Kosmische Zyklen: Was ist Zeit?
Im Alltag unterliegen wir dem Diktat der Zeit. Sie signalisiert uns, wann wir aufstehen und unsere Termine wahrnehmen müssen. Sie ist unser Hilfsmittel, das uns nicht nur bei der Gestaltung des Tages, sondern auch bei der Planung von Wochen, Monaten und Jahren, ja sogar des ganzen Lebens, unterstützt. Die Zeit ist jedoch weit mehr als ein praktisches Werkzeug, und es ist eine naturwissenschaftlich und philosophisch äußerst spannende Herausforderung, ihr Wesen zu hinterfragen: Was ist Zeit? Und warum verrinnt sie selbst dann, wenn wir nicht auf die Uhr schauen?
Wir erleben Zeit als absolut und unbeeinflussbar. Wenn wir überlegen, woran wir ihren Ablauf festmachen, dann wird sofort klar, dass wir das Verrinnen der Zeit anhand von Veränderungen bemerken: Die Bewegung von Gegenständen in unserer Umgebung, das tägliche Wandern der Sonne am Himmel, die Veränderungen der Natur während der Jahreszeiten, das Wachsen von Kindern und unser eigenes Altern – all das signalisiert uns, dass die Zeit voranschreitet. Wir nehmen dabei den Fluss der Zeit ganz bewusst wahr, denn wir haben die Fähigkeit, uns an Vergangenes zu erinnern. Daher können wir aus Fehlern und Erfolgen der Vergangenheit lernen. Wir erleben den Moment der Gegenwart – wissen wir doch, dass er schon im nächsten Moment Vergangenheit sein wird. Genauso können wir unsere Zukunft aktiv gestalten, indem wir mit Hilfe der Zeit planen.
Die Zeit der großen Denker
Veränderungen sind also offenbar entscheidend, oder man könnte auch sagen, Bewegungen sind wesentlich. Mit dieser Begrifflichkeit sind wir den Denkern der Antike sehr nahe gekommen, allen voran Aristoteles (384–322 v. Chr.), dessen natur- und geisteswissenschaftliches Gedankengut bis ins Mittelalter dominierte. Im aristotelischen Denken finden sich Veränderung und Bewegung im griechischen Begriff "kinesis". Nach Aristoteles ist alles Seiende bewegt. Er folgerte, dass es ein erstes Bewegendes geben müsse, welches das Seiende bewegt. Dabei muss das Bewegende selbst unbewegt sein, weil es sonst nicht ein erstes Bewegendes wäre. Diesen unbewegten Beweger identifiziert Aristoteles mit Gott. Er bezieht damit eine Gegenposition zu Platon, dessen Schüler er war, denn der platonische Gottesbegriff ist derjenige vom selbst bewegten Beweger. Aristoteles vollzieht damit einen Übergang von der Ontologie, der Lehre vom Sein, zur Theologie, der Lehre von Gott. Bezogen auf den Zeitbegriff, beschrieb Aristoteles das "Jetzt" als Übergang von der Vergangenheit, dem "Nicht-mehr-Sein", in die Zukunft, dem "Noch-nicht-Sein". Das "Jetzt" verschwindet augenblicklich und wird abgelöst von einem darauf folgenden "Jetzt", so dass die "Jetzte" gewissermaßen ein Kontinuum bilden. Hierbei entstand die Redeweise vom "Fluss der Zeit", weil sie von der Zukunft durch das "Jetzt" in die Vergangenheit "fließt".
