Corona-Impfung: Was hilft gegen Skepsis vor der Corona-Impfung?
Operation Warp Speed – die Initiative der US-Regierung zur möglichst rasanten Entwicklung einer Covid-Impfung – gegen das Coronavirus – hat ihrem Namen alle Ehre gemacht und einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt: Bisher war der Impfstoff gegen Mumps mit einer Entwicklungszeit von nur vier Jahren das schnellste jemals entwickelte Vakzin, nun aber hat es gerade einmal ein Jahr gedauert, bis die ersten Coronavirus-Impfstoffe nach Beginn der Pandemie verfügbar sind.
Doch jetzt wartet eine andere Hürde auf die Wissenschaft: Sozialwissenschaftler und Kommunikationsprofis des öffentlichen Gesundheitswesens müssen dafür sorgen, dass genügend Menschen tatsächlich die Ärmel hochkrempeln und sich impfen lassen. Und das zweimal pro Person – für die beiden Dosen der Impfstoffe von Pfizer-Biontech oder Moderna, die die US-Gesundheitsbehörde in den USA und in die Arzneimittelbehörde EMA in der EU für den Notfall zugelassen haben. Irgendwo zwischen 60 und 90 Prozent der Erwachsenen und Kinder müssen geimpft sein oder nach einer Infektion Antikörper gebildet haben, damit wir endlich den sicheren Hafen der »Herdenimmunität« erreichen – und damit dann auch jeder in der Gemeinschaft geschützt ist.
In den USA und vielen europäischen Ländern warten zahlreiche Menschen begierig darauf, sich impfen zu lassen – nach Monaten mit steigenden Todeszahlen, einer kollabierenden Wirtschaft, Aktivitätseinschränkungen und der Angst, krank zu werden. Aber: Es gibt in der Bevölkerung auch viele, die vor der Impfung zögern oder sie rundheraus ablehnen.
Solche zurückhaltenden und misstrauischen Menschen gibt es in verschiedenen Ecken der Gesellschaft, und sie alle haben zum Teil unterschiedliche und sehr spezifische Bedenken. Somit braucht es auch gezielte Aktionen und Kommunikationsstrategien, um bei den verschiedenen Gruppen um Akzeptanz für die neuen Impfstoffe zu werben. Der Politikwissenschaftler Brendan Nyhan vom Dartmouth College verdeutlicht den dabei nötigen Spagat am Beispiel der US-Gesellschaft: »Die jeweils ideale Ansprache wird sich bei der Black Community und den Anhängern der Republikanern unterscheiden«. Nyhans Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Kommunikationsproblemen, die bei der Gesundheitsversorgung und in der Politik vorkommen können. »Wir müssen jede Gruppe dort abholen, wo sie steht«, sagt der Kommunikationsprofi – und »die Gründe für Misstrauen verstehen.«
Aber auch die Gruppe der Impfwilligen muss wahrscheinlich durch eine konzertierte Aktion der Gesundheitsbehörden motiviert werden, damit sie ihre gute Absicht dann auch wirklich in die Tat umsetzen. Denn egal ob es darum geht, wählen zu gehen oder sich impfen zu lassen: Ein bis zwei Drittel aller Personen mit einem bestimmten, klaren Vorsatz bleiben am Ende untätig, sagt Katy Milkman, Kodirektorin der »Behavior Change for Good Initiative« an der University of Pennsylvania. Milkman erforscht hier Wege, die Kluft zwischen Absicht und Ausführung zu überbrücken.
»Wir müssen die Gründe für das Misstrauen verstehen«
Brendan Nyhan
In der Gesundheitskommunikation gilt die These, dass bei Themen der öffentlichen Gesundheit Vertrauen und Fortschritt nur im Gleichschritt vorankommen und nicht in unterschiedlichem Tempo. Die Forschungen von Nyhan, Milkman und vielen anderen Gruppen zeigen aber zum Glück Wege auf, wie man bei der Vertrauensbildung helfen kann – um so am Ende mehr Menschen dazu zu bewegen, sich impfen zu lassen. Tatsächlich weisen Empfehlungen in eine zunächst überraschende Richtung: Eher ungeeignet wäre die Strategie, falsche Vorstellungen der Menschen über die Gefahren von Impfungen direkt zu widersprechen. Stattdessen muss man den Leuten mit Empathie begegnen.
