Wasserkraft: Streit über Äthiopiens Megastaudamm droht zu eskalieren
Ägypten, Äthiopien und der Sudan sollten ihren lang anhaltenden Streit über den Bau des größten Wasserkraftwerks Afrikas rasch beilegen. Das zumindest raten Forscher, weil die saisonalen Regenfälle beginnen, den Großen Äthiopischen Renaissance-Staudamm am Blauen Nil zu füllen. Zwei Drittel des Staudamms sind bereits gebaut.
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat im Namen der Afrikanischen Union (AU) für Gespräche gesorgt. Diese endeten jedoch am 13. Juli 2020 ohne Einigung. Nach Ansicht von Hydrologen und Politikwissenschaftlern könnten sich die bereits angespannten Beziehungen zwischen den Anrainerstaaten deshalb noch verschlechtern.
Die ägyptische Regierung widersetzt sich dem Projekt seit seinem Beginn 2011. Sie bezeichnet den Staudamm als existenzielle Bedrohung. Die Politikerinnen und Politiker sind besorgt, dass die Talsperre die Wasserversorgung des Landes einschränken wird. Vor allem in Dürrezeiten kommt das in Ägypten benötigte Wasser fast ausschließlich aus dem Nil.
Äthiopien hingegen bezeichnet den Staudamm als existenzielle Notwendigkeit. Die Bürger des Landes – deren Steuern den größten Teil der fast fünf Milliarden US-Dollar für den Damm bezahlt haben – erwarten elektrische Energie, einen Aufschwung für die Industrie und neue Arbeitsplätze. Die Weltbank schätzt, dass fast die Hälfte von ihnen bislang keinen Zugang zu Elektrizität hat.
Kann die Weltbank helfen, den Streit zu schlichten?
Seit den Diskussionen im vergangenen Herbst haben die drei Nationen einige wichtige Streitpunkte geklärt, darunter die Wassermenge und die Zeit, die für die Befüllung benötigt wird. Aber es ist noch immer unklar, was im Fall einer Dürre geschehen würde, sowie einige andere technische und rechtliche Fragen.
Am 15. Juli 2020 soll Seleshi Bekele, Äthiopiens Minister für Wasser und Bewässerung, im Staatsfernsehen gesagt haben, dass der Bau des Staudamms und das Auffüllen seines Reservoirs Hand in Hand gehen. »Die Befüllung des Staudamms muss nicht bis zur Fertigstellung des Staudamms warten«, fügte er hinzu. Dies wurde weithin dahingehend interpretiert, dass Äthiopien damit begonnen habe, den Damm zu füllen. Doch die Regierung stellte später klar, dass der Wasserzufluss in den Stausee auf starke Regenfälle und Abflüsse zurückzuführen sei.
»Der Bedarf einer Nation an Elektrizität ist an den Bedarf einer anderen Nation an Wasser geknüpft«
Mohamed Fouad, Mitglied des ägyptischen Parlaments
Zuvor sagte Mohamed Fouad, Mitglied des ägyptischen Parlaments, gegenüber »Nature«, dass es helfen könnte, eine dritte Partei wie die Weltbank einzubeziehen. Diese könnte äthiopische Kraftwerke finanzieren, wenn Äthiopien elektrische Energie benötige.
Der ägyptische Wasserminister Mohamed Abdel Aty hat vorgeschlagen, dass Ägypten potenziell Strom mit Äthiopien teilen könnte. Ähnlich läuft es bei Vereinbarungen mit anderen Ländern wie dem Sudan. Demnach könnte Äthiopien die Befüllung des Staudamms verlangsamen, bis die Nationen zu einer Einigung kommen, sagt Fouad. »Der Bedarf einer Nation an Elektrizität ist an den Bedarf einer anderen Nation an Wasser geknüpft.«
Über die Wassermenge und Befüllungszeit herrscht Einigung
Wenn die äthiopische Regierung das Sommerfenster verpasst, müsste das Land aus Sicht der äthiopischen Regierung ein weiteres Jahr warten, um Wasser einzulassen. Doch es gibt nicht nur zeitlichen, sondern auch politischen Druck: Keine Regierung wolle so wahrgenommen werden, als würde sie nachgeben, sagt Ashok Swain, der an der Universität Uppsala in Schweden Friedens- und Konfliktforschung betreibt.