Einen entscheidenden Durchbruch in unserem Verständnis des Zeitbegriffs verdanken wir Galileo Galilei (1564–1642) und Sir Isaac Newton (1643–1727). Die beiden Universalgelehrten haben unser Verständnis von der Natur im 16. und 17. Jahrhundert entscheidend geprägt. Hinsichtlich des Zeitbegriffs sind ihre Arbeiten auf dem Gebiet der klassischen Mechanik und der Schwerkraft bedeutend. Sowohl Galilei als auch Newton führten physikalische Experimente durch. Diese beschrieben sie durch mathematische Gleichungen, in denen die Zeit als Variable eine große Rolle spielt. Die Physiker nennen sie Bewegungsgleichungen – wir stoßen also wieder auf den aristotelischen Begriff der Bewegung: kinesis. Im Allgemeinen handelt es sich bei den Bewegungsgleichungen um Differenzialgleichungen, die beschreiben, wie sich der Ort eines Körpers unter der Einwirkung einer äußeren Kraft ändert, beispielsweise beim Hin- und Herschwingen eines Pendels unter dem Einfluss der Schwerkraft. Die mathematischen Lösungen einer Bewegungsgleichung geben darüber Aufschluss, an welcher Stelle sich das Pendel zu einem beliebigen Zeitpunkt befindet, wie schnell es dann schwingt und wie stark es gerade beschleunigt wird. Dieser mathematische Formalismus ist sehr mächtig und besitzt weit reichende Anwendungen in Naturwissenschaft und Technik.
Der Zeitbegriff, der das Fundament dieser Theorie bildet, ist aus unserer alltäglich erfahrbaren Perspektive sehr plausibel, denn die Zeit gilt in der klassischen Mechanik als absolut: Sie ist unbeeinflussbar – oder, wie Newton es in seinem 1687 erschienenen Hauptwerk "Philosophiae Naturalis Principia Mathematica" formulierte: "Die absolute, wahre Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand." Ein solcher Ansatz für das Wesen der Zeit ist überaus erfolgreich, aber es sollte sich zeigen, dass mit der modernen Physik des 20. Jahrhunderts das Verständnis des Zeitbegriffs weiterentwickelt werden musste.
Kosmische Taktgeber
Bevor wir uns dem Wesen der Zeit zuwenden, betrachten wir sie zunächst als Alltagsphänomen. Zeiten messen wir mit Uhren, für die wir einen Taktgeber und einen Zähler benötigen. Ähnlich wie ein frei schwingendes Pendel schwingt auch eine mechanische Pendeluhr gleichmäßig mit einer konstanten Periode hin und her und gibt damit einen Takt vor. Nun benötigt man nur einen Zähler, der registriert, wie oft ein Takt, also eine ganze Periode, in die zu messende Zeitspanne hineinpasst. Die Pendeluhr ist somit eine technisch weiterentwickelte, künstliche Form einer natürlichen Uhr wie das frei schwingende Pendel. Wir kennen eine Reihe von natürlichen Uhren, denen interessanterweise kosmische Zyklen zu Grunde liegen. Zunächst gibt es den Wechsel von Tag und Nacht, ein Vorgang, der regelmäßig im Abstand von rund 24 Stunden wiederkehrt und dessen Periode wir "Tag" nennen. Er wird von der Rotation unseres Heimatplaneten Erde vorgegeben. Als Konsequenz dieser Drehung rotiert der Himmel scheinbar um die Erde, so dass es zum Sonnenauf- und -untergang und dem damit verbundenen Wechsel von Tag und Nacht kommt.
Sieben Tage bilden den Zyklus von einer Woche, und rund vier Wochen ergeben einen Monat. Im Begriff "Monat" steckt das Wort "Mond". Dies ist kein Zufall, denn unser Erdtrabant durchläuft einen leicht zu beobachtenden natürlichen Zyklus von Neumond, zunehmendem Mond, Vollmond, abnehmendem Mond und wieder Neumond, der rund 28 Tage dauert. Nach Ablauf von 365 Tagen ist die Zeitspanne von einem Jahr erreicht. Auch dies ist ein natürlicher kosmischer Zyklus, der dadurch festgelegt ist, dass die Erde die Sonne nach einem Jahr vollständig umrundet hat. Während dieses Umlaufs steht die Erdachse nicht immer in der gleichen Orientierung zur Sonne, denn sie ist gegenüber der Erdbahnebene um 23,5 Grad geneigt. Astronomen bezeichnen diesen Winkel als die "Schiefe der Ekliptik". So kommt es, dass die Sonnenstrahlen während eines Laufs der Erde um die Sonne zeitweise die Nordhalbkugel und zeitweise die Südhalbkugel senkrecht treffen. Wenn dies geschieht, ist auf der jeweiligen Halbkugel Sommer und auf der gegenüberliegenden Halbkugel Winter. Bevor diese Extreme des Sonnenstands erreicht werden, gibt es die Jahreszeiten Frühjahr beziehungsweise Herbst.
