Glaziologie: Wassergefüllte Kanäle durchziehen Gletscherbasis
So ein Gletscher besteht zwar aus sehr viel Eis, doch es ist flüssiges Wasser, das für das Verhalten der Eismassen die entscheidende Rolle spielt. Es sammelt sich an der Sohle des Gletschers und höhlt dort ein kompliziertes System von Tunneln aus. Bisher waren Glaziologen davon ausgegangen, dass sich dieses Wasser fast ausschließlich in den Hohlräumen direkt an der Gletschersohle bewegt und hier den Fluss des Gletschers bremst oder beschleunigt. Tatsächlich ist die Situation nahe der Gletscherbasis ungleich komplizierter.
Mit Radardaten und moderner Bohrtechnik spürte ein Forscherteam um Joel Harper von der University of Montana dem Wasser im Inneren des bis zu 200 Meter dicken Bench-Gletschers in Alaska nach. Dabei stießen sie auf ein ausgedehntes System von wassergefüllten Spalten tief im Eis – die allerdings gehen nicht von der Oberfläche aus, wie normale Gletscherspalten, sondern von unten, vom Gletscherbett.
Die Wissenschaftler nutzten einen Strahl heißen Wassers, um in den Gletscher vorzudringen, und senkten Videokameras in die fertigen Löcher ab. Ab 40 Meter über der Gletschersohle trafen die Forscher mit jeder ihrer Bohrungen auf durchschnittlich mindestens zwei Spalten, deren Durchmesser von Millimetern bis zu über einem Meter reichte. Nahe der Gletschersohle wurde das Wasser trübe, ein deutliches Zeichen, dass die Risse im Eis mit dem Untergrund verbunden sind, was die Wissenschaftler auch aus dem steilen Einfallswinkel der Spalten schließen.
Bemerkenswert finden die Forscher, dass die Spalten offenbar gründlich untereinander verbunden sind – traf eine Bohrung eine neue Spalte, änderte sich der Pegel in anderen, weiter entfernten Bohrungen ohne jede Verzögerung. Experimente mit Markierungssubstanzen bestätigten, dass auch mehrere Dutzend Meter voneinander entfernte Bohrlöcher über die Risse im Gletscher Wasser austauschen können.
Auch Radardaten und seismische Messungen bestätigen diese Befunde. Während die Sondierungen nahe der Oberfläche nur homogenes, festes Eis zeigen, ändert sich das Bild in den Tiefen, in denen die Risse erbohrt wurden: Dort zeigt das Radarbild lang gestreckte Unregelmäßigkeiten im Eis, die sich flächenhaft bis zur Basis des Gletschers erstrecken – die Klüfte, auf die zuvor der Bohrer gestoßen war.
Solche Risse tief im Eis können durch zwei verschiedene, oft zusammenwirkende Effekte entstehen. Zum einen fließt die Zunge des Gletschers unter ihrem eigenen Gewicht hangabwärts: Dabei wird das Eis gedehnt und kann lokal aufreißen, besonders wenn der Gletscher über eine Schwelle fließt und dabei deformiert wird. Außerdem kann der Wasserdruck selbst Spalten im Eis aufreißen. Das passiert meist, wenn das Gewicht des Gletschers auf dem Wasserkörper selbst lastet und deswegen der Druck hoch ist. Dann dringt das Wasser an Schwachpunkten ein und reißt die Gletschersohle bis in mehrere Dutzend Meter Höhe auf.
Dass die Klüfte durch den Druck der Bohrung selbst geöffnet würden, schließen die Forscher jedenfalls ebenso aus einem anderen Grund aus. An einem Bohrloch konnten sie bei der Geburt eines neu entstehenden Risses zusehen – lange nach der Bohrung selbst brach der Gletscher und brachte schlammiges Wasser aus dem Gesteinsbett bis in 34 Meter Höhe.
Die Autoren der Forschungsarbeit vermuten, dass das in diesem Kluftsystem gespeicherte Wasser ausreichen würde, um das gesamte Gletschertal mehrere Dezimeter hoch mit Wasser zu füllen. Für die Dynamik des Gletschers dürfte dieses wassergefüllte Netzwerk, das weit in den Gletscher hineinreicht, erhebliche Auswirkungen haben. (lf)
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