Brain Computer Interfaces: Ein Neuralink für deine Gedanken
Elon Musk hat Schwein. Am vergangenen Wochenende hat der Milliardär und Tesla-Gründer die neuesten Entwicklungen seines Neurotechnologie Start-ups Neuralink vorgestellt. Der Höhepunkt der kurzen Videopräsentation war Gertrude: ein Schwein, in dessen Gehirn die Forscherinnen und Forscher einen Mikrochip implantiert haben, der bestimmte Gehirnströme erkennen kann. Wann immer Gertrude mit ihrem Rüssel etwas berührte, zum Beispiel Futter oder die Hand ihrer Pflegerin, war ein Piepsen zu hören. »Er ist wie ein Fitbit im Kopf mit winzigen Drähten«, sagte Musk über den Link V.09 genannten Chip.
Geht es nach Musk und den Wissenschaftlern von Neuralink, soll Gertrude erst der Anfang sein. Das Unternehmen arbeitet an einer Gehirn-Maschine-Schnittstelle, die eines Tages Hirnschäden, Körperlähmungen, Sehstörungen und Depressionen lindern sowie die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns steigern soll. Und man soll damit Videospiele steuern können. Die erste Hürde für Tests an Menschen habe man nun genommen, sagte Musk. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA habe im Juli den Chip als »bahnbrechendes Gerät« eingestuft, was die Zulassung beschleunigen könnte.
Doch wie bedeutend ist die Schnittstelle von Neuralink wirklich? Ein Implantat, dessen winzige Elektroden an gezielten Stellen im Gehirn angebracht werden, dort Nervensignale aufzeichnen oder auslösen und die Daten an einen Computer weiterleiten, klingt zwar nach Sciencefiction, ist aber aus medizinischer Sicht längst Realität. Die Technik ermöglicht, dass vollständig gelähmte Menschen allein mit der Kraft ihrer Gedanken eine Armprothese oder den Cursor auf einem Bildschirm bewegen können. Gezielte Stimulation durch Hirnschrittmacher kann bei Parkinson helfen und sogar erblindeten Menschen ein wenig Sehkraft zurückgeben.
Die größte Innovationen in der Materialforschung
Seit den Anfängen in den 1970er Jahren haben Brain Computer Interfaces, kurz BCI, vor allem in den vergangenen 20 Jahren große Fortschritte gemacht. Die Technik beschreibt die Verbindung zwischen dem Gehirn und einem Computer mit Hilfe der Messung elektrischer Aktivität: Die Nervenzellen im Gehirn, die Neurone, kommunizieren über kurze elektrische Signale miteinander. Wann immer wir etwas denken, fühlen oder uns bewegen, werden Neurone in verschiedenen Arealen des Gehirns aktiviert. Diese elektrische Aktivität lässt sich messen. Etwa durch Elektroden auf der Kopfhaut wie bei der Elektroenzephalografie (EEG). Oder invasiv durch die direkte Verknüpfung von Elektroden mit Stellen des Gehirns, etwa dem Motorkortex, der Bewegungen steuert.»Implantate mit mehr als 1000 Kanälen gibt es bislang nicht allzu viele«
Thomas Stieglitz, Professor für Medizinische Mikrotechnik
Auch der Chip von Neuralink wird direkt ins Gehirn implantiert. »Ich bin beeindruckt, in welch kurzer Zeit Neuralink auf den aktuellen Stand der Technik gekommen ist«, sagt Thomas Stieglitz, Professor für Medizinische Mikrotechnik am Institut für Mikrosystemtechnik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Nur vier Jahre nach der Gründung habe das Start-up eine Schnittstelle entwickelt, die es rein technisch gesehen mit etablierten Systemen aufnehmen kann – sofern sie denn tatsächlich so funktionieren sollte, wie von Elon Musk angekündigt. Eine durch unabhängige Forscher geprüfte Studie hat das Unternehmen aus San Francisco nämlich noch nicht veröffentlicht, was schon im vergangenen Jahr zu Kritik von Forschenden geführt hat.
