Aktuelles Stichwort: Was kann die DNA-Forensik im Fall Peggy leisten?
"Jeder Kontakt hinterlässt eine Spur" – schon Mitte des 20. Jahrhundert prägte der Forensikpionier Edmond Locard dieses Prinzip, das sich jetzt beim Verschwinden der ermordeten Peggy spektakulär zu bestätigen scheint. Ermittler fanden nach Angaben der Polizei DNA-Spuren des rechtsradikalen Terroristen Uwe Böhnhardt an einem Stück Textil, das vom Fundort der im Juli entdeckten sterblichen Überreste stammt. Allerdings ist der forensische DNA-Nachweis keineswegs unfehlbar – mehrere Faktoren können zu falschen Ergebnissen führen.
Wie lange kann man DNA noch analysieren?
Ob Erbgutreste nach 15 Jahren noch erhalten sind, hängt von den Umgebungsbedingungen und der ursprünglichen Menge an Erbgut ab. Anhand von Vogelknochen berechneten australische und dänische Forscher im Jahr 2012, dass Erbgut unter optimalen Bedingungen bis zu 1,5 Millionen Jahre lang verwertbare Informationen preisgeben kann, bevor es zerfallen ist. Und selbst im Boden, wo das Erbgut direkt mikrobieller Aktivität ausgesetzt ist, fanden Forscher bis zu mehrere hunderttausend Jahre alte DNA ausgestorbener Tierarten.
Auch menschliches Erbgut überdauert Jahrtausende, zeigen Genomanalysen von ägyptischen Mumien und – aus noch fernerer Vergangenheit – Erbgutdaten von Neandertaler und Denisova-Mensch. Doch diese Nukleinsäurereste stammten aus dem Inneren von Knochen und Zähnen, den haltbarsten Körperteilen. Das Erbgut von Böhnhardt dagegen haftete praktisch ungeschützt vor Witterung und zersetzenden Bakterien an einem Stofffetzen, der 15 Jahre lang im Thüringer Wald lag.
Das mag geholfen haben. Die meisten von Menschen hergestellten Textilien enthalten Kunstfasern, die für Lebewesen unverdaulich sind, und auch die Zellulose der Baumwollfasern greifen nur spezialisierte Organismen an. Das gefundene Erbgut lag so also womöglich an einem für zersetzende Mikroorganismen eher unattraktiven Ort, was seine Erhaltung begünstigte. Zusätzlich bleibt bei stark abgebauten Spuren ein weiterer Rettungsanker: mitochondriale DNA. Das Kern-Erbgut verwesender Leichen wird für die klassische Gen-Analyse schnell unbrauchbar, doch die mitochondriale DNA bleibt sogar im Boden während der gesamten Zersetzung nachweisbar.
Das Problem mit stark zersetzten Proben
Für die klassische forensische DNA-Analyse verwendet man Varianten des seit geraumer Zeit erprobten STR-Verfahrens. Es basiert auf so genannten short tandem repeats: kurzen Erbgutstücken von bis zu 7 Basenpaare Länge, die sich an bestimmten Stellen im Erbgut hundertfach wiederholen. Die Zahl der Wiederholungen und damit die Länge dieser STR-Sequenzen ist variabel. Misst man nun die Längen mehrerer verschiedener STR-Sequenzen, erhält man ein charakteristisches Profil – je mehr dieser so genannten Loci in die Analyse eingehen, desto unwahrscheinlicher wäre es bei identischen Mustern einer Vergleichsprobe, dass sie von einer anderen Person stammt.
Die in Europa und den USA üblichen STR-Systeme erfassen zwischen 10 und 20 unterschiedliche Loci – die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen hier durch Zufall das gleiche Profil haben, liegt bei eins zu zig Millionen. Das Verfahren basiert auf der Polymerase-Kettenreaktion (PCR): Dabei verwendet man eine Mischung so genannter Primer für die gewünschten STR-Sequenzen – kurze DNA-Stücke, die perfekt ans vordere und hintere Ende einer STR-Sequenz passen und dafür sorgen, dass das Erbgutstück zwischen ihnen verdoppelt wird. Nach mehreren Verdoppelungszyklen enthält die Probe unzählige Kopien der STR-Sequenzen, deren Längen man dann jeweils bestimmt. Moderne Varianten dieses Verfahrens können ein DNA-Profil aus wenigen dutzend Zellen erstellen.
