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Wasserstoffwirtschaft: Wie Wind zu Wasserstoff wird

Eine Testanlage bei Bremerhaven soll zeigen, wie man mit Windkraft Wasserstoff produziert. Die Kombination könnte nicht nur grünen Treibstoff liefern, sondern auch das Stromnetz entlasten.
Blick über das Hydrogen Lab Bremerhaven.
Blick über das Hydrogen Lab Bremerhaven mit der Acht-Megawatt-Windkraftanlage, die den grünen Strom für die Wasserstoffproduktion liefert.

Es ist ein grauer, windiger Tag in Bremerhaven. Der Ingenieur Kevin Schalk vom Fraunhofer IWES führt durch das Hydrogen Lab Bremerhaven (HLB). Das weitläufige Testgelände vereint die wichtigsten Bausteine für ein klimaneutrales Energiesystem auf Basis von Wasserstoff: Elektrolyseure, die Wasser mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff spalten, Kompressoren, Wasserstofftanks für verschiedene Druckstufen, Brennstoffzellen, ein wasserstofffähiges Blockheizkraftwerk. »Das ›Hydrogen Lab‹ ist modular und maximal flexibel aufgebaut«, erklärt Kevin Schalk. Es verfügt über Niederdruck- und Hochdruckspeicher für Wasserstoff (bis 40 Bar oder bis 425 Bar) sowie drei Kompressoren. Alle Komponenten des Testfelds sind untereinander über Trassen verbunden, in denen die notwendigen Strom- und Datenkabel verlaufen sowie die Wasserstoffleitungen. Die Leitungen für Wasser und Abwasser liegen unter der Erde. Über den Anlagen thront die Leitwarte, in der alle Informationen zusammenfließen und von der aus die Komponenten überwacht und gesteuert werden.

Das Team um Kevin Schalk wird sich unter anderem mit der Frage beschäftigen, wie verschiedene Typen von Elektrolyseuren mit einer Windenergieanlage im realen Maßstab wechselwirken. Da ist zum einen der 1-Megawatt-PEM-Elektrolyseur, der destilliertes Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet. PEM steht für Protonen-Austausch-Membran (englisch: proton exchange membrane), das heißt, die Membran ist durchlässig für Protonen, also die H+-Ionen. Diese Wasserstoffionen diffundieren durch die Membran auf die Seite der Kathode, wo sie sich mit den Elektronen zu molekularem Wasserstoff verbinden. Die so genannte alkalische Elektrolyse findet im Gegensatz zur PEM-Wasserspaltung nicht im sauren, sondern im basischen Milieu statt. Als Elektrolyt dient Kaliumhydroxid-Lösung in einer Konzentration von 20 bis 40 Prozent. Ein alkalischer Elektrolyseur (AEL) besitzt eine Anionenaustauschmembran, lässt also die OH--Ionen durch. Er ist günstiger in der Anschaffung und läuft über längere Zeiträume stabil. Die Frage nach dem jeweiligen Wirkungsgrad lässt sich nach Angaben von Schalk kaum pauschal beantworten – zumindest für Gesamtanlagen.

Schwankender Windstrom belastet die Anlagen

Es ist eine Herausforderung, so einen Elektrolyseur statt mit Netzstrom mit schwankendem Strom aus erneuerbaren Energien zu betreiben. Diese so genannte dynamische Fahrweise belastet die Materialien stärker, und das entstehende Gas kann verunreinigt sein, so dass sich das System abschaltet. Das HLB soll unterschiedliche Fahrweisen und Betriebszustände miteinander vergleichen. »Wir können die Fahrweise eines Elektrolyseurs zum Beispiel auf die Sieben-Tages-Prognose der Windenergieanlage einstellen und diese Fahrweise dann testen«, erklärt der Ingenieur. »Es gibt bislang allgemein nur wenige Daten und Erkenntnisse darüber, wie sich Megawatt-Elektrolyseure mit fluktuierendem Windstrom verhalten. Die vorliegenden Daten sind meist Simulationen und Studien, die auf Messdaten in kleineren Systemen basieren und dann hochgerechnet wurden.«

