Hydrologie: Was steckt hinter dem kochenden Amazonasfluss?
Mitten im peruanischen Amazonasgebiet fließt ein Fluss wie kein anderer in der Region: Über mehr als sechs Kilometer Länge ist sein Wasser durchschnittlich 86 Grad Celsius heiß, an manchen Stellen kocht es sogar. Tiere, die hineinfallen oder ihn durchqueren wollen, sterben meist und werden gesotten. Doch was heizt das Fließgewässer überhaupt auf, das teilweise breiter ist als eine zweispurige Straße? Diese Frage stellt sich der Geophysiker Andrés Ruzo von der Southern Methodist University in Dallas, der über seine Entdeckungen bereits einen TED-Talk gehalten hat. Geothermale Quellen oder größere Gewässer sind keine Seltenheit. Allerdings kommen sie in dieser Größe meist im Umfeld von aktiven oder ruhenden Vulkanen vor. In Peru ist der nächste Vulkan jedoch mehr als 700 Kilometer vom "kochenden Fluss" entfernt, den die einheimische Bevölkerung Shanay-timpishka nennt: "von der Sonne zum Kochen gebracht".
Die Kraft der Sonne reicht aber nicht aus, um das Gewässer so stark aufzuheizen. Geochemische Analysen durch Ruzo belegen zudem, dass das Wasser im Fluss aus Regenfällen stammt und kein kristallines Wasser aus dem Erdmantel oder tieferen Lagen der Erdkruste enthält. Wo die Niederschläge niedergingen, ist allerdings noch unklar; womöglich sogar in den hunderte Kilometer entfernten Anden. Danach versickerten sie in der Tiefe, wo sie geothermisch aufgeheizt wurden, bevor sie im Tiefland wieder zu Tage treten. Sollte sich dies bestätigen, so existiert hier ein gigantisches hydrologisches System, das auch unterirdisch die Anden mit dem Amazonasbecken verbindet. Unwahrscheinlich ist das nicht: So besitzt der Amazonas womöglich einen unterirdischen Zwilling, der mehr Wasser als der Rhein führt und in 4000 Meter Tiefe durch das Sediment sickert. Trotz seiner extremen Bedingungen beherbergt der Shanay-timpishka zudem einzigartiges Leben, wie Ruzo ebenfalls entdeckt hat: einige Archeenarten, die zu den so genannten Extremophilen zählen und bislang nur hier nachgewiesen wurden.
Dabei hatte der Wissenschaftler selbst lange an der Existenz des Flusses gezweifelt, der von indigenen Schamanen regelmäßig für Zeremonien aufgesucht wird. Er erfuhr erstmals davon, als sein Großvater ihm von den Konquistadoren erzählte, die nach Amazonien zogen, um Gold zu finden. Nur wenige der spanischen Eroberer kehrten zurück und berichteten von Hunger, Krankheit, Menschen fressenden Schlangen – und einem kochenden Fluss. Als Ruzo Jahre später als Doktorand eine geothermische Karte von Peru zusammenstellte, fand er jedoch nichts über heiße Quellen im peruanischen Amazonasbecken, die dem Gewässer entsprechen könnten, und viele Kollegen hielten die Idee ohnehin für abwegig. Allerdings hatte eine seiner Tanten 2011 den Fluss besucht – der tatsächlich bereits touristisch in geringem Umfang genutzt wurde, während ihn die Wissenschaft bislang ignoriert hat: Bis auf einige wenige Veröffentlichungen in "Petroleum"-Journals aus den 1930er Jahren fand Ruzo nichts.
Dabei drängt die Zeit, denn der kochende Fluss befindet sich in einer Region, in der verstärkt Regenwald gerodet wird – sein Einzugsgebiet könnte also bald gefährdet sein und damit womöglich auch sein Zufluss. Und Ruzo möchte verhindern, dass der Shanay-timpishka selbst als Energiequelle genutzt wird. Er drängt deshalb darauf, dass die peruanische Regierung den kochenden Fluss als "nationales Denkmal" schützt.
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