Psychische Störungen: Was Männer davon abhält, eine Therapie zu machen
Wenn sie in psychische Not geraten, suchen Männer deutlich seltener professionelle Unterstützung als Frauen. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass die Suizidrate unter Männern in Europa viermal so hoch ist wie unter Frauen. Forschende der britischen York St John University gingen in einer neuen Übersichtsarbeit der Frage nach, was die Herren der Schöpfung eigentlich genau davon abhält, eine Therapie zu machen.
Das Team um Gary Shepherd sichtete die Fachliteratur nach Veröffentlichungen, in denen es um die Herausforderungen oder Barrieren geht, denen sich Männer beim Thema Psychotherapie gegenübersehen. Sie fanden 45 Untersuchungen – überwiegend kleinere Studien auf Basis von Interviews, aber auch Überblicksartikel, die Arbeiten mit insgesamt mehreren tausend Probanden zusammenfassten. Eine systematische Auswertung ergab drei große Problemfelder.
Erstens wurde deutlich, dass das Suchen und Annehmen von Hilfe für viele Männer eine Bedrohung ihrer Identität darstellt. Diese sollte nach Meinung der Befragten von Stärke, Unabhängigkeit und geringer Emotionalität geprägt sein. Hilfe zu benötigen, löste bei ihnen Gefühle von Angst oder Scham aus. Besonders verbreitet war diese Sicht unter Soldaten und Kriegsveteranen, Gefängnisinsassen und Jugendlichen, die entsprechend sozialisiert worden waren.
Ein verwandtes, zweites Problem besteht darin, dass psychotherapeutische Behandlungen insgesamt als »feminin« angesehen werden. Gründe dafür sind etwa die geringe Zahl an männlichen Therapeuten und die Ausrichtung der Angebote darauf, sich emotional zu öffnen und gemeinsam Probleme zu besprechen.
Als dritten Faktor machten viele Untersuchungen aus, dass Verhaltensnormen für Männer meist eher dysfunktionale Strategien zur Stressbewältigung vorschreiben. So versuchten die Befragten häufig, ihre Probleme »auszusitzen«. Sie isolierten sich oft von Freunden und Familie, statt diese um Unterstützung zu bitten. Regelmäßig werden emotionale Notlagen, etwa eine Depression, durch Alkohol und andere Drogen, exzessives Videospielen oder Pornografiekonsum »maskiert«.
Therapeutinnen und Therapeuten sollten diese Denkmuster stärker berücksichtigen, um vor allem traditionell eingestellten Männern Befürchtungen zu nehmen und ihnen alternative Sichtweisen auf ihr Mannsein anzubieten, so das Autorenteam. Hilfreich wäre zudem eine Vernetzung von Männern untereinander, um über diese Themen zu diskutieren – ob online oder in Selbsthilfegruppen. Bis zu einer gleichwertigen Nutzung therapeutischer Angebote durch Männer und Frauen sei der Weg aber noch weit.
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