Wassertemperaturen: Schwere Hitzewelle in der Nordsee
Teile der Nordsee sind derzeit wärmer, als je zuvor gemessen wurde. Mit stellenweise fast 20 Grad ist das Wasser vor der britischen Ostküste bis zu fünf Grad wärmer als normal für diese Jahreszeit. Die Nationale Meeres- und Atmosphärenbehörde der USA (NOAA), auf deren Referenzzeitraum von 1985 bis 1993 sich der Wert für die Anomalie bezieht, kategorisiert die Temperaturen in Teilen der Nordsee derzeit als eine »extreme« marine Hitzewelle. Derart hohe Temperaturen haben oft verheerende Auswirkungen auf das Leben im Meer und können auch Unwetter verschärfen. Die Hitzewelle in der Nordsee fügt sich in ein globales Muster ungewöhnlich hoher Meerestemperaturen, deren Ursache zum Teil noch unklar ist. Im Zuge des Klimawandels nehmen marine Hitzewellen weltweit zu.
»Vor der britischen Ostküste sehen wir über eine Fläche, die ungefähr der von Schleswig-Holstein entspricht, die wärmsten Oberflächentemperaturen, die wir dort um diese Jahreszeit in unseren Daten jemals beobachtet haben«, erklärt Tim Kruschke, Sachgebietsleiter für Marine Klimafragen am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg. Das Amt überwacht seit 1968 die Wassertemperaturen in der Nordsee. Auch in anderen Bereichen des Meeres seien die Temperaturen derzeit sehr hoch. »Der Übergang zwischen Nord- und Ostsee, Skagerrak und Kattegat, ist derzeit sehr warm«, sagt Kruschke. »Dort liegen weite Bereiche 1 bis 1,5 Grad über dem Langzeitmittel der letzten 25 Jahre.« In der Deutschen Bucht dagegen seien die Wassertemperaturen etwas höher als im Langzeitmittel, diese seien im Kontext der letzten Jahre aber noch nicht außergewöhnlich.
Einer der Gründe für die Wärme sei vermutlich einfach, dass der Nordatlantik extrem warm ist, sagt der Forscher. »Die Nordsee ist ja die direkte Fortsetzung des Nordatlantiks, und von da werden die hohen Wassertemperaturen natürlich auch eingetragen.« Ein weiterer Faktor sei das Wetter. »Wir hatten hier in Norddeutschland jetzt über Wochen Hochdruckeinfluss und Sonnenschein, und dadurch heizt sich das Wasser natürlich auf.« In Großbritannien ist das Wetter derzeit ungewöhnlich warm. Die Insel erlebt den heißesten Junianfang seit 1976 mit Temperaturen von bis zu zehn Grad über dem langjährigen Mittel. Insgesamt sind die global hohen Wassertemperaturen wohl auf eine Kombination aus Klimawandel sowie lokalen und regionalen Faktoren zurückzuführen. Wegen des Klimaphänomens El Niño gehen Fachleute davon aus, dass die Temperaturen für den Rest des Jahres erhöht bleiben.
Die Folgen der hohen Temperaturen in der Nordsee dürften für die ohnehin angeschlagenen marinen Ökosysteme schwer wiegend und langfristig sein. Organismen im Wasser sind meist geringere Temperaturschwankungen gewohnt und reagieren deswegen empfindlicher. Außerdem dauern solche Ereignisse im Meer meist länger als an Land, weil sich Wasser langsamer abkühlt als die Luft. Marine Hitzewellen können Fische und andere Meeresorganismen töten und – zusammen mit Abwässern, die derzeit in Großbritannien oft ungeklärt ins Meer gelangen – zu Algenblüten führen. Das gefährdet unter anderem Fischbestände und damit ebenso Beutegreifer wie Vögel und Robben, die sich von ihnen ernähren. Auch für die menschliche Gesundheit kann das ungewöhnlich warme Wasser negative Konsequenzen haben: Höhere Temperaturen begünstigen Vibrio-Bakterien, die schwere Infektionen bei Badenden verursachen können.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.