Der Grund dafür ist unter anderem, dass eine Anlage wie das HLB-Testfeld auf dem ehemaligen Flughafen Luneort außerordentlich komplex ist. Die Elektrolyseure benötigen nicht nur einen Anschluss für Wasser, sondern eine ganze Aufbereitungsanlage. Es müsse ultrarein sein, bevor es in den Elektrolyseur-Stack – den Stapel aus kleinen Einheiten aus Elektroden und Membran, aus denen die Anlage zusammengesetzt ist – geleitet werden kann, erklärt Kevin Schalk. Auch der entstehende Wasserstoff muss aufbereitet und in einer eigenen Anlage das restliche Wasser entfernt werden. Außerdem muss man den bei der Wasserspaltung frei werdenden, sehr reaktiven Sauerstoff auffangen und sicher lagern. Im Idealfall ließe sich der Sauerstoff weiter nutzen, etwa in einem Industrie- oder Gewerbebetrieb oder in einer Kläranlage.

»Und dann kommt die Stromseite«, fährt Kevin Schalk fort. »Da haben wir den Anschluss an das öffentliche Stromnetz, gegebenenfalls müssen wir noch transformieren, um die passende Spannung zu erreichen. Danach folgt der Umrichter, um von Wechsel- auf Gleichspannung zu kommen. Dann geht der Strom in die Stacks der Wasserspaltungsanlage«, erklärt der Ingenieur. Gegenüber Veränderungen in der Stromversorgung seien die Geräte empfindlich. »Wann immer das Netz vorne ›zuckt‹, also sich die Frequenz oder Spannung über ein gewisses Maß hinaus ändert, muss der nachgeschaltete Elektrolyseur damit klarkommen. Und wenn die Leistungselektronik nicht richtig eingestellt ist, schaltet sich das System ab.« Zudem sei auch die thermische Seite des Systems zu beachten. »Anfangs muss der Elektrolyseur geheizt werden«, erklärt Kevin Schalk. »Später, wenn er konstant läuft, muss er in der Regel gekühlt werden, um den jeweils optimalen Arbeitspunkt zu halten. Das geht zwangsläufig mit energetischen Verlusten einher.« Bei der alkalischen Elektrolyse muss im Gegensatz zum PEM-Elektrolyseur noch die Kalilauge entfernt und recycelt werden.

Elektrolyse soll Erneuerbare effizienter machen

Neben dem HLB-Testfeld auf dem alten Flughafen steht ein blau gestrichener Hangar, in dem früher auch Polarflieger des nahe gelegenen Alfred-Wegener-Instituts untergebracht waren. Rund um das Gelände erstrecken sich Wiesen bis zum Horizont, mit Windrädern bestückt. Die mit acht Megawatt imposanteste Anlage dieser Art steht direkt neben dem Freiluftlabor; ein grauer Gigant, dessen Rotoren sich gemächlich im Wind drehen. »Als die AD8-180 im Jahr 2016 in Betrieb ging, war sie die größte Windenergieanlage der Welt«, erläutert Kevin Schalk, der das Hydrogen Lab Bremerhaven (HLB) leitet. Die lang gezogenen Rotorblätter lassen erkennen, dass der Prototyp eigentlich für den Einsatz auf dem Meer gedacht war.

So einen Offshore-Riesen mit 180 Meter Rotordurchmesser aus der Nähe zu sehen, ist beeindruckend. Erst recht, wenn man bedenkt, dass schon eine einzige Umdrehung genug Strom erzeugt, um einen Haushalt rechnerisch zwei Tage lang zu versorgen. Doch schon hört man ein lautes Tock-Tock-Tock: Die Rotoren bremsen ab und kommen zum Stillstand. Die Anlage wurde ausgeschaltet; vermutlich, weil das Netz den Strom nicht aufnehmen konnte. So eine Abregelung von Windrädern kommt in Norddeutschland auf Grund von Netzengpässen relativ häufig vor. Um das in Zukunft zu vermeiden oder zumindest zu minimieren, sollen Elektrolyseure überschüssigen Windstrom aufnehmen und damit Wasserstoff erzeugen. Gewinnt man so das Gas durch Einsatz von Ökostrom, gilt es als klimaneutral oder »grün«; im Gegensatz zum heute üblicherweise für die Industrie produzierten »grauen« Wasserstoff, der auf fossilen Brennstoffen beruht.

