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Ölförderung: Weiter ins Extreme

Die Ölindustrie möchte immer schwieriger zu erschließende Lagerstätten anzapfen. Doch auch über drei Jahre nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat sich technisch nicht viel an der Sicherheit geändert.
Brennende Deepwater Horizon

Das Ölfeld Stones liegt unter knapp 2900 Meter tiefem Meeresgrund. Es soll die Erdölbohrung in der bislang größten Wassertiefe werden – und wird derzeit erkundet. Spätestens 2016 will Royal Dutch Shell hier Erdöl fördern. Stones liegt vor New Orleans und ist 320 Kilometer von der Küste entfernt. Gut 400 Kilometer sind es von hier zum Macondo-Ölfeld, an dem am 20. April 2010 die Bohrinsel Deepwater Horizon explodierte, einen Tag später sank und die bisher größte Ölpest der US-Geschichte einleitete. Dennoch ist Stones nur eine von vielen neuen Bohrungen am Golf. Es geht immer weiter hinaus auf hohe See, hunderte Kilometer vor die Küste. Gleichzeitig rücken die Plattformen auch in die Arktis vor, wo das Wetter noch rauer ist – und bei einer Havarie Helfer und schwere Technik gleichermaßen enorme Wege zurücklegen müssten.

Das Macondo-Unglück gilt heute als weit gehend aufgearbeitet. Nicht nur diverse Fehlentscheidungen sind wohl dafür verantwortlich: "Es zeigten sich so systematische Probleme im Umgang mit dem Risiko, dass die Sicherheitskultur der gesamten [Erdöl-]Industrie in Frage gestellt werden kann", heißt es im staatlichen Untersuchungsbericht. Selbst die BP-eigene Untersuchungskommission gibt freimütig zu: Das Unglück entstand durch eine Verkettung von unsachgemäß eingesetzter Technik und Fehlentscheidungen des Personals auf mehreren Ebenen. Erst dadurch sei es möglich gewesen, dass ein branchenübliches Sicherheitssystem aus acht Barrieren versagte.

Brennende Deepwater Horizon | Vor drei Jahren sorgte die Havarie der Deepwater Horizon für die bislang schwerste Ölverschmutzung des Golfs von Mexiko, als monatelang unkontrolliert Erdöl aus dem Bohrloch ins Meer schoss. Die Katastrophe sorgte nur für ein kurzes Innehalten der Industrie.

Zunächst erscheint Deepwater Horizon als ein tragischer Einzelfall. Doch je weiter sich Bohrvorhaben vom Festland entfernen, umso anspruchsvoller und gleichsam riskanter wird ihr Betrieb. Denn hier lohnt es sich eher, auf wenige große Plattformen zu setzen, von denen ringsum Dutzende kilometerlange Bohrungen die Lagerstätten unter dem Meeresgrund erschließen. Dadurch müssen Pipelines oder Schiffe immense Öl- und Gasmengen sicher über weite Strecken zur Küste transportieren. Mit den Küstenlinien entfernen sich aber auch jene Orte, wohin sich Crews schnell in Sicherheit bringen und von wo im Fall einer Havarie Helfer mit Ausrüstung anrücken könnten. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten bewegen sich die Bohrinseln unaufhaltsam in immer tiefere Gewässer.

Superlative vor Brasilien

Wie schwierig die ultratiefen Bohrungen werden, lernte die Regierung Brasiliens im Oktober. Über 200 Kilometer vor der Küste Rio de Janeiros liegt mit geschätzten zwölf Milliarden Barrel eines der größten Ölvorkommen der Welt, das im Oktober zur Produktion ausgeschrieben war und versteigert werden sollte. Die ölhaltige Pre-Salt-Formation gilt als technisch anspruchsvoll, liegt sie doch unter 7000 Meter Gestein und dicken Salzlagen, über denen wiederum mehr als zwei Kilometer Atlantikwasser schwappen – Deepwater Horizon musste eine kleinere Distanz überwinden.

