Partnerschaft: Beziehungsunfähig – was heißt das eigentlich?

Warum verliebe ich mich immer in die Falschen? Der eine ist frisch getrennt und hängt noch an seiner alten Beziehung. Der andere will zur Selbstfindung mehrere Monate durch Indien reisen. Manche wissen nicht so recht, ob sie überhaupt eine Beziehung wollen, und bleiben immer ein bisschen auf Distanz. Und dann gibt es noch die, die sich zu sehr bemühen und schon beim zweiten Date die Namen der gemeinsamen Kinder planen. Egal, wo das Problem liegt: Daraus wird nichts. All das hat von vornherein keine Zukunft.
Wer solche Erfahrungen kennt, fragt sich vielleicht hin und wieder, woran es liegt, dass es in der Liebe nicht so recht läuft. War es einfach Pech, dass es bisher nicht gepasst hat? Liegt es an den potenziellen Partnern? Oder bin ich womöglich selbst »beziehungsunfähig«? Der Begriff hat sich im Sprachgebrauch eingenistet. 2016 schrieb sich Michael Nast mit seinem Buch »Generation Beziehungsunfähig« in die Bestsellerlisten. Darin zeichnete er das Bild einer Generation, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um sich wirklich binden zu können oder zu wollen. Doch was sagt die Forschung dazu?
Kann man »beziehungsunfähig« sein?
»Als klinische Diagnose gibt es ›Beziehungsunfähigkeit‹ nicht«, sagt Beate Ditzen. Sie ist Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Heidelberg und ausgebildete Paartherapeutin. Fachlich anerkannt sind dagegen so genannte frühkindliche Bindungsstörungen, für die es eine eigene Diagnose gibt und die als Risikofaktor für bestimmte psychische Krankheiten gelten. »Die Borderline-Persönlichkeitsstörung beispielsweise ist geprägt davon, dass Betroffene früh schwierige, zum Teil traumatische Beziehungserfahrungen gemacht haben und sich als Erwachsene sehr ambivalent verhalten, Nähe suchen und plötzlich wieder ablehnend ihrem Partner gegenüber sind«, erklärt Ditzen.
Solche widersprüchlichen Signale deuten auf Probleme mit Beziehungen hin. Das heißt: In einem Moment kann eine Person von ihrem Partner nicht genug bekommen, im nächsten ist ihr alles zu viel. Beate Ditzen spricht dann von einer hohen Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und dem nach Distanz. »Das kann passieren, wenn ein Kind in seinem sozialen Umfeld früh und wiederholt schwer traumatisiert wurde.« Nachvollziehbar, dass auch spätere Beziehungen noch darunter leiden. »Eine lerntheoretische Erklärung hierfür wäre, dass diese Menschen nie gelernt haben, dass die Nähe von anderen ihnen Sicherheit und Schutz bringt. Stattdessen wird Nähe mal als Schutz, mal als Bedrohung wahrgenommen«, sagt Ditzen. Je ausgeprägter dieser Wechsel zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und nach Distanz ist, desto deutlicher spricht das für eine psychische Erkrankung – und für eine Tendenz zu einer Art von »Beziehungsunfähigkeit«.
»Als klinische Diagnose gibt es ›Beziehungsunfähigkeit‹ nicht«Beate Ditzen, Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Heidelberg
Auch bei anderen psychischen Störungen kann die Fähigkeit, Beziehungen zu führen, eingeschränkt sein. »Alle psychischen Erkrankungen tangieren Bindungen zu anderen Menschen in einem gewissen Maß«, sagt Beate Ditzen. Sei es durch eine Depression, die den Antrieb und die Lust auf Menschen mindert, oder eine soziale Phobie, die Begegnungen mit anderen Menschen zur Qual macht.
Dass sich Menschen in Beziehungen unterschiedlich verhalten, kann auch anhand der so genannten Bindungsstile erklärt werden. Doch sie stellen ebenfalls keine klassische Diagnose dar. »Wenn wir Bindungsstile innerhalb von Paarbeziehungen erforschen, geht es uns eher darum, wie sich größere Gruppen voneinander unterscheiden. Wie denken Menschen mit unterschiedlichen Bindungsstilen allgemein über Beziehungen? Welche Gefühle verbinden sie damit?«, erläutert der Neurowissenschaftler Pascal Vrticka, Professor für Psychologie an der University of Essex in England.