Von der Erde aus betrachtet, variiert wegen der "Schiefe der Ekliptik" die scheinbare Höhe der Sonne über dem Horizont. Die tägliche Bahn der Sonne am Firmament heißt Tagbogen, und dieser verändert sich von Tag zu Tag. Als Konsequenz der geneigten Erdachse haben wir im Sommer lange Tagbögen mit entsprechend langen Tagen und kurzen Nächten. Im Winter gibt es kurze Tagbögen mit entsprechend kurzen Tagen und langen Nächten. Somit verändert sich im Verlauf eines Jahres auch der Schattenwurf, beispielsweise eines Turms: Er wirft den längsten Schatten im Winter und den kürzesten im Sommer. Tag, Monat und Jahr sind also kosmisch bedingte Zyklen. Zur Messung längerer Zeitspannen können wir mitzählen, wie viele Tage, Monate, Jahre verstrichen sind, wobei der Uhrentakt vorgibt, für welche Zeitspannen die jeweilige Uhr zum Einsatz kommt. Kurze Zeitspannen können wir mit den kosmischen Uhren nicht mehr so leicht messen, so dass es sinnvoll ist, künstliche Uhren mit kürzeren Perioden zu bauen, wie die erwähnte Pendeluhr.
In der Geschichte der Zeitmessung treten jedoch auch Sand-, Wasser- und Öluhren auf, bei denen das beständige Fließen eines Materials von einem Behälter in einen anderen gemessen wurde und als Zeitmaß diente. Moderne Uhren sind die Quarzuhr, die das Schwingungsverhalten eines Quarzkristalls zur Kontrolle der Zeitmessung nutzt, und die Atomuhr, die auf der elektromagnetischen Strahlung basiert, die bei Übergängen zwischen verschiedenen Energieniveaus des Atoms entsteht.
Schritte in eine neue Dimension
Zeitdauern werden immer relativ zu einer Startzeit gemessen, wobei die Festlegung dieses Zeitnullpunkts natürlich willkürlich ist. In unserer christianisierten, westlichen Welt ist der Bezugszeitpunkt die Geburt Jesu. Wir zählen, wie viele Jahre seither vergangen sind, und leben daher im Jahr »2012 nach Christus«. Ganz trivial ist es nicht, einen so lang zurückliegenden Zeitpunkt, der in einer Epoche liegt, in der es noch nicht so genaue Uhren gab, als Bezug zu verwenden, denn es gibt Unsicherheiten in der Überlieferung, wann genau sich die Geburt ereignete. Zudem wurde seither mehrfach der Kalender reformiert, beispielsweise bei der Umstellung vom julianischen auf den gregorianischen Kalender zum Ende des 16. Jahrhunderts.
Auch die Verwendung von Kalendern in unserer modernen Zeit ist keinesfalls einfach. So sind wir gezwungen, den Gang von irdischen, künstlichen Uhren immer wieder an den Gang der natürlichen, kosmischen Uhren anzugleichen, denn wir wollen ja nicht, dass es um zwölf Uhr mittags plötzlich Nacht ist oder dass es im Sommer schneit. Hierzu dienen Schaltsekunden und Schalttage, also zusätzliche Sekunden beziehungsweise Tage, die geeignet in die Kalender eingebaut werden. Solche Maßnahmen müssen national und global vereinbart werden. In Deutschland residieren die "Herren der Zeit" in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig und Berlin. Das PTB ist unser nationales Metrologie-Institut, das auch die Standards für andere Maße und Maßsysteme vorgibt und überwacht. Zur Einhaltung der gesetzlichen Zeit in Deutschland betreibt die PTB mehrere Atomuhren – die präzisesten Uhren der Welt.
