Cannabis: »Cannabis als Allheilmittel anzupreisen, ist gefährlich«

Das Interview wurde am 24. Februar 2025 aktualisiert.
Frau Hoch, Sie forschen seit 20 Jahren zum Cannabiskonsum und seinen Auswirkungen. Seit April 2024 ist die Substanz in Deutschland in begrenzten Mengen für Erwachsene erlaubt. Ist das ein spannender Glücksfall für Sie als Cannabisforscherin?
Es ist weder ein Glücksfall noch ein Unglücksfall. Es gab eine unglaubliche Nachfrage nach Wissen und Informationen. Das Thema ist sowieso in den letzten zehn Jahren immer präsenter geworden. Aber rund um die Gesetzesverabschiedung war das mediale Interesse riesig, und es ist sehr heftig und emotional diskutiert worden. Für mich persönlich war es ein anstrengendes Jahr. Ich habe viele Fortbildungen und Vorträge für alle möglichen Bereiche der Gesellschaft gehalten. Es ist aber natürlich gut und wichtig, wenn wir als Wissenschaftler zum Diskurs beitragen und fachlich gesicherte Informationen teilen können. Das Gesetz war bis zum Schluss sehr umstritten und ist es auch immer noch. Jetzt steht wieder alles auf dem Prüfstand. Die CDU war immer gegen das Gesetz und hat auch schon vor der Wahl angekündigt, es wieder rückgängig machen zu wollen, wenn das überhaupt möglich ist.
Sind Sie konkret eingebunden, die Auswirkungen der Legalisierung zu evaluieren?
Ich leite das IFT, das Institut für Therapieforschung in München. Als unabhängiges und gemeinnütziges Forschungsinstitut sind wir seit fünf Jahrzehnten auf dem Gebiet der Drogen-, Sucht- und Versorgungsforschung tätig. Wir führen beispielsweise seit den 1980er Jahren den Epidemiologischen Suchtsurvey (ESA) zum Konsum von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen sowie Medikamenten in Deutschlands durch. Im Vordergrund steht dabei die Beobachtung von Trends des Substanzkonsums und seiner Folgen. Die letzte Erhebungswelle erfolgte 2024, kurz nach der Legalisierung von Cannabis. Und wir sind aktuell auch an einer großen, vom kanadischen Gesundheitsministerium finanzierten Studie beteiligt, der International Cannabis Policy Study. Die ist für mich ebenfalls sehr interessant, weil sie den Cannabiskonsum in vielen Ländern erfasst. In den USA und Kanada, wo die Substanz bereits vor längerer Zeit legalisiert wurde, und in Ländern ohne Legalisierung, und zwar überall mit der gleichen Methodik.

Was weiß man schon über die Auswirkungen der Legalisierung in Deutschland?
Es ist momentan schwer abzuschätzen, was die Effekte der Legalisierung sind, weil die aktuellen Studienergebnisse noch nicht vorliegen. Von anderen Ländern wissen wir bereits, dass es eine gewisse Zeit braucht, um ein Gesetz zu evaluieren.
Wird der Konsum zunehmen?
In den letzten zehn Jahren ist der Konsum von Cannabis in Deutschland stetig gestiegen. Auf Grund unserer Trendanalysen gehen wir davon aus, dass er weiter zunehmen wird.
Wie hat sich der Konsum in anderen Ländern entwickelt, in denen legalisiert wurde?
In den USA und Kanada hat der Konsum nach der Legalisierung zugenommen, insbesondere bei Erwachsenen. Bei US-amerikanischen Jugendlichen zeigt sich das nicht, da sieht man eher noch Effekte der Pandemie. Ab 2020 ist der Konsum bei Jugendlichen zurückgegangen und stagniert seither auf einem niedrigeren Niveau. Dies zeigt beispielsweise die regelmäßig durchgeführt US-Schulstudie Monitoring the Future. Der Cannabiskonsum ist in den USA erst ab dem 21. Lebensjahr erlaubt. Auch in Deutschland war es das Ziel des Gesetzgebers, dass die Substanz für Jugendliche verboten bleibt und sie geschützt werden sollen, indem Erwachsene Cannabis aus sicheren Quellen bekommen und nicht weitergeben. Denn das wäre strafbar.
»Wir haben an die Bundesregierung appelliert, schon vor der Legalisierung mit der Evaluation des Gesetzes zu beginnen. Das ist nicht gemacht worden«
Welche weiteren Auswirkungen erwarten Sie?