Ursprünglich stammt die Bindungstheorie von der Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth. In den 1970er Jahren untersuchte sie das Verhalten von Mutter-Kind-Paaren. Die Kinder wurden im Alter von ungefähr einem Jahr Situationen mit zunehmendem Stresslevel ausgesetzt. Ainsworth beobachtete verschiedene Reaktionsmuster, aus denen sie drei Arten von Bindung ableitete: den sicheren, den unsicher-vermeidenden und den unsicher-ambivalenten Bindungsstil.
Die typischen Bindungsstile in Partnerschaften
Cindy Hazan and Phillip Shaver von der University of Denver schlugen 1987 vor, die drei Bindungsstile auch auf romantische Beziehungen zu übertragen, und fanden sie in den Antwortmustern von Erwachsenen wieder. Inzwischen gibt es mehr als zwei Dutzend Fragebögen und Interviewleitfäden, die Bindungsstile von Erwachsenen erfassen. In den 1990er Jahren entwickelte Kim Bartholomew von der Stanford University jene Theorie, die heute am verbreitetsten ist. Demnach gibt es zwei Dimensionen der Bindung, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können: Angst und Vermeidung, entsprechend dem Bedürfnis nach Nähe und dem Bedürfnis nach Distanz. Menschen mit starken Bindungsängsten sorgen sich sehr darum, ob der Partner sie wirklich liebt; sie befürchten, zurückgewiesen oder verlassen zu werden. Menschen, die Bindung vermeiden, sorgen sich dagegen um ihre Autonomie und haben Probleme, sich zu öffnen und anderen zu vertrauen.
Wenn man die beiden Dimensionen kombiniert, entstehen laut Bartholomews Modell vier typische Bindungsstile. Zeigt eine Person sowohl wenig Bindungsangst als auch wenig Bindungsvermeidung, ist sie sicher gebunden. Sie vertraut ihrem Partner, kann Nähe zulassen und hat keine Angst, verlassen zu werden. Hohe Ängstlichkeit und geringe Vermeidung kennzeichnen den unsicher-ängstlichen Bindungsstil. Die Betroffenen neigen zu Eifersucht und befürchten, nicht so sehr geliebt zu werden, wie sie es brauchen. Personen mit einem unsicher-vermeidenden Stil sind wenig ängstlich, aber stark vermeidend. Sie vertrauen ihrem Partner nicht, machen sich nicht gerne von anderen Menschen abhängig und fühlen sich unwohl, wenn sie dies tun müssen.
Schließlich gibt es auch noch den ängstlich-vermeidenden oder ambivalenten Bindungsstil: Hier sind sowohl Ängstlichkeit als auch Vermeidung stark ausgeprägt. Die Betroffenen wünschen sich enge Beziehungen, fühlen sich allerdings nicht wohl dabei, anderen zu vertrauen und ihnen emotional nahe zu kommen. »Daraus resultierende Beziehungen sind dann häufig instabil«, sagt Beate Ditzen. Denn das Bedürfnis nach Nähe und Distanz schwanke und somit sei das Verhalten inkohärent, nicht vorhersehbar. »Diese Fälle sind aber sehr selten«, sagt Beate Ditzen. Die anderen beiden unsicheren Bindungsstile kommen häufiger vor. Am häufigsten sei jedoch die sichere Bindung, berichteten Hazan und Shaver bereits 1994.
