Supernovae: Was explodiert da eigentlich?
Vor zwei Jahrzehnten schien alles ganz einfach: Supernovae vom Typ Ia gehen auf Weiße Zwerge zurück, die Materie von einem großen Begleitstern aufsaugen. Bei Erreichen einer bestimmten Masse explodieren sie dann mit stets gleicher Strahlkraft – als »Standardkerzen«, mit denen sich Distanzen zu weit entfernten Galaxien bestimmen lassen. So lernten es Physikstudenten, und viele interessierte Laien dürften dieses Bild noch immer im Kopf haben.
Dabei ist schon lange klar, dass die Sache komplizierter ist: Astrophysiker unterscheiden mehrere Szenarien, die zu Supernovae vom Typ Ia führen können. Zwar ist bei allen ein Weißer Zwergstern beteiligt. Aber wie genau es zum Kollaps und anschließend zur Supernova kommt, ist von Fall zu Fall verschieden.
Eine neue Studie bringt nun Bewegung in dieses Forschungsfeld: Ein Team um Maria Bergemann und Philipp Eitner vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg hat auf Umwegen rekonstruiert, wie vergangene Supernova-Explosionen in unserer Milchstraße abgelaufen sein müssten. Demnach läuft nur ein kleiner Teil der Ia-Supernovae nach dem klassischen Schema ab, bei dem ein Weißer Zwerg einem Nachbarstern nach und nach Materie klaut.
Sternleichen aus Kohlenstoff
Weiße Zwerge sind ausgebrannte Sonnen, die fast nur noch aus Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen. Sie entstehen, wenn ein Stern allen Wasserstoff und Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff verschmolzen hat. Auf dem Weg dorthin blähen sich Sonnen zunächst zu einem Roten Riesen auf. Dann fallen sie zu einer kompakten Kugel von der Größe der Erde zusammen.
In einem Weißen Zwerg wehren sich die Elektronen dagegen, weiter zusammengedrückt zu werden. Ein aus der Quantenphysik herrührender »Entartungsdruck« macht es möglich. Der Widerstand währt jedoch nicht ewig. Jenseits von 1,4 Sonnenmassen wird die Schwerkraft zu stark, als dass sich der Weiße Zwerg weiter dagegenstemmen könnte. Was folgt, ist der plötzliche Kollaps, der enorme Mengen Energie freisetzt – die Supernova.
»Wir können noch nicht festlegen, welches der vielen möglichen Szenarien das realistischste ist«
Maria Bergemann, Max-Planck-Institut für Astronomie
Die Massengrenze für Weiße Zwerge geht auf den indischen Physiker Subrahmanyan Chandrasekhar zurück. Er hatte die nach ihm benannte »Chandrasekhar-Masse« bereits in den 1930er Jahren berechnet. Sie macht Supernovae vom Typ Ia zu etwas Besonderem: Da hier stets eine gleich große Masse zusammenfällt, sollte die Supernova jeweils gleich viel Strahlung ins All feuern.
Supernovae vom Typ Ia sind daher eine Art Meterstock für Kosmologen. Denn aus ihrer Helligkeit am Nachthimmel kann man auf ihre Distanz zu uns schließen – je dunkler eine Supernovae erscheint, desto weiter entfernt hat sie stattgefunden. Andere Strahlungsquellen lassen solch einen Schluss nicht zu. Bei ihnen weiß man schlicht nicht, ob sie einfach sehr weit entfernt oder ziemlich leuchtschwach sind.
Stütze für die Dunkle Energie
Entsprechend haben Ia-Supernovae eine große Bedeutung in der Kosmologie. Forscher können mit ihrer Hilfe ermitteln, wie schnell sich das Universum ausgedehnt hat. Die Explosionen haben damit unter anderem zur Entdeckung der Dunklen Energie geführt, die die kosmische Expansion immer weiter beschleunigt.
Im Detail sind Supernovae vom Typ Ia jedoch deutlich komplizierter, als man auf den ersten Blick vermuten würde. So ist keinesfalls gesagt, dass sich ein Weißer Zwerg stets langsam auf die Chandrasekhar-Masse zubewegt. So wäre es nur bei einem Exemplar, das gemächlich Materie eines größeren Nachbarsterns absaugt.
Im All gibt es jedoch auch ganz andere Paarungen. Etwa zwei Weiße Zwerge, die plötzlich miteinander verschmelzen, dabei schlagartig eine viel größere Masse zusammenbringen und in der Folge in einer deutlich heftigeren Supernova explodieren.
Andererseits können Weiße Zwerge auch unterhalb der Massengrenze vergehen, wie Theoretiker bereits in den 1980er Jahren prognostiziert haben: Saugen sie beispielsweise nur sehr langsam Masse von einem Spenderstern auf, kann sich an der Oberfläche des Zwergs Helium sammeln und dort eine kleinere Explosion zünden. Sie stößt dann eine Art voreilige Supernova mit geringerer Leuchtkraft an.
Mangan macht den Unterschied
Aber wie häufig sind solche Hergänge, die vom klassischen Szenario abweichen? Leider ereignen sich die meisten der Explosionen in so großer Entfernung, dass sie erst sichtbar werden, wenn die Explosion bereits in vollem Gang ist. Eine der nächstgelegenen Typ-Ia-Supernovae leuchtete beispielsweise 2011 in einer 21 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie auf, was für kosmische Maßstäbe der erweiterten Nachbarschaft entspricht. Trotzdem gelang es Forschern nicht, anhand alter Teleskopbilder das ursprüngliche Aussehen des Systems zu ermitteln.
