Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge: Die letzten zehn Prozent
Dass seine Arbeit fast 100 Jahre später immer noch Wellen schlagen würde, hat George Papanicolaou (1883–1962) sicher nicht geahnt. Bis heute gilt der Pap-Test, den der griechische Pathologe 1928 erfand, als zuverlässige Methode, um Gebärmutterhalskrebs frühzeitig zu erkennen. Der Zellabstrich vom Muttermund lässt nicht nur Krebszellen auffliegen, sondern sogar schon ihre Vorläufer. Das ermöglicht eine Behandlung, lange bevor sich eine entartete Zelle für die Patientin zum Problem entwickelt.
Papanicolaous Abstrich zählt zu den größten Erfolgen der Medizingeschichte. Weil er in Deutschland seit 1971 flächendeckend zum Einsatz kommt – jede Frau ab 20 hat jährlich Anspruch auf die Untersuchung –, ist die Zahl der Neuerkrankungen bis 2016 um 70 Prozent gesunken. Auf der Liste der häufigsten Krebserkrankungen ist Gebärmutterhalskrebs von Platz 1 auf Rang 13 gefallen. Während vor 1971 jedes Jahr rund 18 000 Frauen erkrankten, waren es 2016 in Deutschland nur noch 4380; die Wahrscheinlichkeit, an Gebärmutterhalskrebs zu sterben, hat sich halbiert.
Was 50 Jahre lang gut funktioniert hat, soll nun im Rahmen eines neuen Vorsorgeprogramms noch besser werden: Ab Januar 2020 nehmen Frauenärzte den Pap-Abstrich bei Patientinnen ab 35 nur noch alle drei Jahre vor. Dafür testen sie zusätzlich das Zellmaterial auf Humane Papillomviren (HPV). Diese, das ist seit Anfang der 1980er Jahre bekannt, lösen Gebärmutterhalskrebs aus. Frauen zwischen 20 und 34 können weiterhin den jährlichen Pap-Abstrich in Anspruch nehmen. Ob Pap- oder HPV-Test: Ist einer von beiden auffällig, soll künftig im Rahmen einer so genannten Kolposkopie eine genauere Untersuchung der Schleimhaut erfolgen.
Das Vorsorgeprogramm für eine lebensgefährliche Erkrankung zu optimieren, klingt sinnvoll. Es bahnen sich allerdings auch Probleme an: Zahlreiche Frauen sind mit HPV infiziert, weil die Viren beim Geschlechtsverkehr übertragen werden. Das Vorhandensein des Erregers ist keinesfalls gleichzusetzen mit einer Krebsdiagnose. Dennoch werden sich Patientinnen, deren Test positiv ausfällt, womöglich Sorgen machen. Zudem kann nicht jeder Gynäkologe die Kolposkopie durchführen, die in solchen Fällen mehr Klarheit schaffen soll. Weil die Krankenkassen die Kosten dafür bisher nicht übernommen haben, sind nur wenige Praxen mit dem erforderlichen Gerät, einer Art Vergrößerungsglas, ausgestattet. Patientinnen werden deshalb mit Wartezeiten rechnen müssen.
Frauenärzte in Rage
Als der Gemeinsame Bundesausschuss im Herbst verkündete, das neue Screening werde im Januar 2020 starten, gerieten die Frauenärzte in Rage. In einem offenen Brief wandte sich der Vorsitzende ihres Berufsverbands, Christian Albring, Ende November 2019 an den Bundesgesundheitsminister: Weil »wesentliche Fragen zur Umsetzung offen sind und eine flächendeckende Versorgung nicht gewährleistet ist«, bestehe er auf eine Verschiebung des Starts. »Das Chaos in den Praxen und die Verunsicherung der Frauen sind vorprogrammiert«, heißt es in Albrings Brief. In einer Pressemitteilung des Verbands ist von einem »Desaster« die Rede, von Wartezeiten »über viele Monate« und einem »völligen Zusammenbruch des Systems«.