Mitochondrien sind kein Allheilmittel
Bei besonders kleinen oder stark zersetzten Proben ist dieses Verfahren allerdings unbrauchbar, denn die Probe muss komplette STR-Sequenzen enthalten, um hilfreiche Ergebnisse zu liefern. Zum Glück hat sich gezeigt, dass die DNA der Mitochondrien sogar dann noch analysiert werden kann, wenn das Erbgut im Zellkern längst zerstört ist. Der Grund dafür ist unklar. Ein Faktor ist vermutlich die schiere Zahl dieser Organellen: Jede Zelle enthält nur ein Kern-Genom, aber bis zu mehrere hundert Mitochondrien-Genstränge. Möglicherweise spielt auch die evolutionäre Herkunft der Mitochondrien eine Rolle, denn sie stammen von separat lebenden Bakterien ab und haben bis heute eine dichtere Zellmembran erhalten. Der Zellkern dagegen ist auch für große Moleküle durchlässig, was seine DNA nach dem Ende der Zelle womöglich angreifbarer macht.
Auch bei mitochondrialer DNA verwendet man die Polymerase-Kettenreaktion, um bestimmte Teile des Organellengenoms zu vervielfältigen und zu identifizieren. Doch statt mit einfachen Methoden die Längen der jeweiligen Kopien zu messen, muss man hier die Gene einzeln sequenzieren und mühselig vergleichen – ein erheblicher Nachteil gegenüber der Standardmethode. Auch statistisch betrachtet ist mitochondriale DNA im Nachteil. Man analysiert dabei weniger Genstücke, so dass die Wahrscheinlichkeit für eine zufällige Übereinstimmung weit höher ist als bei Kern-DNA. Außerdem werden Mitochondrien allein über die mütterliche Linie vererbt – anders als bei Kern-DNA werden hier nicht in jeder neuen Generation väterliche und mütterliche Genvarianten gemischt. Dadurch sind bestimmte Mitochondrien-Genprofile in der Bevölkerung weiter verbreitet und die Wahrscheinlichkeit mehrdeutiger Befunde höher.
Und auch eine eindeutig zugeordnete DNA-Spur kann jedoch in die Irre führen – wenn das Erbgut nicht zum Tatzeitpunkt vor Ort war, sondern später nachträglich an die Probe gelangte. Derartige Verunreinigungen lassen sich nur mit großem Aufwand vermeiden, denn Menschen verlieren kontinuierlich Hautschuppen und andere Körperabsonderungen, deren genetisches Material man in der Umwelt praktisch überall wiederfindet.
Kontamination: Stille Post mit DNA
Zumal nicht nur die Probe peinlich sauber gehalten werden muss – auch Geräte und Arbeitsmaterialien können menschliche Erbgutspuren enthalten. Die Konsequenzen zeigte der Fall des so genannten Phantoms von Heilbronn: DNA einer unbekannten Person wurde an 40 unterschiedlichen Tatorten gefunden, unter anderem am Schauplatz des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter, an dem Böhnhardt – wie sich später herausstellte – mutmaßlich beteiligt war. Zwei Jahre lang fahndeten die Behörden nach der unbekannten Frau, bis sich zeigte, dass es die Serienverbrecherin nicht gab: Die verwendeten Wattestäbchen waren verunreinigt.
Gegen eine rein zufällige Verunreinigung spricht allerdings die Statistik. Fremd-DNA käme mit höchster Wahrscheinlichkeit zuerst einmal aus dem Umfeld der Untersuchung: von Polizei, Laborpersonal oder auch Mitarbeitern indirekt beteiligter Unternehmen, wie das Beispiel von Heilbronn zeigt. Dieses Problem ist für die Technik so bedeutsam, dass forensische Institute in Europa, den USA und Australien im Jahr 2012 in einem gemeinsamen Thesenpapier Labors aufgefordert haben, Referenzdatenbanken möglicher menschlicher Kontaminationsquellen zu führen.
Dass die DNA eines Unbeteiligten versehentlich in der Analyse auftaucht, ist weniger wahrscheinlich, aber keineswegs unmöglich. Mehrere hunderttausend Zellen verlieren Menschen jeden Tag an die Umwelt – einige von ihnen bleiben direkt an anderen Menschen hängen oder haften an Gegenständen, die andere Menschen dann berühren. Diese Form von "stiller DNA-Post" kann theoretisch auch die DNA völlig fremder Menschen in eine Probe spülen. Dass es sich dabei dann allerdings durch bloßen Zufall noch um einen bekannten Terroristen handelt, der bereits mit Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht wurde, ist schwer zu glauben. Zumal erste Berichte, dass beide Fälle im gleichen Labor untersucht wurden, wohl unzutreffend sind.
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