Astrophysiker suchen daher schon länger mit indirekten Methoden nach einer Antwort. Eine Möglichkeit sind die Überreste vergangener Supernovae: Die expandierenden Materiewolken senden Strahlung mit charakteristischen Signaturen aus, die einen Rückschluss auf die chemische Zusammensetzung und die Expansionsgeschwindigkeit des Trümmerfelds erlauben. Mit diesen Informationen kann man dann die Masse des Ursprungssystems eingrenzen.
Derartige Untersuchungen liefern seit Längerem Indizien für unterschiedliche Abläufe von Typ-Ia-Explosionen. Leider finden sich in unserer näheren galaktischen Umgebung bloß wenige geeignete Supernova-Überreste. Die Heidelberger Astrophysiker um Bergemann und Eitner gingen daher nun einen anderen Weg. Sie suchten nach schweren chemischen Elemente, die nur in Sternexplosionen entstehen.
Eine besondere Bedeutung spielte dabei das Element Mangan. Modellrechnungen zufolge wird es nur in zwei Arten von Sternexplosionen in größerer Menge erbrütet: bei der Explosion von Weißen Sternen an der Chandrasekhar-Masse und bei Supernovae des Typs II, bei denen ein einzelner Riesenstern kollabiert. In Ia-Supernovae unterhalb der Chandrasekhar-Masse entstehen hingegen nicht genügend Neutronen, die leichtere Atomkerne auf dem Weg zu Mangan einfangen müssen.
Das klassische Szenario ist eher die Ausnahme
Die Gruppe schätzte also ab, wie viel Mangan es in 42 Sternen in unserer Milchstraße gibt, in denen sich zwangsläufig das Material lang zurückliegender Supernovae ballt. Das überraschende Ergebnis: Die Sonnen enthalten viel weniger Mangan als gedacht. Es sollte daher deutlich weniger Supernova-Explosionen nach dem klassischen Szenario – Weißer Zwerg explodiert an der Chandrasekhar-Masse – gegeben haben als gedacht. Ganze 75 Prozent aller Typ-Ia-Explosionen könnten sich dagegen unterhalb der Chandrasekhar-Masse ereignet haben, berichten die Forscher in »Astronomy & Astrophyics«.
Bisher gingen Experten von 50 Prozent aus. Und mehr noch: Die in der Studie untersuchten Sterne umfassten alle möglichen »Metallizitäten« – so nennen Astrophysiker die Menge schwererer Elemente in einem Stern. Die Metallizität von Sternen hat im Lauf der Entwicklung des Alls immer weiter zugenommen.
Das Team schließt aus seinen Messdaten, dass sich die Dominanz der »Sub-Chandrasekhar«-Supernovae über die gesamte 13 Milliarden Jahre lange Geschichte unserer Galaxie nicht geändert hat. »Wir können noch nicht festlegen, welches der vielen möglichen Sub-Chandrasekhar-Szenarien das realistischste ist«, sagt Bergemann. »Aber wir sind sicher, dass sie weit häufiger sind als Supernova-Explosion an der Chandrasekhar-Masse.«
Wolfgang Hillebrandt vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, der nicht an der Arbeit beteiligt war, hält die Untersuchung für einen Fortschritt auf dem Gebiet. Sie belege, dass Sub-Chandrasekhar-Explosionen eine Realität sind. »Ich würde sogar darauf wetten, dass ihr Anteil eher bei 90 als bei 75 Prozent liegt«, sagt Hillebrandt.
»Standardisierte Kerzen« statt Standardkerzen
Das Ergebnis könnte außerdem dabei helfen, frühere Unstimmigkeiten bei der Auswertung von Supernova-Daten zu erklären: Einem Team um Mark Sullivan von der University of Oxford war im Jahr 2010 aufgefallen, dass Typ-Ia-Supernovae in weit entwickelten Galaxien mit hoher Metallizität systematisch etwas heller ausfallen als solche in sehr jungen Galaxien, die praktisch ausschließlich aus Wasserstoff und Helium bestehen.
Ein kleiner Teil der beobachteten Abschwächung der Leuchtkraft hat also nichts mit ihrer Entfernung zu uns zu tun. Kosmologen tragen dem Effekt in ihren Analysen seit Jahren Rechnung. Wie groß die Korrektur jeweils sein sollte, ist allerdings umstritten – auch da man die genauen physikalischen Hintergründe des Effekts nicht kennt.
Allerdings ist es für Wissenschaftler, die Supernovae zur Kartierung des Kosmos benutzen, ziemlich egal, was genau sich hinter Typ-Ia-Explosionen verbirgt. Sie wissen schon länger, dass es sich bei den Ereignissen nicht um stets identische »Standardkerzen« handelt. Sondern eher um eine Bandbreite unterschiedlich heller Strahlungsquellen, die man mit einem komplizierten Verfahren vergleichbar machen kann.
Wie viel Strahlung solche »standardisierten Kerzen« dann aussenden, wird in Galaxien in unserer Nachbarschaft über den Vergleich mit Cepheiden-Sternen ermittelt, deren Leuchtkraft besser bekannt ist. Und dieser Wert bildet dann die Basis dafür, die Entfernung zu noch weiter entfernten Supernovae abzuschätzen.
Frühere kosmologische Studien wären also nur dann fehlerhaft, wenn Weiße Zwerge in der grauen Vorzeit des Alls im großen Stil anders explodiert wären als in der jüngeren Vergangenheit beziehungsweise wenn früher ein anderes Szenario dominiert hätte als heute. Ob es einen solchen Trend gibt, ist fraglich – die aktuelle Studie erlaubt jedenfalls keine Aussage dazu.
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