Zukunft der Menschheit: Weckruf für die Politik
Wenn Kondome knapp werden, nimmt die Zahl der Menschen schneller zu - und der Mangel treibt die HIV-Rate nach oben. Die Entwicklungspolitik ist deshalb gefordert, mehr zu tun, meint Ute Stallmeister von der Stiftung Weltbevölkerung im Interview mit spektrumdirekt. Der 9. und letzte Teil der Serie zur "Zukunft der Menschheit".
spektrumdirekt: Vor Kurzem veröffentlichten die Vereinten Nationen ihre neue Prognose zum Bevölkerungswachstum: Bis zum Jahr 2100 werden demnach zehn Milliarden Menschen auf der Welt erwartet. Die öffentliche Resonanz darauf war recht gering. Woran liegt es, dass dieses Problem, verglichen etwa mit dem Klimawandel, aus den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung weit gehend verschwunden ist?
Schlägt sich diese mangelnde Berichterstattung in der Politik nieder? Zumindest liest man relativ wenig darüber, dass der Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel Familienplanung in Afrika unterstützt.
Zum Glück reagiert die Politik nur teilweise auf die Medien – zumindest in diesem Fall. Zum Thema Familienplanung hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ, Anm. d. Red.) eine so genannte Familienplanungsinitiative ins Leben gerufen: Das bedeutet, dass während der nächsten fünf Jahre 80 Millionen Euro jährlich dafür zur Verfügung gestellt werden – eine Verdopplung der Mittel. Natürlich achten wir nun darauf, wie dieses Geld investiert wird.
Wie sehen solche Familienplanungsmaßnahmen aus: Klärt man nur auf oder werden ganz konkret Pille und Kondome verteilt?
Kommt es in der Praxis zu Schwierigkeiten oder Verteilungsproblemen?
Auf alle Fälle: In Uganda herrschte in den vergangenen Jahren einen Mangel an Kondomen und anderen Verhütungsmitteln. Das führt natürlich zu einem Anstieg des Bevölkerungswachstums – und zur Zunahme von HIV-Infektionen. Das sind Dinge, die vor Ort zur Verfügung stehen müssen, damit letztendlich das Bevölkerungswachstum zurückgeht.
Stoßen derartige Initiativen bei manchen Nationen von religiöser oder politischer Seite auf Widerstand – oder nehmen die Staaten derartige Unterstützung erfreut entgegen?
Ich kann jetzt keine allgemein gültige Aussage abgeben. Unsere Stiftung konzentriert sich auf vier Staaten und arbeitet vor Ort eng mit Parlamentariern und Regierungsvertretern zusammen. Es gibt natürlich manchmal Vorbehalte von Politikern gegenüber der Familienplanung: Wenn sie selbst fünf, sechs oder sieben Kinder haben, bieten sie ihren Staatsangehörigen nicht unbedingt das beste Vorbild. Aber dieser Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ist die Ausnahme.
Und gibt es Opposition etwa durch den Vatikan oder muslimische Geistliche?
Ich war kürzlich in Kenia und traf auf einen Vertreter vom Council of Imams, also einen muslimischen Geistlichen. Er sagte ganz klar, dass er nicht offiziell predigen könne "Leute, macht Familienplanung" oder "Kauft euch Kondome". Aber inoffiziell rät er den Familien, dass sie sich an diese oder jene Stelle wenden könnten, wenn sie Hilfe bei der Familienplanung bräuchten.
Vor Ort handhaben die Geistlichen das meist ganz pragmatisch – gerade was das Thema Kondome anbelangt. In Uganda etwa ist die Aids-Rate enorm hoch, und Kondome schützen nicht nur vor ungewollten Schwangerschaften, sondern zugleich vor HIV. Diesen Zusammenhang sehen die Vertreter der Lutherischen Kirche ebenfalls und arbeiten deshalb mit uns zusammen. So sind die kirchlichen Vertreter vor Ort oft weitaus offener, als die Zentrale aus Rom oder Mekka das vielleicht befürworten würden.
Sprechen wir erst einmal über 2050, für diesen Zeitpunkt wurde die Prognose ebenfalls revidiert. Vor zwei Jahren hieß es noch, dann würden 9,1 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Nun geht die UNO von 9,3 Milliarden aus – sprich 200 Millionen Erdbürger mehr. Diese Anpassung erfolgte vor allem auf Grund revidierter Fertilitätsraten. Der Großteil des Zuwachses beruht auf schwächer sinkenden Geburtenraten in den Entwicklungsländern, als man es erwartet hatte. In Kenia ging die Fertilität in den 1980er und 1990er Jahren stark zurück. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends stagnierte diese Entwicklung plötzlich: Sie sanken nicht weiter, obwohl man das wegen der vorangegangenen Entwicklung hätte annehmen müssen. Und das ist nur ein Beispiel.
Warum fällt Rückgang plötzlich schwächer aus als erwartet?