Zeitnullpunkte und Zeitskalen sind allerdings vollkommen willkürlich und beruhen nur auf praktischen Vereinbarungen. Doch die Zeit als physikalisches Phänomen bleibt. Sie verstreicht, auch ohne dass eine Uhr mitzählt. Wir können sie zwar messen, aber warum schreitet die Zeit beständig, offenbar unaufhaltsam voran? Um dies zu verstehen, lohnt es sich, sie als Dimension des Universums zu betrachten und mit den drei Raumdimensionen zu vergleichen. Hierbei offenbaren sich recht auffällige Unterschiede. Es gibt nur eine Zeitdimension, aber gleich drei Raumdimensionen, nämlich Länge, Breite und Höhe. In den Raumdimensionen können wir uns im Prinzip beliebig bewegen: vor und zurück, nach links und rechts sowie nach oben und unten. Im Unterschied hierzu können wir unsere Bewegungsrichtung bei der Zeit nicht beeinflussen. Noch gravierender ist, dass die Zeit nur eine "Vorwärtsrichtung" erlaubt und dass diese in die Zukunft weist. Insgesamt können wir also in allen drei Raumdimensionen nach Belieben vor- und zurückreisen, aber keine Zeitreise in die Vergangenheit unternehmen.
Warum ist das so? Betrachten wir dynamische Vorgänge in der Natur sehr genau, so bemerken wir, dass einige davon in der Zeit vorwärts wie rückwärts ablaufen könnten. Sehr deutlich wird das, wenn wir einen rückwärts ablaufenden Film sehen. Irgendwann bemerken wir dabei seltsame Vorgänge, die wir so noch nie in der Natur beobachten konnten: Da entmischt sich ein Milchkaffee, und die Milch formt einen Strahl, der auf wundersame Weise aus dem Kaffee in eine Milchtüte fließt; Porzellanscherben springen vom Boden auf und fügen sich zu einer Tasse zusammen, die perfekt auf einem Tisch zur Landung kommt; ein Fluss fließt stromaufwärts und bildet einen Wasserfall, der komischerweise einen Fels hinaufsteigt. Die Gemeinsamkeit dieser seltsamen, unnatürlichen Phänomene liegt darin, dass es für sie nur eine logische Reihenfolge gibt, in der sie eintreten können – nur eine Zeitrichtung. Solche Vorgänge sind eine heiße Spur zum Verständnis der Zeit!
Das Merkwürdige an ihnen ist, dass sie die Reihenfolge von Ursache und Wirkung umdrehen. Es ist nun einmal so, dass erst die Milch in den Kaffee strömt und sich dann die Flüssigkeiten mischen; erst fällt die Tasse vom Tisch, und dann kommen die Scherben; Wasser fällt natürlicherweise im Schwerefeld der Erde und kann somit nicht einfach bergauffließen. Das dahinter liegende Prinzip "Erst die Ursache, dann die Wirkung" wird wissenschaftlich "Kausalität" genannt. Die seltsamen Phänomene im rückwärtslaufenden Film verstoßen gegen das Gesetz der Kausalität – sie sind "akausal". Diese Überlegungen bilden den ersten Schritt, um dem so genannten Zeitpfeil auf die Spur zu kommen, welcher der Zeit ihre Richtung vorgibt. Der Grund für seine Existenz lässt sich mit den Mitteln der Physik verstehen.
Die Schwester der Zeit
In der Physik gibt es Größen, an denen sich ablesen lässt, ob ein Vorgang akausal und damit verboten ist – oder ob er erlaubt und natürlich ist. Die dafür zuständige Disziplin ist die Wärmelehre oder Thermodynamik, in der die Physiker Naturgesetze gefunden haben. Eines davon, der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, besagt, dass eine Größe namens Entropie, die ein physikalisches System beschreibt, entweder gleich bleibt oder zunimmt – aber sie kann niemals abnehmen! Was beschreibt aber nun diese rätselhafte Größe Entropie, und wie können wir sie anschaulich verstehen? Stellen Sie sich vor, Sie sind glücklicher Besitzer einer Packung mit Legosteinen. Sie haben die Packung gerade geöffnet, und die Legosteine liegen verstreut am Boden. Davon machen Sie ein Foto und betiteln es mit "Makrozustand 1". Jetzt mischen Sie einmal kräftig die verstreuten Steine mit der Hand durch. Sie machen wieder ein Foto und nennen es "Makrozustand 2". Vergleichen Sie die Fotos von "Makrozustand 1" und "Makrozustand 2", wird es Ihnen schwerfallen, einen Unterschied festzustellen.
