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Skurrile Schuhmode: Was mittelalterliche Schnabelschuhe mit den Füßen anstellten

Je länger, je lieber: Wer bei diesem mittelalterlichen Modetrend mitmachte, bezahlte mit seiner Fußgesundheit. Schnabelschuhe wirkten ähnlich auf Füße wie High Heels von heute.
Schnabelschuh im Museum of London aus dem 14. bis 15. Jahrhundert

Das Spätmittelalter brachte eine eigenartige Modeerscheinung hervor: Schnabelschuhe, die in einer teils grotesk langen Spitze ausliefen, waren vor allem bei der wohlhabenden Oberschicht Englands und Frankreichs beliebt, setzten sich aber mit der Zeit auch beim einfachen Volk durch. Wie Untersuchungen an Friedhöfen der Zeit bei Cambridge nun zeigen, hinterließ dies offenbar Spuren an den Zehen der Menschen. Das schmal geschnittene Schuhwerk scheint zu derselben Art von Fehlstellung geführt zu haben, wie man sie heute bei Trägern von High Heels oder Pumps beobachtet.

Das schließt ein Archäologenteam um Jenna Dittmar von der University of Cambridge aus der Untersuchung von Skeletten dreier Friedhöfe in und um Cambridge. Von jenen Menschen, die zur Hochphase der Schnabelschuh-Ära im 14. und 15. Jahrhundert lebten, hatten 27 Prozent einen so genannten Hallux valgus, auch Ballenzeh genannt. Dabei wandert die Spitze des großen in Richtung des kleinen Zehs, gleichzeitig macht sich die Basis des verdrehten Zehenglieds als seitliche Ausbuchtung bemerkbar.

Während die heutige Schuhmode dazu führt, dass vor allem Frauen einen Ballenzeh entwickeln, waren es im Spätmittelalter eher die Männer, legt die Auswertung nahe. Durch die Fehlstellung kann der große Zeh den Fuß nicht mehr gut beim Abrollen unterstützen, dadurch steigt das Sturzrisiko.

Spitzentreffen bei Hofe | Die Szene zeigt den französischen König Philipp den Schönen (1268-1314), spielt also in der Präschnabelschuhära. Der Buchmaler David Aubert (geboren um 1435) konnte sich ein Treffen der Vornehmen ohne die nach ihrer polnischen Herkunft auch »Poulaines« genannten Schuhe offenbar nicht vorstellen.

Dass ein Hallux valgus keine Standarderscheinung des Mittelalters war, belegen ältere Skelettfunde auf denselben Friedhöfen. Von den Menschen, die zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert bestattet wurden, hatten gerade einmal sechs Prozent eine solche Fehlstellung, schreiben die Forscherinnen und Forscher im Fachmagazin »International Journal of Paleopathology«.

Auf den drei Friedhöfen, die das Team um Dittmar untersuchte, wurden Angehörige jeweils unterschiedlicher sozialer Schichten bestattet. Die wohlhabenderen Einwohner der Stadt kauften sich ein Fleckchen auf dem Gottesacker des Augustinerklosters, wo sie neben den Ordensbrüdern in geweihte Erde kamen. Hier trat die Zehenfehlstellung am häufigsten auf, was die Forscher als weiteren Beleg dafür werten, dass sie durch die Schuhmode bedingt war, die ja ihrerseits lange ein Oberschichtenphänomen war.

Auf dem Friedhof des Hospital of St. John, wo vor allem die Ärmsten der Stadt ihr Grab bekamen, gab es erwartungsgemäß weniger Fehlstellungen zu verzeichnen. Am seltensten traten sie in einem Friedhof auf, der am Stadtrand lag und auf dem die Familien der Handwerker und Bauern bestattet wurden. Insgesamt 177 Skelettfunde, bei denen auch der große Zeh erhalten war, nahmen die Experten in ihre Studie auf.

Geistlichkeit und Krone unternahmen mehrere Versuche, die Spitzenlänge zu regulieren. Vor allem das einfache Volk sollte nicht mit den Schnabelschuhen auftrumpfen. Im Jahr 1463 erließ König Edward IV. ein Gesetz, dem zufolge in London niemand unter dem Stand eines Lords Schnabelschuhe mit Spitzen von mehr als zwei Zoll oder rund fünf Zentimetern tragen durfte.

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