Der Konsum ist das eine. Es gibt viele Faktoren, die man sich nach der Legalisierung anschauen könnte. Übersichtsarbeiten betrachten mehr als 100 Indikatoren: Gibt es mehr Cannabisabhängigkeiten? Mehr Behandlungen deswegen? Mehr Notfälle durch Überdosierungen? Steigt die Zahl der cannabisinduzierten Psychosen? Gibt es mehr Unfälle im Straßenverkehr? Mehr Streitereien im öffentlichen Raum oder unter Nachbarn, etwa wegen des Geruchs? Weniger Stigmatisierung von Konsumierenden und Suchtkranken? Weniger Strafverfolgungen oder Haftstrafen durch Cannabisdelikte? Eine Hoffnung war ja, dass der Staat durch die Entkriminalisierung weniger Ressourcen in die Strafverfolgung stecken muss. In den USA ist die Zahl der Straftaten nach der Legalisierung zum Beispiel deutlich zurückgegangen. Die Zahl der Einweisungen ins Krankenhaus wegen akuter Überdosierung sowie Vergiftung bei Kindern durch Cannabisprodukte hat dagegen zugenommen.
Ein Ziel des Gesetzes war auch die Eindämmung des Schwarzmarktes.
In den USA und Kanada ist der Schwarzmarkt für Cannabis nach der Legalisierung zurückgegangen, aber nicht vollständig verschwunden. Manche Menschen kaufen das etwas teurere, weil besteuerte Cannabis aus legalen Quellen. Dadurch erhalten sie Informationen über die Sorte und den Wirkstoffgehalt und können gefährliche Beimischungen vermeiden. Andere Menschen beziehen die Droge nach wie vor über den illegalen Markt.
Kann der Eigenanbau in Deutschland helfen, den Schwarzmarkt zu reduzieren? Was weiß man schon dazu?
Der Eigenanbau war auch der erste Schritt in Kanada, Malta und Uruguay. In Deutschland ermöglicht das neue Gesetz, dass Erwachsene bis zu drei Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen und Anbauvereinigungen nach dem genossenschaftlichen Gedanken entstehen dürfen. Rückblickend sehen wir, dass das alles andere als glattging. Schnell gründeten sich mehrere hundert Vereine, sie stießen aber auf große bürokratische Anforderungen, von Bundesland zu Bundesland verschiedene Vorgaben und überforderte Behörden. Da sieht man, wie aufwändig es doch ist und wie lange es doch braucht, um ein Gesetz zu implementieren. Und umso schwieriger ist es, die Effekte bereits nach wenigen Monaten abzuschätzen. Denn bislang kann die erste Säule des Gesetzes noch gar nicht voll tragen, weil die Anbauvereinigungen kaum funktionieren.
Was sich dagegen schnell etabliert hat, ist eine neue Art des Marktes: Auf Internetseiten verschreiben Ärzte nach nur wenigen Klicks Cannabisprodukte.
Schon seit 2017 gab es in Deutschland die Möglichkeit, Cannabis als Arznei zu verordnen. Damals wurde im Gesetz verankert, dass Schwerkranke, bei denen andere Optionen nicht geholfen haben, von Ärztinnen und Ärzten verordnetes und über die Krankenkasse erstattetes Cannabis erhalten können. Seit dem neuen Cannabisgesetz braucht es dafür keine Betäubungsmittelrezepte mehr. Im Internet und auf großen Plakaten im öffentlichen Raum wurden unter Beteiligung prominenter Personen die Vorteile von Medizinalcannabis bei einer Vielzahl von Beschwerden angepriesen. Einige medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften und auch ich sehen die Entwicklung kritisch. Die Behauptung entspricht nicht dem Stand der Forschung. Cannabis kann zwar Leid lindern und hilft zum Beispiel nachweislich bei chronischen Schmerzen. Aber bei vielen anderen Beschwerden konnten bislang keine starken Effekte belegt werden. Wenn Cannabis in solchen Onlineplattformen als Produkt angepriesen wird, das gegen alles hilft, finde ich das gefährlich. Ich halte das für eine Überschätzung therapeutischer Effekte und eine Verharmlosung einer psychoaktiven Substanz mit Abhängigkeitspotenzial. Es stellt sich außerdem die Frage, ob hier irreführende Werbung gemacht wird für ein Medizinprodukt. Denn das ist in Deutschland nach dem Heilmittelwerbegesetz nicht erlaubt. Über die neuen Onlineplattformen können nun auch Menschen ihren Bedarf decken, die Cannabis zu Rauschzwecken nutzen wollen. Denn Cannabis ist legal, die Klubs funktionieren noch nicht gut und selbst anbauen möchte vielleicht nicht jeder oder es gelingt nicht jedem.
