Evolutionäre Neuerung: Weibliche Höhleninsekten pumpen Männchen leer
Eine ungewöhnliche Umkehr der Geschlechterrollen hat sich bei Staubläusen der Gattung Neotrogla abgespielt – vermutlich ausgelöst durch ein einzigartiges biologisches Ventil. Bei dem bizarren Koitus stößt das Weibchen der in Höhlen lebenden Insekten ein aufblasbares penisartiges Organ mit Widerhaken ins Männchen – so dass der Partner gefangen ist. Anschließend pumpt die rabiate Dame, wie eine internationale Arbeitsgruppe um Alexander Blanke von der Universität Köln in »eLife« berichtet, die nächsten zwei bis drei Tage lang Sperma aus ihrem aufgespießten Partner ab. Unklar ist, ob die Erfahrung für die Männchen besonders erfreulich ist.
Das neu entdeckte Ventil spielt eine entscheidende Rolle: In bis zu elf getrennten Spermakammern kann das Weibchen den Samen mehrerer Partner in recht großen Mengen speichern und später nach Belieben verwenden. Das so abgemolkene Sperma nutzen die Weibchen aber nicht nur für die Befruchtung, berichtet Blanke. Einige Weibchen hätten den Inhalt manch frisch gefüllter Spermienkammer sofort wieder verdaut. »Nahrung ist in der Höhle ein rares Gut und die Weibchen haben hier offensichtlich eine Strategie entwickelt, die Kopulationsprodukte der Männchen als Nahrungsquelle zu nutzen«, so der Zoologe.
Das eigenwillige Paarungsverhalten der Neotrogla ist bereits länger bekannt – das von Blankes Gruppe im Detail untersuchte Ventil liefert allerdings nun Indizien, wie das Arrangement entstand. Denn durch diese Besonderheit macht der Geschlechterwechsel samt Aufblaspenis und Langzeitsex Sinn: Umgerechnet auf einen Menschen hätten die einzeln ansteuerbaren Kammern ein Gesamtvolumen von etwa drei Litern, das ja auch irgendwie genutzt werden muss.
Mit Hilfe von Synchrotron-Tomografie, einer extrem hoch aufgelösten Form der Computertomografie, sowie konfokaler Laserscanningmikroskopie entdeckte die Arbeitsgruppe im Fortpflanzungstrakt der Weibchen ein raffiniertes Ventil, das eingesammeltes Sperma gezielt in die einzelnen Taschen leitet. Der Aufbau dieses Ventils sei in der Natur bisher einzigartig, berichten die Fachleute. »Das Ventil besteht aus mehreren Platten, die sich durch einen gummiartigen Stoff, das so genannte Resilin, verbiegen können«, erläutert Blanke. Ein fächerförmiger Muskel öffne und schließe Kammern gezielt, je nachdem welcher Muskelteil angespannt werde. Womöglich könne dieses Ventil neben den neuen Erkenntnissen über die Staublausevolution als Vorbild für sehr kleine Ventile in der Technik dienen.
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