Neuralinks Implantat Link V.09 hat etwa die Größe einer Centmünze, an der Unterseite befinden sich bis zu 1024 Elektroden, die mit dem Gehirngewebe verbunden sind und sowohl Impulse lesen als auch abgeben können. Die Datenübertragung an den Computer funktioniert über Bluetooth, aufgeladen wird das Implantat über Induktion wie ein Smartphone oder eine Smartwatch. »Implantate mit mehr als 1000 Kanälen gibt es bislang nicht allzu viele«, sagt Stieglitz. Für diese hohe Anzahl an Elektroden seien »wasserdichte Verbindungen aus hochempfindlicher Mikrotechnologie« erforderlich, was das System allein in Sachen Materialforschung interessant mache. Und weil das Link V.09 kabellos überträgt und zudem in die Schädeldecke eingearbeitet und dort versiegelt wird, umgeht man zwei Probleme vieler BCIs: das Infektionsrisiko, das immer dann erhöht ist, wenn Kabel aus dem Schädel herausragen. Und die ständige medizinische Überwachung der angeschlossenen Gerätschaften.
Das unterscheidet das BCI von Neuralink von bestehenden invasiven Techniken wie dem Utah Array, das seit mehr als zwei Jahrzehnten entwickelt und seit einigen Jahren, etwa von BrainGate an der Brown University, auch in einzelnen Menschen eingesetzt wird. Dabei handelt es sich um ein Implantat mit etwa 100 vergleichsweise starren Elektroden, die im Hirngewebe liegen und Daten per Kabel an einen Empfänger auf dem Kopf senden. Weil sich um die Elektroden Narbengewebe bildet, kann die Funktionstüchtigkeit im Lauf der Zeit abnehmen. Deshalb muss das System regelmäßig überprüft werden. Zudem besteht stets die Gefahr von Mikroblutungen. Dieses Risiko will Neuralink nicht nur mit besonders dünnen und elastischen Elektroden umgehen. Ein eigens entwickelter Roboter soll die Elektroden so platzieren, dass sie keine Blutgefäße verletzen. Der ganze Prozess soll gerade mal eine Stunde bei örtlicher Betäubung dauern, sagte Elon Musk.
Gehirnchips für Querschnittsgelähmte und Soldaten
»Die Innovation ist weniger die Technologie, sondern vielmehr der Ansatz, in kurzer Zeit mit großem Knowhow ein fertiges Produkt auf den Markt zu bringen«, sagt Pascal Fries, Direktor des Ernst-Strüngmann-Instituts für Neurowissenschaften in Frankfurt. Er vergleicht es mit der Entwicklung des Smartphones: Die Komponenten gab es bereits viele Jahre zuvor, doch erst Apple hatte sie zu einem neuen Produkt für die Massen zusammengeführt. Neuralink möchte ebenfalls ein BCI entwickeln, das vergleichsweise einfach zu installieren ist und mehr Einsatzmöglichkeiten bietet als bestehende Systeme.
Die Idee haben noch weitere Forschungsgruppen und Unternehmen. Sie arbeiten ebenfalls an der nächsten Generation von Brain Computer Interfaces, die kleiner, leistungsfähiger und weniger invasiv sind. Das Start-up Paradromics etwa entwickelt derzeit ein Implantat mit mehr als 10 000 Kanälen, das auf die Hirnrinde angelegt wird und somit deutlich mehr Stimulationen als andere Systeme ermöglichen soll. Eine der ersten medizinischen Anwendungen soll gelähmten Menschen die Möglichkeit geben, wieder rudimentär kommunizieren zu können. An Schafen wurde ein ähnliches System bereits getestet.
Noch nicht ganz so weit ist ein Projekt von der Brown University. Dabei sollen »Neurograins« in der Größe eines Staubkorns an verschiedenen Stellen im Gehirn verteilt werden. Sie sind nicht per Kabel verbunden, sondern funktionieren über Funk, die Steuerung findet über eine Steuereinheit auf der Haut statt. Das würde das Problem umgehen, dass BCIs bislang nur jeweils in einem einzelnen Hirnareal die Aktivität messen können.