"Die EU nähert sich damit norwegischen Standards, die als die striktesten der Welt gelten"
Jan Erik Vinnem

Ursprünglich 40 Ölfirmen sollten sich für das scheinbar lukrative Vorkommen gegenseitig überbieten: Am Ende gab es lediglich ein bescheidenes Angebot von Unternehmen aus Europa und China, welche nur gemeinsam mit Brasiliens Ölgesellschaft Petrobras den Zuschlag bekamen. Das verhaltene Interesse bei solchen immensen Vorkommen ist in den technischen Herausforderungen begründet: Weil die Lagerstätten tief und weit von der Küste entfernt liegen, lohnt sich der Bau einer Bohrplattform oder eines Pipelinenetzes nicht mehr. Petrobras setzt daher überwiegend auf umgebaute Riesentanker, auf denen das Öl bereits verarbeitet und gelagert werden kann. Auch Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas gibt es auf manchen solcher Spezialschiffe. Von ihnen sollen gewöhnliche Tanker die Rohstoffe abholen und zur Küste transportieren.

Aus der Sicht von Petrobras ist dieser Weg gegenüber konventionellen Bohrinseln sicher: Die Gefahr großer Stürme würde sich durch nicht fest vertäute Bohrinseln reduzieren. Immerhin ließen sich die Spezialschiffe bei Gefahr verlegen, während der Großteil der Produktionsanlagen tief im Meer in sicheren Tiefen lägen. In Brasilien selbst kam es zwar zu massiven Protesten wegen der Ausschreibung an ausländische Konzerne, aber kaum wegen ökologischer Bedenken.

Europa als Vorbild

Spürbare Folgen des Deepwater-Debakels gab es dagegen zunächst in Europa. Nachdem mit BP ein europäisches Unternehmen das Unglück zu verantworten hatte, kündigten gleich mehrere Ölfirmen an, ihre Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen. "Die deutschen Firmen in der Nordsee haben ihr Sicherheitskonzept, das sowieso schon einen sehr hohen Standard hatte, nochmals hinterfragt", sagt Matthias Reich. Er ist Professor für Bohrtechnik, Spezialtiefbauausrüstungen und Bergbaumaschinen an der TU Bergakademie Freiberg. "Es gab etwa intensive Tests der Blowout-Preventer" – ein Sicherheitssystem an der Bohrung, das bei der Deepwater Horizon versagt hatte und verhindern soll, dass der Rohstoff nach einer Havarie unkontrolliert aus dem Bohrloch schießt.

In der Nordsee schlossen sich zusätzlich die Förderunternehmen zusammen, um bei einer Katastrophe schnell reagieren zu können. Sie zogen damit eine Lehre aus der langwierigen Beseitigung des leck geschlagenen Bohrlochs im Golf von Mexiko: 2010 hatte BP zunächst wochenlang versucht, eilig entwickelte Absaugglocken über das tiefe Bohrloch zu stülpen, die jedoch auf Grund des hohen Wasserdrucks mit zu festem Gashydrat erstarrtem Erdgas verstopften. Erst fünf Monate nach dem Unglück verhinderte eine Ausgleichsbohrung, dass das Öl weiter emporsprudelte.

In der Nordsee verliefe ein vergleichbares Unglück heute wohl anders – nicht nur, weil das Wasser hier weniger tief ist. In den Anrainerstaaten stehen auch adäquates Gerät und über 3000 Einsatzkräfte zur Verfügung, um ein ähnliches Leck schneller zu schließen. Im Mai 2013 verabschiedete das Europaparlament zudem eine EU-Richtlinie, nach der Ölfirmen nachweisen müssen, im Havariefall entstehende Schäden technisch und finanziell beseitigen zu können.

"Die EU nähert sich damit norwegischen Standards, die als die striktesten der Welt gelten", sagt Jan Erik Vinnem. Er ist Professor an der Universität Trondheim in Norwegen und hat sich ausgiebig mit Sicherheitstechnik der Offshoreanlagen befasst. Anders als in den USA schreiben norwegische Behörden keine einzelnen Sicherheitstechniken vor, etwa die Existenz funktionierender Blowout-Preventer. Stattdessen fordern sie eine genaue Beschreibung der Risiken und wie diese auf ein vertretbares Maß reduziert werden. "Es macht die Ölfirmen weniger blind, wenn sie nicht einfach nur ein Handbuch abarbeiten, sondern sich über die Sicherheit wirklich Gedanken machen müssen", sagt Vinnem.