Ein wenig übers Knie gebrochen erscheint die Aktion tatsächlich. Erst zwei Wochen vor Inkrafttreten, Mitte Dezember 2019, erfuhren die Frauenärzte, wie sie die neuen Untersuchungen mit den Krankenkassen abzurechnen haben. Die Software für die wissenschaftliche Dokumentation der Daten ist nicht einsatzbereit. Und wie viele Kolposkopien auf Grund positiver HPV-Tests auf die Praxen zukommen, lässt sich nur erahnen: 150 000 bis 750 000 pro Jahr könnten es sein, je nachdem, wen man fragt. Sollte der Mittelwert von 450 000 hinkommen, bedeutete das: Jede der derzeit 183 zertifizierten Praxen muss pro Woche rund 47 Extra-Kolposkopien stemmen.
Wie die Untersuchungen ablaufen
HPV- und PAP-Test: Beide Tests erfolgen im Rahmen der klinischen Untersuchung beim Frauenarzt und erfordern einen Zellabstrich. Während die Patientin auf dem Untersuchungsstuhl liegt, weitet der Arzt die Scheide mit dem so genannten Spekulum. Dann führt er eine kleine Bürste oder einen Spatel ein und entnimmt mit einer streichenden Bewegung Zellmaterial vom Muttermund und aus dem Gebärmutterhals. Für die Frau ist das nicht schmerzhaft. Der Arzt schickt die Probe ins Labor. Dort suchen Spezialisten für den PAP-Test unter dem Mikroskop nach entarteten Zellen. Ist zusätzlich ein HPV-Test fällig, fahnden die Experten in der Probe nach Viren-Erbgut. Das Ergebnis liegt meist innerhalb einer Woche vor.
Kolposkopie: Das so genannte Kolposkop ist eine Art Vergrößerungsglas, das sich in die Scheide einführen lässt. Es sendet Bilder von der Schleimhaut mit 10- bis 40-facher Vergrößerung an einen Monitor. Darauf kann die Frauenärztin gut sehen, ob bereits bösartige Veränderungen vorliegen. In Kombination mit dem PAP-Test lassen sich so mehr als 90 Prozent der Tumoren entdecken.
»Meines Erachtens hat der Gemeinsame Bundesausschuss dennoch zu Recht darauf bestanden, dass Frauen ab 2020 den verbesserten Test erhalten«, sagt Peter Hillemanns, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Medizinischen Hochschule Hannover. »In den ersten Jahren könnte es in den Dysplasiesprechstunden mit der Kolposkopie zu Engpässen kommen. Aber wichtig ist doch, dass Frauen mit dem HPV-Abstrich jetzt einen besseren Test bekommen können.«
Hillemanns hat die Entwicklung der neuen Leitlinie zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs von 2012 bis 2017 koordiniert. »Es war ein schwieriger Prozess, aber nun ist die Sache ausgestanden«, sagt der Gynäkologe. Die Entstehung eines solchen Behandlungsleitfadens für Ärzte dauert selten länger als drei Jahre. Was die Gebärmutterhalskrebs-Leitlinie ausgebremst hat, war unter anderem die Tatsache, dass sich die beteiligten Fachgesellschaften und Ärzte in zwei Lager spalteten, die sich gegenseitig Interessenkonflikte vorwarfen: Den Befürwortern des HPV-Tests, zu denen Hillemanns zählt, unterstellten die Gegner, von jenen Firmen abhängig zu sein, die solche Tests entwickeln.
Die Datenlage für den HPV-Test ist überzeugend
Hillemanns sieht das anders: »Die Datenlage ist so überzeugend, dass alle westlichen Gesundheitssysteme auf den HPV-Test umstellen. Er ist dem Pap-Abstrich überlegen. Eher muss man den Spieß umdrehen und sich fragen, wer ein Interesse hat, den Pap-Test weiter jährlich durchzuführen. Wir sind nun mal im molekularen Zeitalter angekommen.«
In vielen anderen Ländern hat der HPV- den Pap-Test bereits abgelöst: So hat beispielsweise jede Frau ab 30 in den Niederlanden fünfmal im Leben Anspruch auf einen HPV-Test – der Pap-Abstrich kommt erst in zweiter Instanz zum Einsatz. Genauso läuft es seit 2015 in der Türkei und seit 2017 in Australien. Auch Schweden, Finnland, Norwegen, Italien, Portugal, Argentinien, Kolumbien und Mexiko wollen ihre Vorsorge umstellen und in Zukunft zuerst auf HPV testen.
