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Chemie: Was ist eine Wasserstoffbrückenbindung?

Seit Jahrzehnten streiten Chemiker, was eine Wasserstoffbrückenbindung ausmacht. Jetzt hat eine Kommission eine neue Definition erarbeitet. Der Befreiungsschlag?
Chemiker streiten sich gerne und mit großer Ausdauer über Namen. Das mag daran liegen, dass die Chemie unzählige unterschiedliche Dinge beschreibt, die alle auf sehr ähnliche Vorgänge zurückgehen: Atome schieben ihre Elektronen mal hierhin, mal dorthin und bilden dadurch mal diese, mal jene Struktur, ohne dass sich all das genau abgrenzen ließe. Großen Ärger verursacht seit geraumer Zeit die Wasserstoffbrückenbindung. Diese wichtige Wechselwirkung ist seit über 70 Jahren bekannt. Doch immer genauere Messmethoden haben einen ganzen Zoo seltsamer Interaktionen ans Licht gebracht – und damit einen dauerhaften Streit darüber ausgelöst, was eine Wasserstoffbrückenbindung eigentlich ist.

Im Kompendium der Chemischen Terminologie der International Union for Pure and Applied Chemistry (IUPAC), dem Goldenen Buch aller chemischen Definitionen und Bezeichnungen, findet man eine Definition, die auf Linus Pauling und sein Buch "The Nature of the Chemical Bond" von 1931 zurückgeht. Die Wasserstoffbrückenbindung ist demnach eine elektrostatische Bindung zwischen einem elektronegativen Atom und einem Wasserstoffatom, das an einem weiteren elektronegativen Atom hängt und deswegen eine positive Teilladung trägt. Das deckt vor allem die biologisch bedeutenden Bindungen ab, in denen Elemente wie Sauerstoff oder Stickstoff nach dem Muster O-H•••O oder N-H•••O über ein einzelnes Wasserstoffatom verbunden sind.

Da diese Bindung vergleichsweise schwach ist, können Reaktionspartner sie ebenso schnell wieder lösen, wie sie sich gebildet hat – Wasserstoffbrücken sind oft Kontakte auf Zeit, kurze Zusammenschlüsse, bis sich etwas Stabileres findet. Deswegen sind sie an dynamischen Prozessen entscheidend beteiligt, aber dank ihrer relativen Stärke ebenso für statische Strukturen wie die DNA-Doppelhelix relevant. Es ist diese Vielseitigkeit, die sie für Chemiker, Biologen und Materialwissenschaftler bis heute eine Sonderstellung einnehmen lässt. Diese Vielseitigkeit aber ist auch der Auslöser für eine jahrzehntelange Grundsatzdiskussion.

Denn die Chemiker stellten bald fest, dass die Wasserstoffbrückenbindung mehr kann, als Pauling zu träumen gewagt hätte. Mit verbesserten Methoden maßen sie bald Bindungen des gleichen Typs zwischen weniger elektronegativen Strukturelementen, zum Beispiel C-H-Bindungen oder aromatischen Systemen. Je nachdem, welche Partner diese Bindung verknüpft, variiert ihre Stärke von nahezu unmerklichen 2 Kilojoule pro Mol (kJ/mol) bis zu 167 kJ/mol, Letzteres ist vergleichbar mit der kovalenten Bindung zwischen Halogenen.

So eine Wasserstoffbrücke ist eine komplexe Wechselwirkung, in die vier Mechanismen verschiedener Stärke hineinspielen. Die positive Teilladung des Wasserstoffs und die hohe Elektronendichte des Partneratoms ziehen sich elektrostatisch an, was bei der klassischen Wasserstoffbrückenbindung den Löwenanteil der Energie ausmacht. Bei schwächeren Bindungen spielen außerdem die Polarisierbarkeit der Elektronenhüllen eine Rolle sowie die direkten Abstoßungskräfte zwischen ihnen, während sehr starke Wasserstoffbrückenbindungen kovalente Bindungsanteile haben können, also vergleichbar einer klassischen chemischen Bindung Elektronen austauschen – schlechte Voraussetzungen für eine universelle Definition.

Seit den 1960er Jahren etwa versuchen Chemiker, mit dieser Bandbreite zu Rande zu kommen. Schon sehr früh kam der Vorschlag auf, all das als Wasserstoffbrücke zu bezeichnen, bei dem ein kovalent gebundenes Wasserstoffatom als Brücke dient, doch das war vielen Chemikern und insbesondere der IUPAC zu radikal. Die Organisation, immerhin zuständig für die quasi-offizielle Sprachregelung in der Chemie, beharrt nach wie vor auf einer Variante der konservativen Pauling’schen Definition.

Der Widerstand allerdings bröckelt. Im Jahr 2005 setzte die IUPAC, von allen Seiten unter Druck, eine Task Force aus Bindungsexperten ein, die eine neue, moderne Definition der Wasserstoffbrückenbindung erarbeiten sollte. Nach fünf Jahren, die der beteiligte Kristallograph Gautam R. Desiraju vom Indian Institute of Science im Nachhinein diplomatisch als "lehrreich" bezeichnet, hat das Gremium nun eine überarbeitete Definition zur Diskussion gestellt. Sie beginnt mit den Worten:

"Die Wasserstoffbrückenbindung ist eine anziehende Wechselwirkung zwischen einem Wasserstoffatom aus einem Molekül oder Molekülfragment X-H, in dem X elektronegativer als H ist, und einem Atom aus dem selben oder einem anderen Molekül, bei der sich eine Bindungsbildung nachweisen lässt."

Jetzt ist erst einmal die Forschergemeinde am Zug. Ob diese Definition tatsächlich in absehbarer Zeit bindend wird, steht in den Sternen. Sicher scheint nur eins: Es wird Streit geben.
  • Quellen
Desiraju, G.: A Bond by Any Other Name. In: Angewandte Chemie International Edition 10.1002/anie.201002960, 2010.

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