»Einer von fünf Menschen, die jemals Cannabis konsumiert haben, wird von der Substanz abhängig«
Wie hoch ist das Risiko, von Cannabis abhängig zu werden?
Einer von fünf Menschen, die jemals Cannabis konsumiert haben, wird von der Substanz abhängig. Das Risiko steigt auf eine von drei Personen, wenn wöchentlich oder täglich konsumiert wird. Wer in jungen Jahren beginnt und Cannabis mit einem hohen THC-Gehalt konsumiert, ist noch stärker gefährdet. Von einer Cannabiskonsumstörung spricht man, wenn eine Person nicht in der Lage ist, aufzuhören, obwohl sie unter körperlichen oder psychischen Problemen leidet. Typische Symptome sind eine Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen und ein intensives Verlangen nach der Substanz. Weltweit erfüllen schätzungsweise 22 Millionen Menschen die Diagnosekriterien. Das sind etwas weniger als bei Opioidkonsumstörungen mit 26 Millionen Menschen. Alkohol macht die meisten Probleme mit etwa 100 Millionen Fällen. In der ambulanten Suchthilfe in Deutschland sehen wir ein ähnliches Bild: Im Jahr 2023 war Alkohol der häufigste Anlass, sich professionelle Hilfe zu suchen, gefolgt von Cannabis.
Wann ist Cannabis als Medizin sinnvoll?
Wie Cannabisprodukte wirken und wem sie helfen, dazu gibt es inzwischen einige große Metastudien. Der Nutzen ist vor allem bei chronischen Schmerzen, Epilepsie und zur Appetitstimulation bei Krebspatienten gut belegt. Bei vielen anderen Beschwerden ist die Forschungslage weniger eindeutig, und es kann bisher keine Therapie mit der Substanz empfohlen werden, etwa bei psychischen Erkrankungen. Auch Cannabis als Arznei hat auf jeden Fall ein Abhängigkeitspotenzial. Eine 2024 veröffentlichte Metaanalyse ergab, dass etwa ein Drittel der Patienten, die Cannabis als Medikament einsetzen, eine Abhängigkeit entwickelt.
Wir haben 2021 schon einmal miteinander gesprochen. Damals hatte die Ampelregierung die geplante Legalisierung im Koalitionsvertrag verankert. Auf meine Frage, was bei der Umsetzung des Vorhabens beachtet werden sollte, meinten Sie, es sei wichtig, mehr Geld in Jugendschutz, in Aufklärung, in Behandlung, Weiterbildung und Forschung zu stecken. Was davon ist passiert?
Über Präventionsmöglichkeiten ist viel diskutiert worden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bekam einen speziellen Etat für Cannabisprävention. Sie entwickelte die Homepage www.cannabisprävention.de. Dort finden sich viele gute Informationen mit weiterführenden Links für Lehrer, Jugendliche und Fachkräfte. Es sind auch neue Cannabispräventionsprojekte entwickelt und evaluiert worden. Es gab bundesweit viele Fachtage zum Thema, wie kürzlich im Bundesministerium für Gesundheit beim Bundesdrogenbeauftragten zur Cannabisprävention an Schulen. Es ist also eine Menge passiert. Dennoch war das neue Gesetz für viele eine echte Herausforderung. Wenn ich für Vorträge zur Cannabisprävention eingeladen bin, vor Ort mit Eltern, Lehrern, Schulleitern oder Präventionsfachkräften spreche, dann sagen diese überwiegend, dass sie an den Schulen mit zahlreichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Die Cannabisprävention ist eben nur eines von vielen Themen, für das man erheblich mehr personelle und finanzielle Unterstützung benötigen würde. Auch von Ordnungsämtern und Behörden höre ich immer wieder, wie alleingelassen und überfordert sie sich erst mal mit dem Gesetz und seiner Umsetzung fühlten.
Eigentlich ist der Konsum erst ab 18 Jahren erlaubt. Für die meisten Schüler ist Cannabis also nach wie vor illegal. Aber konsumiert wird dennoch, oder?
