Polarforschung: Was sich im mysteriösen Antarktiskrater verbirgt
Während eines Überflugs über das König-Baudoin-Schelfeis beobachteten der Geowissenschaftler Christian Müller und Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ein merkwürdiges Gebilde auf dem Eis: Die runde Struktur mit einem Durchmesser von zwei Kilometern führten sie später auf den Einschlag eines Meteoriten zurück, der 2004 in der Region niedergegangen sein soll. Das aber bezweifelte der Polarforscher Jan Lenaerts von der Universität Utrecht: "Ein Meteoritenkrater? In dieser Region? Dann war es definitiv kein Meteorit, sondern ein Beleg für eine sehr starke Eisschmelze." Und diese Annahme hat sich als richtig herausgestellt. Im Januar 2016 besuchten Jan Lenaerts und sein Kollege Stef Lhermitte von der TU Delft das fragliche Gebiet und entdeckten etwas, das sie allerdings auch nicht erwartet hatten: eine enorm große Gletschermühle im Schelfeis.
"Das war eine riesige Überraschung: Gletschermühlen finden sich beispielsweise auf Gletschern in Grönland oder im Hochgebirge. Wir haben sie noch nie auf einem Schelfeis entdeckt", so Lhermitte. Durch diese Löcher in der Eiszunge fließt Schmelzwasser von der Oberfläche in den Körper des Gletschers. Es gelangt dabei teilweise bis zur Basis und strömt dort oder zuvor im Eis dem Gefälle folgend bis zum Meer. Durch diese Gletschermühle war auch die kreisrunde Struktur entstanden: Hier befand sich ein Schmelzwassersee unter einer oberflächlichen Eisschicht, der sich dann entleert hat. Die Oberfläche sank deswegen ab.
Eine intensive Suche vor Ort und mit Hilfe von Satelliten erbrachte, dass in der Region zahlreiche versteckte Schmelzwasserseen existieren. Manche von ihnen weisen Durchmesser von mehreren Kilometern auf. Sie entstehen durch eine regionale Klimabesonderheit: Konstante, relative warme und trockene Winde blasen den Schnee von der Oberfläche und entblößen so das dunklere Schelfeis. Dadurch verringert sich die Albedo; es wird also weniger Sonnenstrahlung ins All reflektiert, und das Gebiet erwärmt sich.
Lokal entstehen auf diese Weise einige "Hotspots", so Lhermitte, an denen das Eis schmilzt und die Seen entstehen. Da das Schelfeis auf dem Meer schwimmt, steigt deshalb der Meeresspiegel nicht. Allerdings kann der Prozess dazu beitragen, dass sich das Schelfeis auflöst – wodurch landeinwärts folgende Gletscher ihre Blockade loswerden und schneller zum Ozean strömen können. Und das wiederum trägt zum Anstieg der Pegel bei.
Ob sich die Seebildung auf dem König-Baudoin-Schelfeis durch den Klimawandel beschleunigt hat, können die beiden Polarforscher noch nicht sagen. "Der Krater auf dem Eis ist nicht neu, sondern existiert schon auf Satellitenbildern aus dem Jahr 1989. Sicher ist aber nach den Daten, dass in wärmeren Jahren mehr Schmelzwasser durch die Gletschermühle strömt", sagt Lhermitte. In den letzten Jahren deutet sich allerdings an, dass das Schelfeis der Ostantarktis rascher schwindet, was mit dem Klimawandel zusammenhängen dürfte. Sollten sich die riesigen Eisflächen der Region auflösen, hätte das sicher fatale Folgen: Der gigantische Eisschild der Ostantarktis dürfte sich dann rascher Richtung Ozean bewegen – und die Meeresspiegel stark nach oben treiben.
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