Eine Mehrheit will sich impfen lassen
In den USA und auch in Deutschland wollen sich die meisten Menschen gegen Sars-CoV-2, den Erreger von Covid-19, impfen lassen: Aktuelle Umfragen des ARD-DeutschlandTrend von Anfang Januar 2021 zeigen beispielsweise, dass eine Mehrheit von 54 Prozent der repräsentativ Befragten sich auf jeden Fall und 21 Prozent »wahrscheinlich« gegen das Coronavirus impfen lassen möchten. Die Impfbereitschaft ist dabei in den vergangenen Monaten recht deutlich gestiegen – und das vor allem bei den unter 65-Jährigen, die als Gruppe einer Impfung zuvor eher zurückhaltend gegenüberstanden.
Insgesamt möchten sich Ältere typischerweise weit eher impfen lassen als Jüngere. Der Enthusiasmus der Senioren ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass sie besonders anfällig für einen lebensbedrohlichen Verlauf von Covid-19 sind. Und so sieht der nationale Impfplan in Deutschland vor, ältere Menschen in Pflegeheimen und Einrichtungen für betreutes Wohnen besonders früh mit dem zunächst noch knappen Impfstoff zu versorgen.
Viele aber, vor allem auch jüngere Menschen müssen warten, bis sie an der Reihe sind – und sich dann persönlich bemühen, ihre Impfungen zu bekommen. Und das ist ein kritischer Punkt, sagt Milkman: Wenn Menschen zum Beispiel ihre jährliche Grippeschutzimpfung versäumen, sagt sie, »wird angenommen, dass es einen tief sitzenden Wunsch gibt, sie auszulassen, eine tiefe Angst vor unerwünschten Nebenwirkungen. Aber in Wahrheit vergessen sie sie schlicht sehr häufig. Das Prozedere ist ein bisschen lästig, und sie kommen nicht dazu.«
Hier könnte man mit recht simplen Interventionen gegensteuern, wie Forschungsergebnisse belegen. Nachweislich am wirksamsten ist laut Milkman, die gewünschte Handlung – in diesem Fall die Impfung – zum Verhaltensstandard zu machen. Eine Studie der Rutgers University aus dem Jahr 2010 wies nach, dass sich die Impfrate um 36 Prozent erhöht, wenn Personen darüber informiert werden, dass ihre Impfdosis an einem ganz bestimmten Tag an einem bestimmten Ort auf sie wartet (wobei sie den Impftermin auch auf einen anderen Zeitpunkt verlegen können). Die Kontrollgruppe hatte stattdessen nur per E-Mail einen Link erhalten, um selbst einen Termin auszumachen. Also: Ein Opt-out funktioniert besser als ein Opt-in-Verfahren.
Eine andere effektive Taktik ist es, Erinnerungen penetrant einfach immer und immer wieder zu schicken. Milkman selbst hat das bei einer 2019 durchgeführten Studie getestet: Ziel war, mehr Menschen dazu zu bringen, eine begonnen medikamentöse Behandlung auch bis zum Ende mitzumachen. Milkmans Team hatte dafür 1104 Tuberkulosepatienten in Kenia in zwei Versuchsgruppen aufgeteilt: etwa die Hälfte in eine Kontrollgruppe, während alle anderen täglich Textnachrichten geschickt bekamen, die sie an die Einnahme ihrer Medikamente erinnerten. Wenn sie darauf nicht reagierten, erhielten sie zwei weitere SMS-Erinnerungen am selben Tag und, falls das auch nichts nutzte, Telefonanrufe. Im Grunde also, sagt Milkman, bestand die Strategie darin, »sie ständig zu nerven«. Aus der Gruppe der Genervten konnten am Ende 96 Prozent der Patienten erfolgreich bis zum Ende behandelt werden, verglichen mit etwa 87 Prozent in der Kontrollgruppe.