Die AU hat sich eingeschaltet, nachdem frühere, von den Vereinigten Staaten und den Vereinten Nationen vermittelte Gespräche nicht zu einer Einigung geführt hatten. Aber es gab Fortschritte bei wichtigen technischen Meinungsverschiedenheiten. Äthiopien, Ägypten und der Sudan haben sich nun effektiv auf die Wassermenge und die Zeit geeinigt, die für die Befüllung benötigt wird. Nach einer anfänglichen Füllung von zwei Jahren würde das Reservoir des Staudamms 18 Milliarden Kubikmeter erreichen. Danach würde Äthiopien jedes Jahr etwa 10 Milliarden Kubikmeter zurückbehalten, um bei normalen bis nassen Bedingungen Strom aus dem Staudamm zu beziehen, wie Forscher, die mit den Gesprächen vertraut sind, gegenüber »Nature« erklärt haben.
Im Fall eines Dürrejahrs würde sich der Füllzeitraum auf sieben Jahre erstrecken. Beide Seiten müssen sich jedoch noch darauf einigen, was dann zu tun ist – einer der entscheidenden Punkte in den laufenden Verhandlungen.
Laut Kevin Wheeler vom Environmental Change Institute an der University of Oxford, Großbritannien, gibt es keine einheitliche Standarddefinition von »Dürre«. Die Länder stimmen jedoch darin überein, dass eine Dürre dann vorliegt, wenn der Nilwasserzufluss zum Staudamm unter 35 bis 40 Milliarden Kubikmeter pro Jahr fällt. In einem solchen Fall wollen Ägypten und Sudan, dass Äthiopien einen Teil des im Stausee des Staudamms gespeicherten Wassers frei gibt.
Vertreter beider Länder sagen, dass Äthiopien so weiterhin Strom erzeugen könnte. Äthiopien zieht es jedoch vor, flexibel zu entscheiden, wie viel Wasser unter Dürrebedingungen freigesetzt werden soll. Mehr Wasser entspricht mehr Leistung pro Wassereinheit. Das Land möchte zudem das Risiko verringern, dass der Stausee des Staudamms auf niedrigem Niveau betrieben wird.
Äthiopien ist nicht Teil des Nilwasserabkommens
Als wäre das nicht genug, gibt es weitere Streitpunkte. Ägypten möchte, dass jedes endgültige Abkommen den Status eines internationalen Vertrags erhält. Es möchte auch, dass eine dritte Partei, wie die AU oder die UNO, etwaige Streitigkeiten beilegt. Äthiopien zieht es vor, Meinungsverschiedenheiten zwischen den Anrainerstaaten ohne Beteiligung ausländischer Parteien beizulegen.
Ägypten und Äthiopien haben kein formelles Abkommen über die gemeinsame Nutzung von Wasser. Im Rahmen des Nilwasserabkommens zwischen Ägypten und dem Sudan von 1959 entnimmt Ägypten jährlich 55,5 Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem Nil und der Sudan 18,5 Milliarden Kubikmeter. Dieses Abkommen wurde geschlossen kurz bevor Ägypten mit dem Bau seines eigenen Megastaudamms begann, dem Assuan-Hochdamm. Äthiopien war jedoch nicht Teil dieses Abkommens und erkennt es daher nicht an.
Swain sagt, dass die Länder beschließen könnten, ein kurzfristiges, vielleicht ein Jahr dauerndes Abkommen zu unterzeichnen, wenn sie nicht in der Lage sind, sich in allen offenen Fragen zu einigen.
»Es gab mehrere Beispiele für Einjahresabkommen in dieser Art von Verträgen, wie das von Indien und Bangladesch am Ganges 1975«, sagt er. »Die beiden Länder konnten sich nicht einigen, wie sie arbeiten sollten, also begannen sie zunächst mit einem Jahr und verlängerten anschließend auf drei, fünf und dann auf 30 Jahre, was meiner Meinung nach [auch hier] der Fall sein könnte, da es beiden Seiten etwas Zeit verschafft.« Laut Swain ist eine militärische Konfrontation zwar unwahrscheinlich – doch es mangele eindeutig am guten Willen.
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