Covid-19: Was wir aus den Ausbrüchen auf Kreuzfahrtschiffen lernen
Als Covid-19 unter den Passagieren des Kreuzfahrtschiffes »Diamond Princess« entdeckt wurde, bot sich Forschern eine seltene Gelegenheit: Hier konnten sie Merkmale des neuen Coronavirus verstehen lernen, die sich in der breiteren Bevölkerung nur schwer untersuchen lassen. Einige der ersten Studien, die sich mit den Menschen an Bord befassen, zeigen, wie schnell sich das Virus verbreitet, wie häufig die Krankheit einen schweren Verlauf nimmt und wie oft sie ganz ohne Symptome verläuft.
Aus Ausbrüchen wie dem auf der »Diamond Princess« können Informationen gewonnen werden, die essenziell sind für Menschen, die Entscheidungen über den Umgang mit der Epidemie treffen müssen, sagen Wissenschaftler. »Kreuzfahrtschiffe sind wie ein ideales Experiment in einer geschlossenen Population. Man weiß genau, wer dort ist und wer gefährdet ist, und man kann jeden untersuchen«, erklärt der Epidemiologe John Ioannidis von der Stanford University in Kalifornien. Damit unterscheiden sich die Bedingungen maßgeblich von dem Versuch, die Ausbreitung des Virus in der breiteren Bevölkerung zu studieren, wo nur einige Menschen, typischerweise solche mit schweren Symptomen, getestet und überwacht werden.
Die »Diamond Princess«
Am 1. Februar 2020 wurde ein Passagier, der einige Tage zuvor in Hongkong von Bord der »Diamond Princess« gegangen war, positiv auf das Coronavirus getestet, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann. Daraufhin wurde das Schiff unmittelbar nach der Ankunft in japanischen Gewässern am 3. Februar mit 3711 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord unter Quarantäne gestellt. Im Lauf des folgenden Monats infizierten sich mehr als 700 Menschen, womit das Schiff wochenlang Schauplatz des größten Ausbruchs außerhalb Chinas war.
Da die Menschen auf engstem Raum zusammenleben und gleichzeitig der Anteil älterer Personen hoch ist, die für die Krankheit besonders anfällig sind, verbreitet sich das Virus auf einem Schiff leicht. Seit der »Diamond Princess« haben mindestens 25 weitere Kreuzfahrtschiffe Covid-19-Fälle bestätigt – allein auf der »Grand Princess«, die vor der Küste Kaliforniens unter Quarantäne gestellt wurde, befinden sich 78 Betroffene. Passagiere, die von ihrer Reise zurückgekehrt sind, haben die Krankheit außerdem in andere Länder wie etwa die Vereinigten Staaten weitergetragen.
Die japanischen Behörden haben mehr als 3000 Tests an Bord der »Diamond Princess« durchgeführt, angefangen bei älteren Passagieren und solchen mit Symptomen. Manche Passagiere wurden sogar mehrmals getestet, was Aufschluss darüber gibt, wie sich das Virus im Lauf der Zeit verbreitet hat. Die Tatsache, dass die Beamten fast alle Passagiere und Besatzungsmitglieder untersuchten, liefert Forschern Antworten auf eine Frage, die bei vielen Ausbrüchen schwer zu beantworten ist: Wie viele Menschen sind wirklich infiziert, auch wenn sie nur leichte oder gar keine Symptome verspüren? In der breiten Bevölkerung bleiben diese Fälle oft unentdeckt.
Auf Basis der Daten von der »Diamond Princess« berichtet ein Team im Fachmagazin »Eurosurveillance«, dass bis zum 20. Februar 18 Prozent aller infizierten Personen auf dem Schiff keine Symptome hatten. »Das ist eine beträchtliche Zahl«, sagt Studienautor Gerardo Chowell, Epidemiologe an der Georgia State University in Atlanta. Da sich unter den Passagieren besonders viele ältere Menschen befanden, bei denen es am ehesten zu schweren Verläufen kommt, sei der Anteil an asymptomatischen Menschen in der allgemeinen Bevölkerung jedoch wahrscheinlich noch höher.
Wie gefährlich ist die Krankheit wirklich?
Ein anderes Team schätze auf Grund der Daten von dem Schiff, dass der Anteil der Todesfälle unter den bestätigten Fällen in China – die »case fatality rate« (CFR) – bei etwa 1,1 Prozent lag. Das ist deutlich weniger als die 3,8 Prozent, von denen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgeht. Die WHO hat einfach die Gesamtzahl der Todesfälle in China durch die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen geteilt, sagt Timothy Russell, Epidemiologe an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Diese Methode berücksichtige jedoch nicht, dass nur ein Bruchteil der Infizierten tatsächlich getestet werde, und lasse die Krankheit daher tödlicher erscheinen, als sie ist.