Warnzeichen
Mit folgenden Symptomen sollten Betroffene unbedingt einen Frauenarzt aufsuchen:
- Zwischenblutungen
- Blutungen nach dem Sex
- Blutungen nach den Wechseljahren
- Ausfluss
- Schmerzen im Unterleib
Weil Krebs im Unterleib erst spät Beschwerden verursacht, ist eine jährliche Untersuchung beim Frauenarzt unerlässlich – auch nach den Wechseljahren.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt den Test für Frauen schon ab 30 alle drei bis fünf Jahre. »Viele Länder starten das HPV-Screening früher als wir«, bestätigt Hillemanns. »Wir haben uns für 35 als Altersgrenze entschieden, weil wir vorher den jährlichen Pap-Abstrich haben. Das Drei-Jahres-Intervall war uns wichtig, damit nicht manche Frauen nur noch alle fünf Jahre zum Arzt gehen.« Denn Anspruch auf eine jährliche Untersuchung beim Frauenarzt haben weiterhin alle Frauen, ganz gleich, mit welcher Methode die Gebärmutterhalskrebsvorsorge durchgeführt wird. Schließlich geht es dabei ja auch um andere Themen, etwa die Brustkrebsfrüherkennung oder Verhütung.
Fragwürdig ist allerdings, ob Frauen unter 25 noch jedes Jahr einen Pap-Abstrich brauchen. Weil ein bösartiger Tumor am Gebärmutterhals sehr langsam wächst – 10 bis 20 Jahre vergehen, bis aus der Vorstufe Krebs entsteht –, kommt er bei ihnen selten vor. »Startet man aber erst ab 30 mit der Vorsorge, übersieht man vielleicht den einen oder anderen Krebs«, so Hillemanns, räumt jedoch ein: »Wir werden die Daten der kommenden sechs, sieben Jahre sammeln, auswerten und dann sehen, was für alle die beste Vorsorge ist.« Gegebenenfalls, so der Professor, werde das Früherkennungsprogramm dann noch einmal optimiert.
Eine Impfung bietet zusätzlichen Schutz
Und was ist mit jenen, die vor HPV geschützt sind? Seit 2006 gibt es die Impfung gegen das Virus, die das Robert Koch-Institut Mädchen und inzwischen auch Jungen zwischen 9 und 14 Jahren empfiehlt. Der Neunfach-Impfstoff, der 2016 auf den Markt kam, verringert die Wahrscheinlichkeit, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, um 90 Prozent. »Die Geimpften brauchen tatsächlich nicht jedes Jahr einen Abstrich«, bestätigt Hillemanns. Allerdings sind viele von ihnen momentan noch keine 20 – und außerdem lag die HPV-Impfquote 2015 in Deutschland gerade einmal bei 31 Prozent,
»Impfen ist der Schlüssel für die Zukunft«, sagt Klaus Joachim Neis, der das neue Früherkennungsprogramm als wissenschaftlicher Experte der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe beim Gemeinsamen Bundesausschuss begleitet hat. »Medizinisch notwendig war es nicht, das Screening zu ändern«, findet der Gynäkologe. »Schließlich verhindert allein der Pap-Abstrich inzwischen mindestens 75 Prozent der bösartigen Tumoren – das ist eine Riesenerfolgsgeschichte! Wir hätten auch beim Pap-Test bleiben und alle Jüngeren konsequent impfen können.« Aber nun sei das neue Screening eben Gesetz, »da hilft kein Jammern«, so Neis. »Wir sollten jetzt einfach damit anfangen, statt den Frauen das Gefühl zu vermitteln, dass das, was sie nun bekommen, schlechter ist als vorher. Das ist es nämlich nicht – wir wissen nur noch nicht, ob es wirklich besser ist.«
Das Wichtigste in Sachen Vorsorge ist wohl, überhaupt zum Arzt zu gehen. »Eine Frau, die regelmäßig an der Vorsorge teilnimmt, bekommt mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit keinen Krebs«, sagt Neis. Eine so hohe Zahl noch zu steigern, sei schwierig, deshalb müsse man sich »die letzten zehn Prozent teuer erkaufen«: mit dem HPV-Test, der Kolposkopie und der psychischen Belastung jener Patientinnen, die nach einem positiven Test länger auf die weitere Untersuchung warten müssen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.