Wir könnten diese Betrachtung mit dem Begriff der Ordnung, vielmehr Unordnung, verbinden. Beide Makrozustände weisen nur ein geringes Maß an Ordnung auf – oder anders gesagt: Die Unordnung ist sehr hoch. Der Physiker bringt diesen Befund in Zusammenhang mit der Entropie und sagt: "Die Entropie ist sehr hoch." Nehmen wir weiterhin an, dass Sie nun die Bausteine zu einem konkreten, möglicherweise sehr ansehnlichen Gesamtkunstwerk zusammenfügen. Damit bringen Sie Ordnung in das System und kombinieren die Legosteine auf eine eventuell sogar einzigartige Weise. Das Maß an Ordnung des Kunstwerks, beispielsweise ein Haus aus Lego, ist sehr hoch. Dementsprechend ist das Maß an Unordnung äußerst gering, und der Physiker sagt: "Die Entropie ist sehr klein." Nun schlagen wir den Bogen zum rückwärtslaufenden Film. Haben Sie schon einmal gesehen, dass sich Legosteine von selbst zu einem Kunstwerk zusammensetzen? Sicher nicht. Aber lassen Sie einmal ein Lego-Haus aus einem Meter Höhe auf den Boden fallen, dann zerlegt es sich auf natürliche Weise von selbst. Kinder sind von diesem Vorgang so sehr fasziniert, dass sie das Experiment häufig wiederholen.
Drücken wir das Ganze mit dem Begriff der Entropie aus, so müssen wir feststellen, dass sich die Entropie natürlicherweise erhöht, aber die Entropie wird sich nicht ohne Weiteres in der Natur von selbst verringern. Wir haben nun mit Hilfe eines ganz anschaulichen Beispiels den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik in der Praxis betrachtet. In voller Schönheit heißt dieses Gesetz: "Die Entropie kann in einem geschlossenen System gleich bleiben oder zunehmen, aber niemals abnehmen." In dem großen geschlossenen System, in dem wir leben, im Universum, nimmt die Unordnung also ständig zu. Das ist genauso ein Naturgesetz wie "Alle Gegenstände fallen auf der Erde nach unten«. Mit der Entropie haben die Physiker eine wunderbare Größe entdeckt, die mit der Richtung der Zeit zusammenhängt! Die Entropie nimmt mit der Zeit zu; in der Vergangenheit war also die Entropie eines geschlossenen Systems geringer. Dieser Sachverhalt wird auch als »thermodynamischer Zeitpfeil" bezeichnet, denn mit Hilfe der thermodynamischen Größe Entropie lässt sich wunderbar das Verstreichen von Zeit messen; sie ist gewissermaßen die "Schwester der Zeit".
Der kosmologische Zeitpfeil Wenn wir uns dem Universum zuwenden, können wir viel über die Zeit lernen. Zunächst müssen wir feststellen, dass schon der Blick in den Spiegel eine Zeitreise in die Vergangenheit darstellt. Sie glauben das nicht? Das geht so: Licht ist der Informationsträger, der uns von den Gegenständen, die wir betrachten, erreicht und über die Augen in unser Gehirn gelangt, wo wir das Gesehene verarbeiten. Licht ist jedoch nicht unendlich schnell, sondern benötigt Zeit, um sich auszubreiten. Die Lichtgeschwindigkeit beträgt im Vakuum rund eine Milliarde Kilometer pro Stunde. Innerhalb einer Sekunde legt ein Lichtstrahl rund 300 000 Kilometer zurück. Wenn wir also morgens im Bad unser Spiegelbild bewundern, war das Licht vom Objekt unseres Entzückens bis zum Auge schon wenige Nanosekunden unterwegs.