Kondommangel hatte ich bereits erwähnt. Das führt natürlich gerade in einem Land wie Uganda, wo die Bevölkerung weltweit mit am stärksten wächst, gleich zu einem weiteren Anstieg. Und dieses Phänomen tritt in zahlreichen Staaten auf: Wir haben einfach noch lange keinen allgemeinen freien Zugang zu Verhütungsmitteln. Etwa ein Drittel des Bedarfs kann nicht gedeckt werden. Und ungedeckter Bedarf führt natürlich schnell zu Bevölkerungswachstum.
Sollte ein derartiger Mangel nicht ein Weckruf für die Politik sein, dass sie mehr investiert als "nur" die 80 Millionen Euro pro Jahr wie beispielsweise das BMZ?
Sie sprechen mir aus dem Herzen. Und ich würde mich freuen, wenn dies als großer Appell am Ende des Artikels steht. Als Folge der neuen Projektion berichteten doch einige Medien über das Bevölkerungswachstum. Vielleicht ermuntert dies die Politiker dazu, mehr zu tun. Aber ich möchte betonen, dass die 80 Millionen Euro für Familienplanung immerhin ein großer Schritt nach vorn sind.
Im Herbst erwarten wir den siebenmilliardsten Erdenbürger: Wann folgt die achte Milliarde?
Das sollte wohl 2025 der Fall sein. Und dann dauert es noch einmal 18 Jahre bis zu den neun Milliarden. 2083 wird schließlich die Zehn-Milliarden-Grenze erreicht – laut Prognose. Aber das ist natürlich sehr viel Spekulation.
Frau Stallmeister, wir danken Ihnen für das Gesrpäch.
Ute Stallmeister: Das lässt sich eigentlich recht einfach erklären: Nähe ist hier ein ganz wichtiger Aspekt, denn für die deutsche Öffentlichkeit besitzt dieses Thema keinen richtigen Nachrichtenwert. Was uns berührt, ist Bevölkerungsrückgang. Dagegen spielt sich das Wachstum der Menschheit in Entwicklungsländern ab, die vermeintlich weit weg sind – außer es kommt deswegen zu Migrantenströmen. Wir als Stiftung klammern zudem bewusst negative Aspekte wie Massenzuwanderung aus, um keine Bedrohungsszenarien aufzubauen. Das wollen wir absolut vermeiden. Das Thema Klima und Umwelt betrifft dagegen ebenso Deutschland. Deshalb ist es relevant und wird von den Medien aufgegriffen. Zum anderen stellt das Wachstum der Weltbevölkerung eine sehr schleichende Entwicklung dar, die Jahre und Jahrzehnte dauert. So etwas in den Medien wiederzugeben, ist zuweilen kompliziert.
Schlägt sich diese mangelnde Berichterstattung in der Politik nieder? Zumindest liest man relativ wenig darüber, dass der Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel Familienplanung in Afrika unterstützt.
Zum Glück reagiert die Politik nur teilweise auf die Medien – zumindest in diesem Fall. Zum Thema Familienplanung hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ, Anm. d. Red.) eine so genannte Familienplanungsinitiative ins Leben gerufen: Das bedeutet, dass während der nächsten fünf Jahre 80 Millionen Euro jährlich dafür zur Verfügung gestellt werden – eine Verdopplung der Mittel. Natürlich achten wir nun darauf, wie dieses Geld investiert wird.
Wie sehen solche Familienplanungsmaßnahmen aus: Klärt man nur auf oder werden ganz konkret Pille und Kondome verteilt?
Es gibt hierfür keine einfachen Antworten, denn die Maßnahmen sind vielfältig. Es ist wichtig, dass die Familienplanung voranschreitet und die Bildung sich verbessert. Denn wer besser gebildet ist, bekommt später und weniger Kinder. Und diese Menschen sind gesünder und haben gesündere Kinder, was die Geburtenrate dann ebenfalls senkt. Das Millenniumsziel 5B besagt zudem, dass jeder bis zum Jahr 2015 allgemeinen Zugang zu reproduktiver Gesundheitsfürsorge bekommt. Das bedeutet unter anderem, dass man Aufklärungsprogramme durchführt. Wir praktizieren dies zum Beispiel in Jugendklubs in Afrika, in denen einheimische Jugendliche ihre Altersgenossen in Diskussionen, spielerisch oder durch Tanztheater aufklären und informieren. Zweitens geht es um Zugang zu Verhütung – gleich ob es sich um Implantate, Kondome oder die Pille handelt. Die Pille zum Beispiel ist in vielen Entwicklungsländern überhaupt nicht so weit verbreitet. Dort setzt man eher auf Implantate oder Dreimonatsspritzen, die bei uns kaum eine Rolle spielen.
Kommt es in der Praxis zu Schwierigkeiten oder Verteilungsproblemen?
