Reaktion in der Tiefe: Wasser steckt hinter gleich zwei Erdkern-Mysterien
Eine bisher unbekannte chemische Reaktion mit Wasser erzeugt vermutlich zwei rätselhafte Besonderheiten des Erdkerns. Demnach reichert sich der vor allem aus Eisen bestehende Kern mit Wasserstoff an und gibt dafür Silizium an den darüberliegenden Erdmantel ab. Das würde einerseits erklären, weshalb der äußere Erdkern etwa zehn Prozent leichter ist als erwartet, und andererseits, was es mit einer dünnen Schicht auf sich hat, die laut seismischen Daten an der Oberfläche des Erdkerns liegt.
Ein Team um Sang-Heon Shim von der Arizona State University und Yongjae Lee von der Yonsei University in Seoul untersuchte das Verhalten von Kern- und Mantelbestandteilen bei hohen Drücken und Temperaturen in einer Diamantstempelzelle. Wie die Gruppe in der Fachzeitschrift »Nature Geoscience« berichtet, reagiert Wasser mit Silizium in der Eisenlegierung des Erdkerns. Dabei entsteht Silikat, das sich an die Mantelgesteine anlagert, während der Wasserstoff im Eisen gelöst bleibt.
Der flüssige äußere Erdkern besteht aus einer Eisen-Nickel-Legierung, deren genaue Zusammensetzung jedoch umstritten ist. Seine Dichte ist weit geringer, als man für eine solche Legierung erwarten würde. Deswegen geht man davon aus, dass er große Mengen leichtere Elemente enthält – doch welche und vor allem, wie sie dort hinkommen, ist unklar. Ein Teil der Antwort liegt womöglich in einem gigantischen Transportband, das von der Oberfläche der Erde bis zum Eisenkern hinabreicht. In den Tiefseegräben, die die Grenzen zwischen Erdplatten markieren, tauchen wasserreiche ozeanische Krustengesteine tief in den Erdmantel hinab. Einen großen Teil dieses Wassers geben sie im Erdmantel wieder ab. Doch einige wasserhaltige Minerale sind so stabil, dass sie mit der alten Erdkruste bis an die Grenze des Erdkerns in 2900 Kilometern transportiert werden.
Was dort mit dem Wasser passiert, untersuchte nun das Team um Shim und Lee in Hochdruckexperimenten. In einer mit einem Laser erhitzten Diamantstempelzelle, in der man die Drücke und Temperaturen an der Kern-Mantel-Grenze erreichen kann, ließ es wasserhaltige Minerale mit einer Legierung aus Eisen und neun Prozent Silizium reagieren. Dabei bildeten sich unabhängig von der genauen Wasserquelle und den jeweiligen Bedingungen immer einerseits Silikat und andererseits in Eisen gelöster Wasserstoff. In dem Versuch hatte außerdem das Eisen mit dem gelösten Wasserstoff eine deutlich geringere Dichte als die umgebende Legierung, die Reaktion könnte also erklären, warum der äußere Erdkern leichter ist als erwartet.
Die Ergebnisse dieses Versuchs legen zudem nahe, dass sich das deutlich leichtere wasserstoffreiche Eisen nur schlecht im gesamten äußeren Erdkern verteilt. Es ist schlicht zu leicht, um durch die Strömungen im Metall verteilt zu werden, und bleibt stattdessen an der Oberfläche des flüssigen Kerns. Dieser Befund passt erstaunlich gut zu einer anderen rätselhaften Beobachtung aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Demnach nämlich deuten Erdbebenwellen, die durch die Erde wandern und an den verschiedenen Schichten gebeugt werden, auf die Existenz einer stabilen dünnen Flüssigkeitsschicht um den äußeren Erdkern hin.
Bisher gab es für diese als E' bezeichnete Schicht keine hinreichende Erklärung. Die Experimente der Arbeitsgruppe weisen nun jedoch darauf hin, dass die Flüssigkeit das Ergebnis eines gigantischen, über Jahrmilliarden ablaufenden Prozesses ist. Dabei gelangt Wasser zusammen mit abtauchenden Gesteinen von der Oberfläche bis an die Grenze des Erdmantels. Dort reagiert es mit dem Metall des Erdkerns und erzeugt dabei eine wasserstoffreiche Eisenschmelze, die auf der Eisen-Nickel-Legierung des Erdkerns schwimmt – und in den Erdbebendaten als separate Schicht erkennbar wird.
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