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Wieso ist der Mensch, wie er ist? Was veranlaßt ihn, gewisse Dinge zu tun oder zu lassen? Ein Team von Psychologen glaubt, daß sich die Vielfalt unserer Wünschen und unseres Handelns auf 15 Grundbedürfnisse zurückführen läßt. Nach ihrer Ansicht sind die meisten davon genetisch festgelegt.
Zu diesen Zielen gehören sowohl die primären Bedürfnisse, wie zum Beispiel das Verlangen nach Nahrung, als auch soziale Bedürfnisse wie das Streben nach Ansehen, sozialen Kontakten und Ehre (Psychological Assessment, Ausgabe vom Juni 1998). "Fast alle wichtigen Wünsche des Menschen können auf einen oder mehrere dieser 15 Basisbedürfnisse reduziert werden, von denen die meisten eine genetische Grundlage haben", meinte Steven Reiss, Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Ohio State University. "Unsere Taten werden von diesen Bedürfnissen gelenkt. In gewisser Weise studieren wir also den Sinn des Lebens."

Reiss zufolge ist dies das erste Mal, daß Forscher ein wissenschaftlich anerkanntes Gutachten zu den immanenten Bedürfnissen des Menschen erstellt haben. Andere Forschungen gingen immer von der Annahme aus, daß der Mensch nur ein einziges grundlegendes Bedürfnis hat bzw. nur nach einem einzigen fundamentalen Wert im Leben handelt. "Die Psychologen der Vergangenheit entwickelten Theorien, in denen ein bestimmtes Bedürfnis des Menschen über alle anderen gestellt wurde", erläuterte Reiss. "So dachte Freud beispielsweise, daß Sex für jeden das primäre Ziel sei. Unsere Ergebnisse zeigen indes, daß man bei Werten und Bedürfnissen nicht alle über einen Kamm scheren darf. Es scheint keine feststehende Hierarchie der Werte zu geben, die für alle gleichermaßen gilt."

Reiss entwickelte zusammen mit der Doktorandin Susan Havercamp die Liste der 15 grundlegenden Bedürfnisse, indem er zunächst eine Aufreihung von über 300 Aussagen erstellte. Mehr als 2 500 Menschen wurden dann gefragt, inwieweit sie Sätzen wie "Es macht mir Spaß, mir neue Fertigkeiten anzueignen", "Ich muß Schmerzen vermeiden" oder "Lieber würde ich mein Leben verlieren als meine Ehre" zustimmen oder diese ablehnen. Anhand der Antworten wurden durch eine Faktoranalyse die 15 Grundbedürfnisse und -werte ermittelt.

Zumindest zwölf davon scheinen eine genetische Grundlage zu haben, sagte Reiss. Nur die Wünsche nach Staatszugehörigkeit, Unabhängigkeit und die Angst vor Zurückweisung haben anscheinend keine genetische Komponente. "Die meisten dieser Bedürfnisse entsprechen denen bei Tieren, und ihr Wert scheint im Überleben zu liegen", erklärte der Forscher. "Das wiederum deutet darauf hin, daß sie ihrem Ursprung nach genetisch sind."

Auf der Grundlage dieser Arbeit entwickelten die Forscher einen neuen Test, die sogenannten Reiss-Profile, mit dem man individuelle Unterschiede bei diesen 15 Wünschen und Zielen messen kann. "Es ist dies der erste psychologische Test, der erstellt wurde, um die inneren Bedürfnisse einzelner Menschen darzustellen", erklärte Reiss. Er fügte hinzu, daß die bisherigen Tests bestätigt haben, daß Menschen mit einer Vielzahl von Reaktionen auf verschiedene Bedürfnisse reagieren. Ein Beispiel hierfür ist das Bedürfnis nach Sex. "Sex bereitet vielleicht jedem Freude, aber er dient nicht jedem gleichermaßen als Motiv. Bei einigen dreht sich das ganze Leben um Sex, während andere nur sehr wenig Energie und Mühen dafür aufwenden. Das gleiche gilt für jedes Bedürfnis: Einige streben nach Erfolg, andere nicht. Einigen ist die Familie ungemein wichtig, anderen wiederum nicht".

Die Reiss-Profile bieten eine breite Palette möglicher Anwendungen, wozu auch die potentielle Früherkennung von psychischen Krankheiten zählt. Psychisch Kranke haben oft extreme oder ungewöhnliche Bedürfnisse oder Wertvorstellungen, die laut Reiss mit dem Test sehr früh festgestellt werden können. Schizophrenen ist es zum Beispiel oft egal, was andere über sie denken, ihre Angst vor sozialer Ausgrenzung und ihr Wunsch nach sozialen Kontakten sind daher vermutlich wenig ausgeprägt.

Liste der grundlegenden menschlichen Bedürfnisse und Werte

Neugier das Bedürfnis zu lernen
Nahrung das Bedürfnis zu essen
Ehre (Moral) das Bedürfnis, sich in Übereinstimmung mit dem Verhaltenscodex zu benehmen
Vermeidung von Ablehnung die Furcht vor sozialer Ausgrenzung
Sex das Bedürfnis nach sexuellen Tätigkeiten und Phantasien
Körperliche Betätigung das Bedürfnis nach körperlicher Aktivität
Ordnung der gewünschte Grad an Organisiertheit im täglichen Leben
Unabhängigkeit das Bedürfnis, seine eigenen Entscheidungen zu treffen
Rache das Bedürfnis nach Vergeltung nach einem Angriff
Sozialer Kontakt das Bedürfnis, in der Gesellschaft anderer zu sein
Familie das Bedürfnis, mit der eigenen Familie Zeit zu verbringen
Soziales Prestige das Bedürfnis nach Prestige und positiver Aufmerksamkeit
Ablehnung negativer Empfindungen Aversion gegen Schmerz und Angst
Staatsbürgerschaft das Bedürfnis nach öffentlichen Diensten und sozialer Gerechtigkeit
Macht das Bedürfnis, andere Menschen zu beeinflussen

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