Zaghafte Schritte in die Arktis

Die Sicherheit der Anlagen wird umso wichtiger, wenn sich die Bohrinseln auch in ökologisch sensible Gebiete der Arktis vorarbeiten. Der geologische Dienst der USA vermutet unter dem Meeresgrund fast ein Sechstel der noch unentdeckten Ressourcen der Welt. Die arktische Förderung steht aber noch ganz am Anfang: Priraslomnaja heißt die erste kommerzielle Bohrplattform in arktischen Gewässern, die durch Proteste von Greenpeace-Aktivisten und deren Inhaftierung kürzlich bekannt wurde. Betreiber Gazprom gibt sich sicher, die raue nördliche Umwelt zu beherrschen. Die Plattform sitze nicht in der Tiefsee, sondern nahe an der Küste in flachem Wasser, die noch bei minus 50 Grad Celsius arbeiten könne. Gegen Eis sei sie schon mit ihrer schieren Masse geschützt, mit der sie fest auf dem Meeresgrund sitze. Dazu habe Gazprom spezielle Vorkehrungen getroffen: Wird etwa auf einen Tanker Öl verladen, wird dabei ständig dessen Abstand geprüft, um bei zu starken Wellen der Pumpvorgang zu unterbrechen. Das Risiko einer Havarie könne man so stark verringern.

"Die arktischen Risiken lassen sich nicht meistern"
Steffen Bukold

Laut Steffen Bukold ist das größte Problem der arktischen Ölförderung aber ihre Abgelegenheit. Er ist Leiter des Beratungsunternehmens EnergyComment, das regelmäßig Berichte über Entwicklungen auf dem Energiemarkt verschickt: "Alles ist in der Arktis weiter entfernt", sagt er. Das betreffe sowohl die nächsten Ölterminals, wohin die Ressourcen zunächst transportiert werden. Auch Helfer müssen sich teilweise über tausende Kilometer ins Unglücksgebiet vorarbeiten, wo das Wetter über weite Teile des Jahres ungemütlich sein kann. Noch dazu seien gerade die jetzt vorpreschenden russischen Ölfirmen recht neu im Offshore-Business. Erfahrenere Konkurrenten wie die norwegische Statoil haben in der Arktis bislang nur Erkundungsbohrungen niedergebracht. Shell musste seine Pläne nördlich von Alaska kürzlich verschieben, nachdem sich dort im Meer eine Plattform bei schlechtem Wetter losgerissen hatte und auf Grund gelaufen war.

Problematisch ist vor allem der Umgang mit arktischem Eis. Erst letztes Jahr stellte diese Shell-Plattform ihren Betrieb für 24 Stunden ein, als eine 30 Meter Eisscholle sie passierte – aus Vorsicht. Denn eigentlich können die Bohrinseln mit dem Eis umgehen: Im kaspischen Meer werden schon länger künstliche Inseln aufgeschüttet, die Eisschollen abbremsen. "Aber die sind nur im flachen Wasser möglich", sagt Steffen Bukold. "Außerdem gibt es Möglichkeiten, dem Eis auszuweichen. Die Bohrinseln lassen sich aus der Route der Eisberge wegzuschleppen, bis die Gefahr vorbei ist." Das geht allerdings nur bei den kleineren Eisschollen. Probleme entstehen, wenn sich massives Packeis ausbreitet: "Dann verhindert das Eis, dass die Bohrinseln auf dem Seeweg erreichbar sind." Bei einer Havarie wäre das fatal. "Die arktischen Risiken lassen sich nicht meistern", ist sich Steffen Bukold daher sicher.

Werden Ölfirmen aber gezwungen, dieses Risiko gefährdeter Orte realistisch einzuschätzen, es zu minimieren und sich für den Ernstfall vorzubereiten, kann die Förderung laut Jan Erik Vinnem trotzdem gelingen: "In der Arktis funktioniert die Ölförderung technisch fast genauso wie anderswo im Offshorebereich", ist der Ingenieur überzeugt. "Lediglich im Ernstfall sind besondere Maßnahmen nötig."

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