Demnach sehen wir uns nicht, wie wir gerade sind, sondern wie wir vor wenigen Nanosekunden waren. In der Astronomie arten derartige Zeitreisen aus, denn das Licht muss einen viel längeren Weg vom beobachteten Gegenstand bis zu uns zurücklegen. Betrachten wir den Mond, so war das Licht schon rund eine Sekunde von der Mondoberfläche bis zum Auge unterwegs; bei der Sonne sind es schon rund acht Minuten, und das von einem typischen Stern in der Milchstraße ausgesandte Licht benötigt schon einige 100 bis 1000 Jahre. Im Extremfall erreicht uns das Licht aus einer Zeit, in der es unser Sonnensystem noch nicht gab, nämlich dann, wenn es von einer Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie stammt. Was geschieht unterwegs mit diesem Licht, und was können wir daraus über die Zeit lernen?
Es gibt kein Zurück
Die moderne Kosmologie lehrt uns, dass die Entwicklung des Universums vor 13,7 Milliarden Jahren im Urknall, einem unvorstellbar heißen und dichten Zustand, begann. Seither dehnt es sich aus. Innerhalb von Sekundenbruchteilen bildeten sich die vier Grundkräfte, und nach rund 400 000 Jahren wurde der Kosmos für sichtbares Licht durchlässig. Nach einigen hundert Millionen Jahren entstanden die ersten Sterne. In einigen Entwicklungsphasen verlief die Expansion des Universums sogar beschleunigt. Auch heute expandiert der Raum beschleunigt, so dass die mittleren Entfernungen zwischen den Galaxien und Galaxienhaufen immer schneller zunehmen. Nach allem, was wir wissen, wird sich die beschleunigte Expansion fortsetzen. Dies belegen astronomische Beobachtungen entfernter Himmelsobjekte und Einsteins Relativitätstheorie, welche die kosmische Dynamik korrekt beschreibt. Bei der Ausdehnung vergrößern sich nicht nur die mittleren Abstände zwischen den Galaxien, sondern selbst Lichtwellen werden auseinandergezogen: Die Wellen von blauem, kurzwelligem Licht, das im frühen Universum vorhanden war, werden durch die Expansion des Universum gedehnt und erscheinen dann als rotes, langwelliges Licht. Diesen Vorgang bezeichnen die Astronomen passenderweise als kosmologische Rotverschiebung.
Dieses Phänomen kann ein Beobachter auch anders ablesen: Zu einer Lichtwelle gehört eine Farbe oder Energie, der eine Temperatur entspricht. Während das Licht durch die kosmische Expansion röter wird, nimmt seine Strahlungstemperatur entsprechend ab. Die kosmische Hintergrundstrahlung, die in unserem lokalen Universum eine Strahlungstemperatur von rund 3 Kelvin (rund minus 270 Grad Celsius) aufweist, war zum Zeitpunkt ihrer Aussendung, 380 000 Jahre nach dem Urknall, viel heißer: rund 3000 Grad Celsius. Da die kosmische Ausdehnung direkt der zeitlichen Entwicklung folgt, lässt sie sich als Indikator für eine "kosmische Zeit" betrachten. Die Ausdehnung vergrößert den mittleren Abstand von Galaxienhaufen und ebenso die mittlere Wellenlänge der Hintergrundstrahlung. Sie verringert hingegen deren mittlere Strahlungstemperatur. Diese Erscheinungen legen den kosmologischen Zeitpfeil fest, also eine Richtung der kosmischen Zeit. In seinen frühen Epochen war das Universum kleiner, heißer und von kurzwelligerer Strahlung angefüllt.
Als erstes Fazit halten wir fest, dass wir die Zeit als etwas Unbeeinflussbares erleben: Sie verstreicht einfach – ob wir es wollen oder nicht. Mit Hilfe natürlicher und künstlicher Uhren kultivieren wir ein "Zeitgefühl", das sich in alltäglichen Begriffen wie Sekunde, Minute, Stunde, Tag, Monat und Jahr manifestiert. Dass die Zeit nur eine Richtung kennt, lässt sich mikrophysikalisch mit den Gesetzen der Thermodynamik begründen und makrophysikalisch an der Entwicklung des gesamten Universums ablesen. Beim Verständnis der Natur der Zeit sind wir indes noch nicht sehr weit gekommen, denn in unseren bisherigen Betrachtungen ist ihr Wesen absolut. Diese Feststellung werden wir auf der Grundlage der modernen Physik der vergangenen 100 Jahre revidieren müssen, was der zweite Teil dieses Beitrags erörtern wird.
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