»Solange jemand keine Probleme damit hat, ist eine vermeidende Bindung nichts grundsätzlich Negatives«Pascal Vrticka, Neurobiologe
Wer sich oder jemand anderen als beziehungsunfähig bezeichnet, will damit wahrscheinlich ein Verhalten erklären, das typisch ist für eine unsicher-vermeidende Bindung. Doch rät Pascal Vrticka zur Vorsicht. »Alle Bindungsstile stellen nützliche und meist notwendige Anpassungen an unsere Umwelt dar. Sie beschreiben unterschiedliche Strategien zur Stressregulation in unangenehmen oder bedrohlichen Situationen. Haben wir zum Beispiel oft erlebt, dass uns in solchen Situationen niemand ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, macht es durchaus Sinn, uns anderen gegenüber eher misstrauisch und distanziert zu verhalten«, sagt er und fordert daher: »Die Bindungstheorie sollte nicht herangezogen werden, um Aussagen zu treffen über die grundsätzliche Fähigkeit oder Unfähigkeit, Beziehungen zu führen. Alle Bindungsstile, auch die unsicheren, haben stets Vor- und Nachteile.« Beate Ditzen sieht das ähnlich: »Das Gefühl, dass Nähe schnell zu viel wird, bedeutet nicht gleich, dass die Person beziehungsunfähig ist.« Es bedeute lediglich, dass die Person zu einem vermeidenden Beziehungsstil tendiert.
Beide betonen: Das Konzept der Bindungsstile sollte ursprünglich erklären, wie Kinder – später auch als Erwachsene – mit Stress umgehen. Ein sicherer Bindungsstil erlaubt ein flexibles Verhalten. »Das wäre zum Beispiel jemand, der ins Ausland geht oder eine neue berufliche Herausforderung annimmt, weil er weiß: Ich habe eine Grundsicherheit, was mein soziales Gefüge angeht«, erklärt Ditzen. In herausfordernden Situationen, etwa bei Krankheit oder einer wichtigen Prüfung, würde diese Person dann mehr Nähe suchen. Unsicher gebundene Menschen sind weniger flexibel. Wer eher vermeidend gebunden ist, meint vielleicht, Stress stets selbst regulieren zu müssen, und sucht wenig Unterstützung bei anderen. Bei ängstlich gebundenen Menschen ist das Gegenteil der Fall: Sie brauchen sehr viel Nähe und regulieren Stress vor allem über ihre Kontakte zu Mitmenschen.
Gute Bindung, schlechte Bindung?
Dennoch gibt es keine guten oder schlechten Bindungsstile. »Eine Person mit vermeidenden Bindungstendenzen kann sich durchaus wohlfühlen, wenn sie nicht allzu viele enge Kontakte hat und eher unabhängig ist. Solange sie damit keine Probleme hat und ein erfülltes Leben führt, ist eine vermeidende Bindung nichts grundsätzlich Negatives«, sagt Vrticka. Ähnliches gilt für die unsicher-ängstliche Bindung. Personen, die viele enge Kontakte pflegen und diese auch brauchen, um Probleme zu bewältigen, seien nicht besser oder schlechter aufgestellt als andere. Eine unsichere Bindung gilt zwar als Risikofaktor für psychische Probleme wie Depressionen. Aber das betrifft vor allem ausgeprägte Bindungsstörungen und viel mehr Bindungsängste als Bindungsvermeidung. Über den Einzelfall sagen solche Befunde ohnehin nichts aus.
Die Gefahr besteht laut Ditzen eher darin, dass Menschen mit unsicheren Bindungsstilen als »psychisch krank«, als »beziehungsunfähig« oder zumindest als »beziehungsunwillig« abgestempelt werden. Das erspart dem Umfeld die Selbstreflexion: »Wenn man jemand anderen als beziehungsunfähig etikettiert, dann liegt es nicht an einem selbst«, erläutert Beate Ditzen. Dabei könnte es genauso gut sein, dass das Gegenüber schlicht nicht besonders interessiert ist und nur in dieser konkreten Beziehung Distanz hält.
In einer bestehenden Partnerschaft hingegen lohnt es sich, offen über die eigenen Bindungstendenzen zu sprechen und den anderen ebenfalls dazu einzuladen. Stellt sich dabei heraus, dass einer der Partner unter Bindungsproblemen leidet, kann es bereits helfen, das Problem zu erkennen und zu verstehen. »Es kann unmittelbar entlasten, sowohl die Person, die sich so verhält, als auch ihren Partner. Langfristig hilft das allerdings nur, wenn sich die beiden auch anders verhalten«, weiß die Paartherapeutin. Das Problem zu verstehen, ist der erste Schritt. Der zweite: gemeinsam zu überlegen, wie man am besten damit umgeht. »Man kann mit einer tendenziell vermeidend gebundenen Person eine stabile Beziehung führen«, berichtet Beate Ditzen. Die Forschung hat sogar ergeben, dass Beziehungen zwischen einer ängstlichen und einer vermeidenden Person über die Zeit besonders stabil sind. Außerdem kann ein sicher gebundener Partner Angst und Vermeidung seitens des anderen auffangen.
