Hindukusch direkt am Bergbauort vermünzt wurde. "Unmöglich ist das bei Münzen, die aus Bagdad stammten. Dort gab es keinen Silberbergbau, aber die Stadt war ein wichtiges Zentrum mit großem Warenumschlag. Hier kamen Münzen aus vielen Gebieten zusammen, wurden eingeschmolzen und neu geprägt", sagt Schwarz. Die verräterischen Spurenelemente wurden dabei stark vermischt.
Die Münzen werden bei der Untersuchung durch Röntgenfluoreszenzanalyse nicht beschädigt. Nachteil ist jedoch, daß die oberflächlichen Messungen nichts über den Kern einer Münze verraten. "Zum Silbersparen wird durch das sogenannte Weißsieden an der Oberfläche das Kupfer herausgelöst. Der Kern kann dann nur ein Drittel Silber enthalten und zwei Drittel Kupfer, doch wirkt die Münze nach außen wie aus neunzig-prozentigem Silber", erklärt Schwarz. Allerdings können die Forscher der Mogelpackung durch die Messung des spezifischen Gewichts auf die Schliche kommen. Sie haben während des Projektes ihre Methoden optimiert und konnten wesentlich mehr über den technischen Prozeß, dem das Silber von der Verhüttung bis zur Münze unterlag, aussagen als ursprünglich gedacht. "Es ist wichtig, daß wir und andere Forscher bei künftigen Münzprojekten die Möglichkeiten der Interpretation richtig einschätzen können", meint Ilisch.
Ein großer Teil der mittelalterlichen islamischen Münzen wurde in Nord- und Osteuropa gefunden. 1973 wurden zum Beispiel auf der Insel Rügen 2500 Münzen entdeckt, die im achten bis neunten Jahrhundert dorthin gelangt sein müssen. "Das ist einer der großen Fernhandelswege, die wir durch unser Projekt bestätigen konnten: Von Taschkent kamen die Münzen südlich am Ural vorbei über die Gegend des Kaspischen Meeres bis zum Wolgaweg, von wo sie in den Ostseeraum gelangten", beschreibt Ilisch. Ihr Silber handelten die Taschkenter gegen Pelze und Sklaven ein. Ein zweiter Fernhandelsweg im 9. bis Anfang des 10. Jahrhunderts reichte vom Bergbau im südlichen Hindukusch in den Nahen Osten, den heutigen Iran und Syrien. Am Anfang des 11. Jahrhunderts endete der islamische Münzexport in der sogenannten, bisher ungeklärten "Silberkrise" abrupt.
Bei allen äußeren Unterschieden der islamischen Münzen und denen aus Südwestdeutschland zeigten sich auch Gemeinsamkeiten. "In der Geschichte des Geldes entstanden unabhängig von der Silberproduktion immer wieder Münzprägepausen wie im 15. Jahrhundert im Südwesten Deutschlands. Wahrscheinlich waren dann die Prägekosten so hoch, daß die Münzherstellung nicht lohnte", erklärt Ilisch. Überhaupt verspricht auch die Erforschung der damaligen Wirtschaftssysteme und Geldgeschichte noch Überraschungen, denn wer hatte etwa die Bergbaurechte, um Silber zu gewinnen? "Das Projekt wirft fast mehr Fragen auf als es beantwortet", zieht der Numismatiker kritische Bilanz.
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