Aber welche Form der Erinnerung funktioniert am besten? Milkman und ihre Kollegen Angela Duckworth und Mitesh Patel haben dazu Studien mit Walmart-Apotheken und den Versorgungssystemen in zwei Regionen der USA durchgeführt. Dabei testeten sie unterschiedliche SMS-Nachrichten, die Probanden zur Grippeimpfung animieren sollten. Das Team ist noch dabei, die Daten zu analysieren, aber der erste Blick auf die Impfdaten aus den Gesundheitseinrichtungen legen nahe, dass die einfache, Tage oder Stunden vor dem Termin verschickte Erinnerung an eine Grippeimpfung »tatsächlich nützlich« ist, sagt Milkman: »Wir haben versucht, interaktiv und witzig zu sein, und ich bin mir nicht sicher, ob irgendetwas davon notwendig war.« Die für Anfang 2021 zur Veröffentlichung vorgesehene Studie war bereits darauf angelegt worden, auch die Bemühungen um die Coronavirus-Impfstoffe einfließen zu lassen.
Zögerliche Impfbereitschaft in der Mitte der Gesellschaft
Das US-Ministerium für Gesundheitspflege und Soziale Dienste arbeitet unterdessen an einer Kommunikationsstrategie für die Impfkampagnen – unter prominenter Beteiligung etwa von Anthony Fauci, dem Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases, und dem operative Leiter des US-Gesundheitssystems, Jerome Adams. Die »New York Times« berichtet aus einem Entwurf, die Kampagne würde auf die »bewegliche Mitte« abzielen – Menschen, die zwar zögern, sich impfen zu lassen, die aber nicht strikt dagegen sind.
Die Anti-Impf-Bewegung war in den letzten Jahren einige Male in den Schlagzeilen – Sozialwissenschaftler, die über Impfverweigerung forschen, sehen die Hardcore-Anti-Vaxxer allerdings als nur sehr kleine Gruppe, über die Sorgen zu machen sich wahrscheinlich nicht lohnt. CDC-Daten von 2019 zufolge waren zum Beispiel nur 2,5 Prozent der US-Kindergartenkinder völlig ungeimpft. In Deutschland sind laut einer Studie von Wissenschaftlern des »Versorgungsatlas« von 2017 Kinder vor allem in wenigen regional begrenzten Räumen unterdurchschnittlich häufig nicht geimpft worden.
»Wir sind mehr daran interessiert, Menschen anzusprechen, die ambivalent sind, um sie in die richtige Richtung zu stupsen«, sagt Rupali Limaye, die über Gesundheitskommunikation an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health forscht. Die Arbeit von Limaye und anderen verdeutlicht einige Dos und Don'ts, die bei der Ansprache von zögerlichen Personen wichtig sind. »Eindrücklich gelernt haben wir eine Sache: Wir sollten falsche Vorstellungen nicht korrigieren. Denn dann haben die Leute das Gefühl, wir wären herablassend«, sagt sie. Das lässt sich etwa aus einer großen Studie aus dem Jahr 2014 unter der Leitung von Nyhan schließen, in der Informationskampagnen für impfskeptische Eltern untersucht wurden. Es existieren keinerlei glaubwürdigen Belege dafür, dass eine Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln mit Autismus in Zusammenhang stehen, während Masern, Mumps und Röteln ihrerseits sehr reale Gesundheitsgefahren darstellen. Dies als Information weiterzugeben hatte aber keinerlei Einfluss auf die Absicht von Eltern, ein Kind impfen zu lassen. Im Gegenteil: Durch diese Strategie verhärteten sich sogar negativ-skeptische Haltungen von Impfgegnern.
Anstatt zu widersprechen, sollte man besser »mit Empathie an die Sache herangehen«, sagt Limaye. Auf Fehlinformationen könne man etwas sagen wie »Es gibt eine Menge Informationen da draußen, und einige davon sind wahr, und einige davon sind nicht wahr. Lassen Sie mich Ihnen sagen, was ich weiß.« So zu antworten, helfe dem Gegenüber, »das Gefühl zu haben, dass ihm zugehört wird.«
Auch die Beschäftigten im Medizinbetrieb können Verbindung zum Gegenüber aufbauen, wenn sie Ansprachen persönlich formulieren, etwa: »Lassen Sie mich Ihnen sagen, warum ich meine eigenen Kinder geimpft habe.« Immerhin ist das sie selbst betreuende Medizinpersonal für viele die glaubwürdigste Autorität. Die Mitarbeiter des Gesundheitswesens können also für besorgte Personen zum guten Vorbild werden, wenn sie ganz vorne in der Schlange für die Coronavirus-Impfung stehen.