Seit 2015 arbeitet die US-Verteidigungsbehörde DARPA mit verschiedenen Forschungsgruppen zusammen, um Schnittstellen zu entwickeln, die möglichst ohne Operation auskommen. Unter der Initiative N³ arbeitet ein Team daran, dass Soldaten Drohnen mit ihren Gedanken und erweiterter EEG-Technik steuern können – eine Technik, die lange Zeit als nicht genau genug galt. Ein Team von der Johns Hopkins University experimentiert an Stelle von elektrischen Signalen mit Nahinfrarotlicht, das minimale Schwellungen im Nervengewebe erkennen soll.
»Die Frage ist immer: Was können die Elektroden aufnehmen und was fange ich damit an?«
Thomas Stieglitz
Eines der konkretesten Anwendungsfelder sind weiterhin Neuroprothesen. Forscher und Forscherinnen der Université de Grenoble haben in einer Studie im Fachmagazin »The Lancet Neurology« im vergangenen Herbst erstmals demonstriert, wie ein von den Halswirbeln abwärts gelähmter Patient ein Exoskelett mit seinen Gedanken steuern konnte. Sie nutzten dafür Elektrokortikografie (EcoG), deren Elektroden auf der harten Hirnhaut aufliegen und nicht ins Gehirn hineinragen, was weniger invasiv ist. Diese Art von assistierenden Schnittstellen wird großes Potenzial nachgesagt, auch wenn die Steuerung komplexer Bewegungen wie etwa beim Laufen, noch nicht möglich ist.
Über das menschliche Gehirn ist weiterhin wenig bekannt
Die Messung der Signale im Gehirn ist eine Sache. Die zweite Herausforderung liegt darin, überhaupt einmal die richtigen Daten zu finden und zu verwerten. »Die Frage ist immer: Was können die Elektroden aufnehmen und was fange ich damit an?«, sagt Thomas Stieglitz von der Universität Freiburg. Jedes BCI liefere zunächst einmal wertneutrale Signale; es zeige lediglich an, wenn Neuronencluster im Gehirn wann aktiviert sind. Was das aber bedeutet, muss erst einmal interpretiert werden. Und genau hier steht die Forschung noch am Anfang.
Wie sehr am Anfang, zeigen die Zahlen: Im menschlichen Gehirn befinden sich etwa 85 Milliarden Nervenzellen, jede einzelne ist mit etwa 1000 anderen verknüpft. Zu verstehen, welche Signale mit welchen körperlichen Reaktionen oder Gedanken einhergehen, ist bislang kaum bekannt. Bis gelähmte Menschen in der Lage sind, mit einem Roboterarm eine Kaffeetasse zu greifen, muss zunächst klar sein, welche Areale im Gehirn in welcher Art und Weise aktiviert werden. Diese Daten müssen anschließend so übersetzt werden, dass ein Computer sie auch versteht und der Roboter Kraft der Gedanken einer Patientin zugreifen kann. Je komplexer die Aktionen sind, je mehr verschiedene Teile des Gehirns daran beteiligt sind, desto schwieriger ist es, die Zusammenhänge zu verstehen.
In dieser Hinsicht ist Neuralink nicht weiter als andere Forschungsprojekte, im Gegenteil: Wenn Elon Musk behauptet, mit einem Brain Computer Interface könne man eine Vielzahl an Krankheiten heilen, neue Sprachen quasi ins Gehirn aufgespielt bekommen und komplexe Videospiele steuern, ist das noch meilenweit von der aktuellen Realität, sprich von Gertrude dem Schwein entfernt. Neurowissenschaftler wie Andrew Jackson von der University of Sheffield sagen deshalb, dass die Präsentation wenig revolutionär gewesen sei und lediglich einige nette neue Ansätze gezeigt habe. Andere sprechen von »Neurowissenschaft-Theater« und einem »Medienstunt«.
Also doch alles nur Hirngespinste? Nicht unbedingt, sagt Thomas Stieglitz. Auch wenn die wissenschaftliche Details noch nicht bekannt sind, habe die Technologie Potenzial und derzeit sei in der Forschung jeder neue Ansatz willkommen. »Je besser die Werkzeuge sind, die ich habe, desto mehr Wissen kann ich erlangen«, sagt Stieglitz. Und gerade wenn es um das menschliche Gehirn geht, sei dieses Wissen häufig schlicht noch nicht vorhanden.
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