Direkt zum Inhalt

Medizinforschung: Was Homöopathen besser machen

Ein interdisziplinäres Forscherteam hat umfassend analysiert, wie geschickt die Homöopathie Behandlungserwartungen nutzt – und was sich die evidenzbasierte Medizin davon abschauen sollte, um Patientinnen und Patienten wirksamer zu therapieren.
Eine Person mit Klemmbrett hört einer Patientin aufmerksam zu

Die Erwartungen an eine Therapie sind entscheidend für ihren Erfolg. Das ist eine zentrale Erkenntnis aus den letzten zwei Jahrzehnten Placebo-Forschung. So wirkt beispielsweise das Migränemedikament Rizatriptan deutlich besser, wenn ein Patient davon ausgeht, dass es ihm helfen wird.

Wie kann man also positive Annahmen erzeugen, um Behandlungen noch wirksamer zu machen? Dieser Frage ging ein Team des Sonderforschungsbereichs Treatment Expectation um den Psychologen Winfried Rief von der Universität Marburg und die Neurologin Ulrike Bingel vom Universitätsklinikum Essen jetzt am Beispiel der Homöopathie nach. Die Forscher analysierten in einer umfangreichen Literaturrecherche wissenschaftliche Studien zum Thema, um daraus Handlungsempfehlungen für die Praxis abzuleiten.

Viele Patienten berichten davon, dass ihnen Homöopathie hilft. An den verabreichten Globuli kann das jedoch nicht liegen, denn sie enthalten nachweislich keinen pharmakologischen Wirkstoff. Überblicksarbeiten, die randomisierte kontrollierte Studien berücksichtigen, kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass die Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt. »Der Placeboeffekt an sich kann aber schon sehr mächtig sein«, sagt der Studienautor und psychologische Psychotherapeut Marcel Wilhelm von der Universität Marburg. Zudem könne er unterschiedlich stark ausfallen – je nachdem, wie man einem Patienten eine Behandlung erklärt, sie einbettet und verabreicht.

»Der Placeboeffekt an sich kann sehr mächtig sein«Marcel Wilhelm, psychologischer Psychotherapeut

In ihrer Überblicksarbeit stellten die Forschenden drei Faktoren heraus, die das Vertrauen in eine Therapie maßgeblich beeinflussen – und die Homöopathen sich erfolgreich zu Nutze machen: Vorabinformationen (etwa ausführliche Erklärungen über ein Verfahren und seine Bewährtheit oder positive Fallberichte), Kontextfaktoren der Behandlung (technische Messgeräte, Zertifikate, Rituale) und die Kommunikation zwischen Therapeut oder Ärztin auf der einen und Patient auf der anderen Seite.

Wie sich der Placeboeffekt steigern lässt

»Was in der Homöopathie besonders gut gemacht wird, ist, Behandlungserwartungen zu optimieren, unter anderem durch eine empathische Kommunikation, deutlich mehr Zeit im Gespräch als bei konventionellen medizinischen Behandlungen, bestimmte Regeln für die Einnahme von Globuli und vieles mehr«, erläutert Marcel Wilhelm.

Mit Kollegen und Kolleginnen hat er auf Grundlage der gemeinsamen Analyse konkrete Empfehlungen für behandelnde Ärztinnen und Ärzte erarbeitet, welche Mechanismen sich die wissenschaftlich fundierte Medizin abschauen sollte, um den Placeboeffekt noch besser auszuschöpfen und den Erfolg ihrer Therapien zu steigern.

Zertifikate und Arztkittel als Zeichen von Kompetenz

Die Wissenschaftler raten Medizinern unter anderem, einfühlsam und empathisch mit den Patienten zu sprechen, sie ausreden zu lassen, ihre Sichtweisen über die Symptome und Ursachen wertzuschätzen und sich viel Zeit zu nehmen, um die geschilderten Probleme auch wirklich zu verstehen. Um das Vertrauen in die Kompetenz der Behandelnden zu stärken, empfehlen sie diesen, einen Arztkittel und ein Stethoskop zu tragen und ihre Qualifikation anhand von Zertifikaten an der Wand zu verdeutlichen.

Vor Beginn der Behandlung sei es sinnvoll, neben Informationen zur Wirksamkeit auch anschaulich von anderen Patienten mit ähnlicher Diagnose zu berichten, denen die Therapie geholfen hat, oder sogar in Kontakt mit ihnen zu treten. Man solle zudem verdeutlichen, wie wertvoll die Behandlung ist, wie sie wirken wird und dass sie individuell auf den Patienten, seine Beschwerden, seine Geschichte und Persönlichkeit abgestimmt ist. Darüber hinaus sei es hilfreich, ein ganzheitliches Erklärungsmodell der Krankheit zu vermitteln und Nebenwirkungen als Zeichen dafür zu werten, dass die Therapie zu wirken beginnt.

»Wir brauchen keine Globuli, um die guten Seiten von homöopathischen Behandlungen zu nutzen«Ulrike Bingel, Neurologin

Alles in allem gehe es darum, bestimmte Rahmenbedingungen der homöopathischen Behandlung in die evidenzbasierte Medizin zu integrieren, die nachweislich den Placeboeffekt verstärken. Davon könnten vielen Patienten und Patientinnen profitieren – anders als von den eigentlichen Präparaten und Methoden der Homöopathie, betont das Team. So ist beispielsweise das Prinzip der Potenzierung nicht empirisch belegt und widerspricht dem etablierten wissenschaftlichen Verständnis. Oder, wie es Ulrike Bingel ausdrückt: »Wir brauchen keine Globuli, um die guten Seiten von homöopathischen Behandlungen zu nutzen.«

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.