Auf alle Fälle: In Uganda herrschte in den vergangenen Jahren einen Mangel an Kondomen und anderen Verhütungsmitteln. Das führt natürlich zu einem Anstieg des Bevölkerungswachstums – und zur Zunahme von HIV-Infektionen. Das sind Dinge, die vor Ort zur Verfügung stehen müssen, damit letztendlich das Bevölkerungswachstum zurückgeht.
Stoßen derartige Initiativen bei manchen Nationen von religiöser oder politischer Seite auf Widerstand – oder nehmen die Staaten derartige Unterstützung erfreut entgegen?
Ich kann jetzt keine allgemein gültige Aussage abgeben. Unsere Stiftung konzentriert sich auf vier Staaten und arbeitet vor Ort eng mit Parlamentariern und Regierungsvertretern zusammen. Es gibt natürlich manchmal Vorbehalte von Politikern gegenüber der Familienplanung: Wenn sie selbst fünf, sechs oder sieben Kinder haben, bieten sie ihren Staatsangehörigen nicht unbedingt das beste Vorbild. Aber dieser Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ist die Ausnahme.
Und gibt es Opposition etwa durch den Vatikan oder muslimische Geistliche?
Ich war kürzlich in Kenia und traf auf einen Vertreter vom Council of Imams, also einen muslimischen Geistlichen. Er sagte ganz klar, dass er nicht offiziell predigen könne "Leute, macht Familienplanung" oder "Kauft euch Kondome". Aber inoffiziell rät er den Familien, dass sie sich an diese oder jene Stelle wenden könnten, wenn sie Hilfe bei der Familienplanung bräuchten.
Vor Ort handhaben die Geistlichen das meist ganz pragmatisch – gerade was das Thema Kondome anbelangt. In Uganda etwa ist die Aids-Rate enorm hoch, und Kondome schützen nicht nur vor ungewollten Schwangerschaften, sondern zugleich vor HIV. Diesen Zusammenhang sehen die Vertreter der Lutherischen Kirche ebenfalls und arbeiten deshalb mit uns zusammen. So sind die kirchlichen Vertreter vor Ort oft weitaus offener, als die Zentrale aus Rom oder Mekka das vielleicht befürworten würden.
Vor Kurzem erschien in "Nature" ein sehr kritischer Kommentar, in dem Fred Pearce diesen neuen Höchstwert von 10 Milliarden Menschen im Jahr 2100 massiv kritisiert: Die Vereinten Nationen hätten willkürlich ihre Annahmen zum Bevölkerungswachstum verändert. Warum korrigierte die UNO diese Zahlen derart nach oben?
Sprechen wir erst einmal über 2050, für diesen Zeitpunkt wurde die Prognose ebenfalls revidiert. Vor zwei Jahren hieß es noch, dann würden 9,1 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Nun geht die UNO von 9,3 Milliarden aus – sprich 200 Millionen Erdbürger mehr. Diese Anpassung erfolgte vor allem auf Grund revidierter Fertilitätsraten. Der Großteil des Zuwachses beruht auf schwächer sinkenden Geburtenraten in den Entwicklungsländern, als man es erwartet hatte. In Kenia ging die Fertilität in den 1980er und 1990er Jahren stark zurück. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends stagnierte diese Entwicklung plötzlich: Sie sanken nicht weiter, obwohl man das wegen der vorangegangenen Entwicklung hätte annehmen müssen. Und das ist nur ein Beispiel.
Warum fällt Rückgang plötzlich schwächer aus als erwartet?
Kondommangel hatte ich bereits erwähnt. Das führt natürlich gerade in einem Land wie Uganda, wo die Bevölkerung weltweit mit am stärksten wächst, gleich zu einem weiteren Anstieg. Und dieses Phänomen tritt in zahlreichen Staaten auf: Wir haben einfach noch lange keinen allgemeinen freien Zugang zu Verhütungsmitteln. Etwa ein Drittel des Bedarfs kann nicht gedeckt werden. Und ungedeckter Bedarf führt natürlich schnell zu Bevölkerungswachstum.
Sollte ein derartiger Mangel nicht ein Weckruf für die Politik sein, dass sie mehr investiert als "nur" die 80 Millionen Euro pro Jahr wie beispielsweise das BMZ?
Sie sprechen mir aus dem Herzen. Und ich würde mich freuen, wenn dies als großer Appell am Ende des Artikels steht. Als Folge der neuen Projektion berichteten doch einige Medien über das Bevölkerungswachstum. Vielleicht ermuntert dies die Politiker dazu, mehr zu tun. Aber ich möchte betonen, dass die 80 Millionen Euro für Familienplanung immerhin ein großer Schritt nach vorn sind.
Im Herbst erwarten wir den siebenmilliardsten Erdenbürger: Wann folgt die achte Milliarde?
Das sollte wohl 2025 der Fall sein. Und dann dauert es noch einmal 18 Jahre bis zu den neun Milliarden. 2083 wird schließlich die Zehn-Milliarden-Grenze erreicht – laut Prognose. Aber das ist natürlich sehr viel Spekulation.
Frau Stallmeister, wir danken Ihnen für das Gesrpäch.
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