Russell und seine Kollegen nutzten hingegen die Daten der »Diamond Princess«, wo fast jeder getestet und alle sieben Todesfälle registriert wurden. Dies übertrugen sie auf die mehr als 72 000 bestätigten Fällen in China, um eine robustere CFR-Schätzung zu erhalten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie anschließend auf dem biomedizinischen Preprint-Server »medRxiv«, eine Überprüfung von Fachleuten steht noch aus.
Die Menschen gehen, das Virus bleibt
Einem Bericht der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zufolge hat Sars-CoV-2 auch nach der Räumung des Schiffes noch verhältnismäßig lange auf der »Diamond Princess« überdauert: Noch 17 Tage später konnten Forscher die RNA des Virus auf verschiedenen Oberflächen in den Kabinen von infizierten Passagieren mit und ohne Symptomen nachweisen. Ob sich Menschen über das Berühren von kontaminierten Oberflächen tatsächlich mit dem Virus angesteckt haben, sei allerdings nicht mehr auszumachen. Das müssten künftige Studien nun zeigen.
Bereits in der Vergangenheit hatten Wissenschaftler berichtet, dass das Virus mitunter mehrere Tage auf bestimmten Oberflächen überdauern kann. Das Robert Koch-Institut schreibt dazu auf seiner Internetseite: »Bei Coronaviren, die respiratorische Erkrankungen verursachen können, erfolgt die Übertragung primär über Sekrete des Respirationstrakts. Gelangen diese infektiösen Sekrete an die Hände, die dann beispielsweise das Gesicht berühren, ist es möglich, dass auch auf diese Weise eine Übertragung stattfindet.« Grundsätzlich hingen die Übertragungsmöglichkeiten von verschiedenen Faktoren ab, die sich im Laborexperiment nur schwer simulieren lassen. Dennoch sei eine gute Hände-Hygiene wichtig für die Prävention.
Das Team ermittelte außerdem, dass die »infection fatality rate« (IFR) – also der Anteil aller Infektionen, auch der asymptomatischen, die zum Tod führen – mit etwa 0,5 Prozent in China noch einmal niedriger ist. Die IFR ist in der Bevölkerung besonders schwierig zu berechnen, da manche Todesfälle unentdeckt bleiben, weil die betreffende Person keine Symptome gezeigt hat oder sich nicht testen ließ.
Die IFR sei ein wichtiger Indikator, um zu verstehen, wie schwer die Krankheit verläuft und wie man am besten eingreifen kann, sagt Marc Lipsitch von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston, Massachusetts. »Das sind wichtige Bemühungen. Ein Nachteil ist allerdings, dass die Infektionen durch Virustests festgestellt wurden« und dass möglicherweise Menschen, die infiziert waren, sich aber wieder erholt haben, übersehen worden seien.
Womöglich könnten Studien, die sich auf die Daten der »Diamond Princess«-Passagiere stützen, zusätzlich profitieren, wenn sie die Krankengeschichten der Personen an Bord miteinbeziehen, etwa, ob diese Raucher waren oder nicht, sagt der Epidemiologe John Ioannidis. »Wir wissen, dass nicht nur das Alter, sondern auch Leiden wie eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Herzprobleme und Diabetes das Risiko für einen schweren Verlauf erhöhen.«
Quarantäne in der Kabine
Chowell untersuchte auch, wie wirksam die strengen Eindämmungsmaßnahmen, die an Bord der »Diamond Princess« galten, die Ausbreitung des Virus stoppen konnten. Ab dem 5. Februar durften die Passagiere des Schiffes ihre Kabinen für mindestens zwei Wochen nicht mehr verlassen. Gemeinsam mit dem Epidemiologen Kenji Mizumoto von der Universität Kyoto in Japan berichtet er im Magazin »Infectious Disease Modelling«, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Quarantäne begann, eine Person mehr als sieben weitere Menschen anstecken konnte. Die Infektionsrate war wahrscheinlich deshalb recht hoch, weil die Betroffenen auf engem Raum zusammenlebten und mit dem Virus kontaminierte Oberflächen berührten, sagt Chowell.
Doch nachdem die Passagiere in ihren Kabinen bleiben mussten, fiel die durchschnittliche Zahl der Menschen, an die eine infizierte Person das Virus weitergab, unter eins. Dies deute darauf hin, dass die Quarantäne eine Menge Infektionen verhindert habe, sagt Chowell. Allerdings war sie nicht perfekt: Die Passagiere konnten immer noch ihre Zimmergenossen oder die Besatzungsmitglieder anstecken.
Obwohl die Erkenntnisse, die durch den Ausbruch auf der »Diamond Princess« gewonnen wurden, wertvoll seien, sei es dennoch schwierig, aus der Schiffsquarantäne wertvolle Lehren für jene Länder abzuleiten, die nun zu ähnlichen Sperrmaßen greifen, sagt Ioannidis. »Ein ganzes Land ist nun mal kein Schiff.«
Dieser Artikel ist im Original unter dem Titel »What the cruise-ship outbreaks reveal about COVID-19« bei »Nature« erschienen.
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