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Sinnespsychologie: Was taste ich denn da?

Das Phänomen der optischen Täuschungen ist derart altbekannt, dass sie längst als gezielte Party-Irritationen herhalten. Neuer ist da schon, dass wir womöglich selbst dem Tastsinn nicht mehr sorglos vertrauen dürfen.
Neckerwand-Täuschung
Unsere fünf Sinne sind dazu da, uns die Welt verständlich zu machen. Mit ihrer Hilfe erkennen wir, ob etwas warm ist oder kalt, wie etwas riecht oder schmeckt und wie die Welt aussieht. Leider funktionieren unsere Sinne aber nicht immer so, wie sie sollten. Das zeigen uns beispielsweise optische Täuschungen. Ob eine gemalte Wand aus dem Bild herausragt oder nach hinten in das Bild hineingeht, das hängt davon ab, wie unser Gehirn das Bild interpretiert – und gelegentlich ist es dabei nicht stetig mit sich im Reinen, sondern wechselt mehrfach die Anschauung.

Neckerwand | Unser Gehirn interpretiert unsere visuellen Eindrücke. Wenn es nicht zu einem eindeutigen Entschluss darüber kommt, was es sieht, wechseln verschiedene Bilder sich ab – einmal steht eine Wand nach vorne aus dem Bild heraus und einmal ragt sie in den Hintergrund.
Solche rivalisierenden Eindrücke können im Gehirn durchaus einen Kampf ums Dasein führen und uns nacheinander zu unterschiedlichen Schlüssen kommen lassen. Manche optische Täuschung führt sogar dazu, dass wir innerhalb weniger Sekunden oder Minuten zwei sich immer wieder abwechselnde Eindrücke von einem Bild konstruieren. Solche Illusionen nennt man Kippfiguren. Sie sind heutzutage allgemein bekannt und waren auch in der Kunst von Maurits Cornelis Escher bis Salvador Dalí sehr beliebt.

Ohne dass der optische Reiz sich verändern muss, erzeugen Kippbilder in unserer Wahrnehmung wechselnde, rivalisierende Eindrücke. In einem solchen Konfliktfall scheint unser Gehirn keine eindeutige visuelle Lösung zu finden. Das Sehsystem versucht jedes Mal aufs Neue, von einer Interpretationsmöglichkeit in eine andere, gleich wahrscheinliche Interpretation überzugehen.

Bälle hüpfen je nach Interpretation

Ein Beispiel für ein Kippbild ist das so genannte Scheinbewegungs-Quartett. Bei dieser optischen Täuschung blinken abwechselnd je zwei diagonal gegenüberliegende Ecken eines Quadrates auf. Unsere Wahrnehmung sieht aber etwas anderes. Sie interpretiert die Lichtpunkte entweder als zwei auf und ab hüpfende oder als zwei horizontal hin und her hüpfende Bälle. Schaut man nur lange genug auf das Bild, werden sich diese beiden Eindrücke gegenseitig abwechseln.

Mit eben dieser optischen Täuschung haben Christopher Moore vom MIT und Kollegen ein neuartiges Experiment durchgeführt. Diesmal ging es ihnen aber gar nicht um den Sehsinn, sondern darum, ob auch der Tastsinn sich in die Irre führen lässt. Dies widerspricht dem intuitiven menschlichen Empfinden, dass der Tastsinn doch eigentlich stets objektiv sein sollte.

Illusionen für die Fingerspitzen

Für die Tast-Illusion mussten die Probanden in Moores Versuch ihre Fingerspitzen auf ein piezoelektrisches Areal von einem Quadratzentimeter legen. Auf diesem vermittelten 60 Elektroden eine Stimulierung der Nervenzellen. Diese elektrischen Signale entsprachen genau der optischen Täuschung der tanzenden Lichtbälle, wie sie im Scheinbewegungs-Quartett auftreten.

Es zeigte sich, dass Probanden die diagonal wechselnden Stimuli, analog zum visuellen Fall, als wechselnd horizontal oder vertikal schwingend interpretierten, so, als würden an ihrem Finger winzige Bälle entweder horizontal oder vertikal hin und her springen. Während jedoch bei der optischen Täuschung die Bewegungseindrücke sich innerhalb von zwei Minuten abwechselten, dauerte der Übergang beim Tastsinn meist nur 30 Sekunden.

Aber auch sonst verhielt der Tastsinn sich auffallend ähnlich wie der Sehsinn. So konnten die Forscher beispielsweise ein Phänomen beobachten, das dem visuellen Nachbild bei einer starken visuellen Reizung ähnelt. Außerdem fanden sie für den Tastsinn eine Art von Interpretationsgedächtnis: Machte das elektrische Signal nämlich eine Pause von wenigen Sekunden, dann interpretierte der Versuchsteilnehmer die Bewegung der Signale an seinem Finger wieder in dieselbe Richtung wie vor der Pause.

Die Augen leiten die Sensorik

Um zu sehen, inwiefern Seh- und Tastsinn einander hilfreich ergänzen können, ließen die Forscher zuletzt ihre Probanden mit den Augen bestimmte Bewegungsrichtungen vorgeben. Wenn die Versuchsteilnehmer ihre Augen beispielsweise horizontal hin und her bewegten, hatten sie vermehrt die Empfindung, auch das Signal an ihrem Finger bewege sich horizontal.

Interessanterweise änderte sich dies, wenn die Teilnehmer den Kopf um 90 Grad drehten. Blickten sie wieder von links nach rechts, dann empfanden sie das Signal am Finger als eine vertikale Bewegung der hüpfenden Bälle. Das entsprach dann der Blickbewegung in ihrem Sichtfeld. Die Forscher führen dies darauf zurück, dass der Seh- und Tastsinn mit der äußeren Welt, und nicht mit einem inneren Koordinatensystem verbunden sind. Dies ist wahrscheinlich auch gut so – wäre für uns beispielsweise immer dort "oben", wo unser Kopf sich gerade befindet, dann hätten wir gewaltige Koordinationsprobleme. Wenn uns unsere Sinne also auch manchmal täuschen, so arbeiten sie doch sehr hilfreich zusammen.

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