Bis 2030 sollen solche Elektrolyse-Kapazitäten in Deutschland auf zehn Gigawatt ausgebaut werden, hat die Bundesregierung in der 2023 beschlossenen »Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie« festgelegt. Die Strategie setzt auf einen möglichst »systemdienlichen« Einsatz von Elektrolyseuren, etwa indem man sie in der Nähe von Wind- und Solarparks errichtet. Denn je nach Standort produzieren Elektrolyseure nicht nur Wasserstoff, sondern entlasten auch das Stromnetz. Weniger Netzengpässe wiederum verringern den Bedarf und die Kosten für den Netzausbau.

»Die Abnehmer brauchen garantiert grünen Wasserstoff, zum Beispiel für die Busse im öffentlichen Personennahverkehr«Kevin Schalk, Leiter des Hydrogen Lab Bremerhaven

Wie das im Detail aussehen und funktionieren kann, soll auch hier am Testfeld des Hydrogen Lab Bremerhaven erforscht werden, das seit November 2023 im Probebetrieb ist. Der überschüssige Windstrom ist im HLB jedoch nur ein Aspekt; hier geht es vor allem darum, die Wasserstoff-Technologien in das zukünftige Energiesystem zu integrieren. Dazu dienen die Pilotanlagen, die sich zugleich am Aufbau einer funktionierenden Wertschöpfungskette für die Industrie orientieren.

Meerwasserentsalzung mit Abwärme

Ein paar hundert Meter vom Wasserstoff-Testlabor entfernt befindet sich das Dynamic Nacelle Testing Laboratory (DyNaLab) des Fraunhofer IWES: ein großer Prüfstand für Rotorgondeln von Windkraftanlagen, der außerdem über ein virtuelles Stromnetz verfügt. An das wird derzeit auch das Hydrogen Lab angebunden, um zu testen, wie sich die Anlagen ins Stromnetz integrieren lassen – gerade unter schwierigen Bedingungen. »Dynamische Änderungen der Netzfrequenz oder Spannungseinbrüche können auf diese Weise gezielt nachgebildet werden, um etwa die Auswirkungen auf einen Elektrolyseur zu untersuchen«, sagt Kevin Schalk. Dadurch könnten die Forscher auch testen, wie sich mit Hilfe dieser Anlagen das Stromnetz stabilisieren lässt.

Auch für die reichlich anfallende Abwärme der Elektrolyseure hat das Forschungslabor eine Verwendung. Sie fließt in eine Entsalzungsanlange, die neben einem 100 Kubikmeter fassenden Meerwasserbecken steht: Das Leitprojekt H2Mare ist ein weiteres Schwerpunktthema hier am Standort. Größere Mengen von grünem Wasserstoff, so die Idee hinter dem Projekt, lassen sich im dicht besiedelten Deutschland wohl am ehesten auf dem Meer erzeugen. Damit muss das elektrochemische Verfahren zur Spaltung von Wasser hochseetauglich werden: Elektrolyseure und Entsalzung sollen direkt mit Offshore-Windanlagen verbunden werden.

Ingenieur Schalk weist darauf hin, dass er und seine Kollegen bei all ihren Untersuchungen die deutschen oder europäischen Regularien beachten, wie zum Beispiel die EU-Nachhaltigkeitszertifizierung RED II (Renewable Energy Directive). Die legt fest, unter welchen Bedingungen Wasserstoff als »grün« zertifiziert werden kann – und genau den wollen sie ja hier erzeugen. »Die Abnehmer brauchen garantiert grünen Wasserstoff, zum Beispiel für die Busse im öffentlichen Personennahverkehr.« Eine H2-Tankstelle für Nutzfahrzeuge ist am Busbahnhof in Bremerhaven im Bau.

Neben dem ÖPNV gibt es hier weitere potenzielle Abnehmer in der Region: etwa einen Logistikunternehmer, der sein Schiff in Cuxhaven mit gasförmigem Wasserstoff betreiben möchte. Oder das öffentliche Mobilitätsunternehmen Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB) als Betreiber der Wasserstoff-Regionalbahn in Niedersachsen. Noch in diesem Frühjahr geht das HLB vom Probe- in den Normalbetrieb und wird zunächst gut 100 Tonnen Wasserstoff pro Jahr produzieren. In der zweiten Phase rechnet Kevin Schalk mit mehr als 200 Tonnen. »Wir werden die erste große Produktionsstätte von grünem H2 in Norddeutschland sein.«

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