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Hühnerknochen: Was von der Menschenwelt übrig bleibt

Die Menge weltweit anfallender Hühnerknochen ist atemberaubend hoch - und unübersehbar bis in die ferne Zukunft. Taugt das Industriehuhn gar als ewiger Zeuge der Menschenwelt?
Und vom ganzen Hühnerschmaus gucken nur noch Knochen raus

Knapp über 22 Milliarden Hühner leben aktuell auf diesem Planeten, die Zahl der pro Jahr geschlachteten Individuen ist allerdings noch einmal deutlich höher: 2016 lag sie bei 65,8 Milliarden Tieren. Damit übertrifft die Population von Gallus gallus domesticus die jeder anderen Vogelart um mindestens eine Größenordnung. All das hinterlasse dauerhafte Spuren, meinen nun Forscher um Carys E. Bennett von der University of Leicester.

Tatsächlich seien die Spuren so dauerhaft – und so markant –, dass sie als Kennzeichen der »Menschenwelt« taugen, also jenes geologischen Zeitabschnitts, der durch menschlichen Einfluss geprägt ist. Diese Anthropozän getaufte Ära würde sich Forschern einer fernen Zukunft durch plötzliches Auftauchen von Plastikmüll oder Betonresten in Sedimenten verraten oder eine unnatürliche Verteilung radioaktiven Materials. Und eben womöglich auch durch Hühnerknochen in großer Zahl.

Was die reine Masse angeht, stehen zwar noch Schweine an der Spitze der globalen Nahrungsmittelproduktion, doch werden deren Knochen häufig verwertet, während Hühnerknochen oftmals beim Konsumenten landen. Über die lokale Müllabfuhr sammeln sie sich in den Deponien der Welt, wo anaerobe Verhältnisse dazu beitragen, dass die verhältnismaßig schnell verrottenden Knochen konserviert würden, schreiben die Wissenschaftler.

Das heutzutage in der Fleischproduktion eingesetzte Huhn ist durch Zucht massiv verändert worden. Sein Körpergewicht verfünffachte sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Ohne die technische Unterstützung in den Aufzuchtbetrieben seien diese Tiere kaum überlebensfähig, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Beitrag im Journal »Royal Society Open Science«. Deshalb sei es sehr unwahrscheinlich, dass die natürliche Evolution je etwas Vergleichbares hervorbringen könnte. Im gleichen Maß wie die Menge an Zuchthühnern wuchs, ging die Zahl wild lebender Vögel zurück – beides direkte Folgen von Bevölkerungszuwachs und Industrialisierung.

Damit sind ihre Knochen weit mehr als nur ein unter praktischen Erwägungen gewähltes Signal für den Beginn des Anthropozäns: Die Hühner, meinen die Autoren, stünden geradezu symbolhaft für die gesammelten Einflüsse des Menschen auf die Biosphäre der Erde. Welchen besseren Zeugen des Anthropozäns könnte es also geben?

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