»Es ist ethisch geboten, ein guter, einfühlsamer Kommunikator zu werden. Damit verbessert man den Medizinbetrieb – eine systemumwälzende Lösung ist das aber nicht«
Zackary Berger
Die Impfstoffe werden nun nach und nach transparent eingeführt – und die Impfung gegen Covid kann so als normaler Standard gesetzt werden. Studien zeigen ja, dass Menschen sich typischerweise für den Abschluss von Hochwasserversicherungen oder den Kauf einer Solaranlage für ihr Haus entscheiden, weil ihre Nachbarn das auch getan haben. »Genau dasselbe gilt für Impfungen«, sagt Dietram Scheufele, Professor für Kommunikation in den Biowissenschaften an der University of Wisconsin-Madison. Er und Milkman halten es für eine gute Idee, Aufkleber mit der Aufschrift »Ich habe mich impfen lassen« zu verteilen, ähnlich wie die »Ich habe gewählt«-Aufkleber, mit denen die Leute zur Wahl gehen, oder einem digitalen Äquivalent für das Facebook-Profil. Umso besser, wenn sich Prominente und Sportstars diesem Trend anschließen.
Probleme bei armen Menschen und Minderheiten
Bestimmte Gruppen der Gesellschaft – etwa wirtschaftlich schlechter gestellte Menschen oder solche aus ethnischen Minderheiten – verlangen nach spezifischeren und gezielteren Botschaften und Aktionen, wenn man hier Impfzurückhaltung ansprechen möchte. Für die Situation in den USA sieht Samantha Artiga, Vizepräsidentin und Direktorin des Racial Equity and Health Policy Program der Kaiser Family Foundation, Hindernisse vor allem in zwei Bereichen: beim Zugang und beim Vertrauen. Zu den Zugangsbarrieren gehört, wo und wann der Impfstoff erhältlich ist: Können Personen, die kein Auto besitzen oder in Spätschichten arbeiten, problemlos geimpft werden? Was ist mit Arbeitnehmern, die keinen unbezahlten Krankenstand haben und berechtigte Ängste vor Nebenwirkungen der Impfung haben? Impfstoffverteilungs- und Kommunikationspläne müssen diese Fragen berücksichtigen und Fehler vermeiden, die bei der Verfügbarkeit von Covid-Tests gemacht wurden.
Bewegliche Ziele bei der Ansprache
Bei den schon verfügbaren und den noch auf die Zulassung wartenden Impfstoffen bleiben Unklarheiten, die ausgeräumt werden sollten, etwa die Frage nach seltenen Nebenwirkungen oder der Dauer des Impfschutzes. Kommunikation und Aufklärungsprozesse müssen also zeitnah und schnell auf neue Entwicklungen reagieren. Transparenz wird der Schlüssel sein, wenn neue Impfphasen beginnen, Probleme auftreten oder neue Daten auftauchen. Darauf verständigten sich auch die Referenten des Webinars der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine zum Thema »Vertrauen in Impfstoffe«: Herausfordernd werde sicher vor allem der Umgang mit Fehlinformationen und unverantwortlicher Berichterstattung sein, etwa mit News-Storys, die ohne weitere Einordnung von Impfpannen oder Nebenwirkungen der Impfstoffen berichten. Derartiges ist vorgekommen – in den USA gab es etwa einige Berichte über einen Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Alaska, der eine schwere allergische Reaktion erlitt. Nicht erwähnt wurde gleichzeitig, dass Zehntausende ohne größere Zwischenfälle geimpft worden waren.
Aber ganz egal, wie schnell, zielgerichtet und forschungsbasiert die Impfkommunikation ausfällt: Man sollte sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pandemie Missstände in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge offengelegt hat, die Misstrauen durchaus rechtfertigen – etwa die strukturelle Ungleichheit des Systems. »Es ist ethisch geboten, ein guter, einfühlsamer Kommunikator zu werden. Damit verbessert man den Medizinbetrieb – eine systemumwälzende Lösung ist das aber nicht«, sagt der Medizinethiker Zackary Berger von der Johns Hopkins School of Medicine. Er und andere Experten hoffen, dass die durch Impfstoffe eingeleitete postpandemische »Normalität« dann auch eine Normalität mit weit weniger Ungerechtigkeiten sein wird.
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