Fantastische Tierwesen: »Wurm zu sein, ist eine wirklich gute Sache«
In der Filmreihe »Dune«, deren zweiter Teil jetzt in den Kinos läuft, treten prominente Schauspieler wie Timothée Chalamet und Zendaya auf. Die größten Stars aber – zumindest im wörtlichen Sinne – sind die Sandwürmer. Die Tiere spielen eine zentrale Rolle im Wüstenökosystem des fiktiven Planeten Arrakis und haben auch die Kultur seiner Bewohner, der Fremen, maßgeblich geprägt. Hunderte Meter lang und dutzende Meter dick, leben sie unter der Erde und scheiden eine Substanz ab, aus der die begehrte Droge »Spice« gewonnen wird. Die Fremen reiten auf den Tieren wie auf riesigen Güterzügen. In einer Filmszene bricht der hausgroße, vor Zähnen starrende Schlund eines Sandwurms aus dem Untergrund hervor und vertilgt eine ganze Gruppe von Soldaten.
Haben diese Filmwesen etwas mit echten Würmern gemein, die auf der Erde leben? Darüber sprach die Fachzeitschrift »Nature« mit dem Paläontologen Luke Parry von der University of Oxford in Großbritannien. Parry forscht über Würmer, die im Kambrium und im Ordovizium gelebt haben, zwei aufeinander folgenden erdgeschichtlichen Abschnitten im Zeitraum zwischen 540 Millionen und 443 Millionen Jahre vor heute.
Herr Parry, die Sandwürmer in »Dune« erreichen eine Länge von mindestens 450 Metern, was etwa 15-mal so lang ist wie ein ausgewachsener Blauwal. Wie groß können Würmer in Wirklichkeit werden?
Es gibt Ringelwürmer, die mehrere Meter erreichen. Zu ihnen gehört der Riesenborstenwurm Eunice aphroditois. Er wächst auf eine Länge von bis zu drei Metern heran, ist ein ziemlich rauer Zeitgenosse mit großen Kiefern und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Monstern in dem Film »Tremors – Im Land der Raketenwürmer«. Riesenborstenwürmer lauern oft im Meeresgrund vergraben auf ihre Beute. Sie fressen alles Mögliche, darunter Tintenfische, Kraken, Krebs- und Wirbeltiere. Zudem kennen wir einige Regenwürmer mit erstaunlichen Körpermaßen, etwa Megascolides australis, der in Australien heimisch ist. Er kann ebenfalls drei Meter lang werden.
Hat einer von denen Zähne, so wie die gigantischen Exemplare in »Dune«?
Nun gut, bei den Würmern im Film sind die Beißer wahrhaft gewaltig; die Fremen machen daraus ihre tödlichen Crysknive-Messer. Echte Würmer haben das weniger, aber auch bei denen gibt es welche mit Zähnen, zum Beispiel die Priapswürmer. Deren Vertreter haben schon im frühen Kambrium fleißig im Untergrund gebuddelt. Sie besitzen einen muskulösen Schlund, der sich rüsselförmig ausstülpen lässt, so dass die Zähne außen zu liegen kommen. Die Tiere nutzen das, um sich daran durch ihre Höhlengänge zu ziehen. Auch andere Würmer aus der Klasse der Vielborster verfügen über Zähne.
Die Sandwürmer in »Dune« haben ihren Planeten völlig verändert, indem sie die wertvolle Droge Spice liefern, eine seltsame blaue Flüssigkeit namens Wasser des Lebens ausscheiden und vieles mehr. Haben die echten Würmer auf der Erde ihren Lebensraum ähnlich stark umgekrempelt?
Auf jeden Fall. Vor mehr als einer halben Milliarde Jahren begannen sich Würmer massenhaft in den Meeresgrund einzugraben, was die marinen Ökosysteme für immer veränderte. Das hat maßgeblich zur kambrischen Explosion beigetragen, dem fast gleichzeitigen Erscheinen von Vertretern beinahe aller heutigen Tierstämme in einem geologisch kurzen Zeitraum. Die kambrische Explosion war eine der tiefgreifendsten Umwälzungen auf unserem Planeten.
Vor dem Aufkommen der Würmer war der Meeresboden mit schleimigen Mikrobenmatten bedeckt. In das Sediment darunter drang praktisch kein Sauerstoff vor. Vielleicht sind Sie schon einmal durch einen trüben Teich gewatet und dabei in weichen, matschigen Untergrund getreten, der faulige Gerüche von sich gab. So ungefähr war einst praktisch der gesamte Meeresboden beschaffen.
Dann aber tauchten Tiere mit wurmartigem Körperbau auf, der es ihnen ermöglichte, sich in alle drei Raumrichtungen zu bewegen. Sie fingen an, sich ins Sediment einzubuddeln und dort Gänge zu graben, und das hatte zur Folge, dass Sauerstoff eindringen konnte und es komplexeren Lebewesen erlaubte, sich dort aufzuhalten. Das ermöglichte die Entstehung ganz neuer Ökosysteme. Würmer haben unsere Welt grundlegend umstrukturiert.
Wenn die Fremen in »Dune« auf einem Sandwurm reiten wollen, locken sie ihn mit einem Gerät namens Klopfer oder Plumpser an, das auf den Untergrund hämmert. Spüren echte Würmer ebenfalls Vibrationen?
Ja, viele Vögel trommeln auf den Boden und locken damit Regenwürmer an die Oberfläche, die sie dann erbeuten. Möwen beispielsweise machen das so. Ich glaube aber nicht, dass sie auf den Würmern reiten.
Wenn Sie die passende Körpergröße hätten, um einen Wurm zu lenken wie ein Pferd mit Zügeln – meinen Sie, das wäre ähnlich großartig, wie auf den riesigen Exemplaren in »Dune« zu reiten?
Es kommt darauf an, um was für eine Art von Wurm es sich handelt und wohin er unterwegs ist. Es gibt etliche, die auf der Oberfläche von Sedimenten herumkriechen; auf denen könnte man vielleicht tolle Ausflüge unternehmen. Bei solchen allerdings, die sich eingraben, kann die Reise ziemlich beengt und unangenehm werden.
Welche Fakten über Würmer finden Sie besonders spannend?
Es gibt etwa 30 verschiedene Tierstämme; mehr als die Hälfte davon sind Würmer. Ein Wurm zu sein, ist offenbar eine wirklich gute Sache. Viele Tiere, die früher nicht wurmähnlich waren, sind es im Lauf der Evolution geworden. Denken Sie an Echsen, die ihre Beine zurückgebildet und sich zu Schlangen oder Wurmschleichen entwickelt haben. Würmer haben alle möglichen Lebensräume erobert, es gibt sogar welche, die in hydrothermalen Schloten in der Tiefsee leben.
Was halten Sie davon, dass die Tiere, über die Sie forschen, eine so prominente Rolle in einem Blockbuster spielen?
Ich finde es großartig. Obwohl echte Würmer denen in »Dune« nicht wirklich ähneln, gibt es durchaus einige Dinge im Aussehen oder im Verhalten, die bei beiden übereinstimmen. Wenn der Film nur eine Hand voll Leute auf diese Tiere aufmerksam macht, so dass sie ein Interesse dafür entwickeln, wäre das schon fantastisch.
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