Ernährung: Was im Gehirn passiert, wenn wir satt sind
Davon, hungrig einkaufen zu gehen, raten Wissenschaftler schon lange ab – viel zu oft landen Produkte im Einkaufswagen, die mit vollem Magen keines zweiten Blickes gewürdigt werden. Forscher rund um Christian Burgess vom Beth Israel Deaconess Medical Center haben in einem Mäuseexperiment versucht, sich der Frage zu nähern, welche Hirnregionen genau bei Sattheit anders auf Lebensmittel reagieren.
Die Wissenschaftler trainierten auf Diät gesetzte Mäuse darauf, drei visuelle Reize zu unterscheiden. Wenn sie nach dem ersten Signal an einer Pipette leckten, wurden sie mit einer kalorienreichen Flüssigkeit belohnt. Nach dem zweiten Reiz kam eine bittere Lösung aus der Pipette, beim dritten passierte nichts.
Auf die leckere Zuckerlösung, so entdeckten die Forscher, reagierten drei verschiedene Hirnregionen der Tiere besonders stark: der primäre visuelle Kortex, der postrhinale Kortex und Axone, die von der lateralen Amygdala in den postrhinalen Kortex reichen. Letzterer spielt beim Erkennen und Erinnern eine Rolle; die laterale Amygdala formt Assoziationen zwischen Umweltreizen und den damit verbundenen Konsequenzen. Wiederholten Burgess und seine Kollegen den Versuch mit gesättigten Mäusen, nahm ihre Motivation, die leckere Flüssigkeit zu naschen, ab, ebenso die Aktivität im postrhinalen Kortex – nicht aber die im primären visuellen Kortex.
Dieses Muster erklärt Studienautor Mark Andermann so: "Visuelle Informationen über Reize, die mit Nahrung in Verbindung stehen, werden in aufeinander folgenden Stadien verarbeitet. Wir haben herausgefunden, dass spätere Stadien der visuellen Verarbeitung unterschiedlich sind, wenn die Maus hungrig oder satt ist, während die früheren Stadien weniger vom Hungerzustand abhängig sind." Beim Menschen sei das sehr ähnlich.
In dieselbe Kerbe schlägt auch eine zweite, kürzlich veröffentlichte Studie des Beth Israel Deaconess Medical Center von einem Team um Nick Jikomes: Werden spezielle Nervenzellen im Hypothalamus, die so genannten AgRP-Neurone, ausgeschaltet, fördert das Anorexie; werden sie hingegen stimuliert, steigert das das Verlangen nach Essen. Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, unter welchen Umständen eine Stimulation dieser Neurone dazu führt, dass satte Mäuse trotz Gefahr auf Essenssuche gehen.
Dazu brachten sie Mäuse in einer Arena bei, nach einem bestimmten Signal den Kopf in die Futterstation zu stecken und sich eine Belohnung abzuholen. Ein anderes Signal kündigte dagegen einen elektrischen Schock an den Füßen der Nager an, sofern sie nicht umgehend eine sichere Plattform aufsuchten. Hungrige Tiere ignorierten diese Elektroschocks zum Großteil und blieben in der Nähe der Futterstation, während gesättigte Tiere lieber ihre Füße schützten, anstatt zu fressen.
Durch die Stimulation der AgRP-Neurone brachten die Wissenschaftler schließlich auch die gesättigten Mäuse dazu, trotz Schockgefahr in der Nähe der Futterstation zu bleiben – allerdings nur, wenn diese Stimulation zuvor in einem sicheren Käfig erfolgte. Wurden die Nervenzellen dagegen erst in der furchtbesetzten Arena stimuliert, überwog das Schutzverhalten der Tiere. Die zeitliche Aufeinanderfolge von Angst auslösenden und zum Essen motivierenden Reizen scheint also einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten zu haben.
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