Bindungsstile sind nicht ein für alle Mal festgelegt; durch neue Erfahrungen können sie sich verändern. »Das kann zum einen bei einschneidenden Erlebnissen passieren, etwa wenn man seinen Partner verliert oder die Eltern sterben«, sagt Pascal Vrticka. Oder wenn man in eine fremde Stadt umzieht – Erlebnisse also, die das soziale Umfeld betreffen. Solche Erfahrungen können einen Menschen tendenziell bindungsängstlicher oder -vermeidender machen. Doch es geht auch andersherum: Unsichere Personen, die von einem sicher gebundenen Partner viel Schutz und Geborgenheit innerhalb ihrer Beziehung erfahren, können selbst sicherer werden. Das nenne man »earned security«, so Vrticka.
Noch dazu sind Bindungsstile auch von Personen und Situationen abhängig. Man kann zum Beispiel in der Partnerschaft unsicher gebunden sein, zur Schwester oder besten Freundin aber eine sichere Bindung haben. Ein Bindungsstil tritt zudem nicht ständig zu Tage, sondern wird nur in bestimmten Situationen aktiviert, folgt dann jedoch einem typischen Muster.
»Einer Theorie zufolge gibt es eine erlernte Grundbindung, die sich vor allem in sehr stressigen Situationen zeigt«, sagt Vrticka. Sie ist stets unterschwellig vorhanden und äußert sich besonders dann, wenn man eher intuitiv handelt.
Der Bindungsstil kann sich ändern
Was aber kann man tun, wenn man merkt, dass man selbst in Beziehungen immer wieder dieselben Probleme hat? Schon die Erkenntnis als solche mag helfen. Wenn ich immer wieder an Personen gerate, die mich ständig kritisieren oder in schwierigen Zeiten im Regen stehen lassen, kann das auch ein Muster sein. »Dann ist es eher unwahrscheinlich, dass man allein durch Zufall beim nächsten Mal an eine nette Person gerät«, sagt die Paartherapeutin Beate Ditzen. Im Gegenteil: Wir wiederholen negative Beziehungsmuster. Wer schon schwierige Beziehungen geführt hat, vielleicht sogar traumatisiert wurde, neigt demnach eher dazu, sich wieder in eine ähnliche Situation zu bringen.
Um aus diesem Muster auszubrechen, rät die Psychologin zur Selbstreflexion. Wenn ich Menschen attraktiv finde, die emotional distanziert sind oder die mich sogar schlecht behandeln – woran könnte das liegen? Der nächste Schritt: etwas anderes ausprobieren. Beispielsweise sich zur Abwechslung mal mit jemandem zu verabreden, den man auf den ersten Blick nicht interessant findet. Bei einem Treffen könnte man sich dann überlegen, was einem an dieser Person gefällt. Vielleicht ist es zum Beispiel schön, dass das Gegenüber aufmerksam zuhört. »Beim ersten Treffen muss es nicht gleich zu starken Gefühlen kommen. Es ist eher ein langsamer und reflektierter Prozess«, sagt die Psychologin.
Viele Menschen meinen, sie würden ihre große Liebe auf den ersten Blick erkennen. Dazu tragen Dating-Apps bei. Hier gilt es schnell zu entscheiden: Finde ich diese Person attraktiv? Interessiert sie mich? »Die Wahrscheinlichkeit, an jemandem Gefallen zu finden, von dem man es vielleicht nicht erwartet hätte, ist höher, je öfter man dieser Person begegnet«, sagt Beate Ditzen. Dafür könne jeder selbst sorgen. Entweder schafft man Gelegenheiten, andere wiederholt zu treffen und mit der Zeit besser kennen zu lernen, etwa in einem Chor oder im Sportverein. Oder man erinnert sich beim ersten Date bewusst daran, dass man spontan schon wiederholt die falsche Wahl getroffen hat – und lässt sich dieses Mal etwas mehr Zeit.
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