Etwa 6,7 Prozent der 12- bis 17-Jährigen haben laut der Drogenaffinitätsstudie 2023 in den letzten zwölf Monaten bei mindestens einer Gelegenheit Cannabis genutzt. Bei den 18- bis 25-Jährigen sind es knapp 23,5 Prozent. Die Pubertät ist ein Alter, in dem viele sehr neugierig sind, eigene Erfahrungen sammeln und vielleicht auch mal etwas Verbotenes tun wollen. Das macht die Suchtprävention an Schulen so wichtig. Dabei sollte glaubwürdig über psychoaktive Substanzen und ihre Wirkungsweise aufgeklärt und für Risiken sensibilisiert werden. Auch positive Botschaften gilt es zu vermittelt, etwa »Du tust deinem Gehirn etwas Gutes, indem du Cannabis, wenn überhaupt, erst später ausprobierst«. Jugendliche, die sich nicht für Drogen interessieren, sollen in ihrer Haltung bestärkt werden.
»Das Risiko, eine Angststörung zu entwickeln, ist für Konsumenten von Cannabis doppelt so hoch«
Was sind die Folgen des Konsums für Jugendliche und Erwachsene?
Den aktuellen Kenntnisstand dazu habe ich 2024 gemeinsam mit der Leiterin der amerikanischen Drogenbehörde und weiteren australischen und britischen Kollegen zusammengetragen. Es gibt mittlerweile eine große Zahl an Studien zu potenziellen kurz- und längerfristigen Folgen von Cannabis. Unmittelbar nach dem Konsum ist die Denkleistung beeinträchtigt. Man kann sich beispielsweise nicht so gut konzentrieren oder lernen und ist schlechter im Planen und Entscheiden. Auch die Fahrtüchtigkeit ist eingeschränkt. Mitunter kommt es zu Überdosierungen, die in der Notaufnahme behandelt werden müssen. Die Substanz kann das Bewusstsein verändern und zu Übelkeit und Erbrechen sowie kardiovaskulären Problemen führen, etwa zu einem sehr hohen Blutdruck. Die Symptome gehen aber wieder zurück, wenn der THC-Pegel sinkt.
»Die entscheidende Frage ist, ob bestimmte Denkleistungen dauerhaft eingeschränkt bleiben. So wie die Forschungslage aussieht, kann man davon ausgehen«
Was sind langfristige Folgen?
Neben einer Abhängigkeitsentwicklung besteht unter anderem ein erhöhtes Risiko für psychische Probleme. Bei vulnerablen Menschen kann der Konsum eine Psychose auslösen. Und je häufiger und länger man Produkte mit einem hohen THC-Gehalt nutzt, desto höher ist das Risiko dafür. Darüber hinaus steht die Substanz mit dem Auftreten von Depressionen, Ängsten, bipolaren Störungen und Suizidversuchen in Zusammenhang. Jugendliche und junge Erwachsene, die von Cannabis abhängig sind, haben zum Beispiel ein drei- bis fünffach erhöhtes Risiko, an einer schweren Depression zu erkranken. Auch die Wahrscheinlichkeit, eine Angststörung zu entwickeln, verdoppelt sich für Konsumenten. Es ist allerdings noch nicht eindeutig, welcher Faktor was bedingt. Vielleicht war jemand schon immer ängstlich oder bedrückt und nutzt die Droge zur Selbstmedikation.
»Das Gehirn erholt sich möglicherweise von Cannabis, wenn jemand abstinent wird«
Eine 2025 veröffentlichte Studie mit mehr als 1000 jungen Erwachsenen legt nahe, dass der Konsum auch langfristig die Leistung des Arbeitsgedächtnisses und die Hirnaktivität in bestimmten Regionen reduzieren kann. Wie schätzen Sie das ein?
Für die negativen Auswirkungen auf die Denkleistung gibt es viele Belege, etwa zu Problemen beim Lernen und Gedächtnis. Die entscheidende Frage ist, ob die Kognition auch nach dem akuten Konsum noch dauerhaft eingeschränkt bleibt. So wie die Forschungslage aussieht, kann man davon ausgehen. Aber die negativen Effekte sind möglicherweise reversibel. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann und sich das Gehirn unter Umständen erholt, wenn jemand abstinent wird. Ob das auch für jugendliche Konsumenten gilt, ist jedoch unklar.
Die Hirnentwicklung ist mit 18 Jahren noch nicht abgeschlossen. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, das Mindestalter für den legalen Konsum anzuheben?
Das wurde natürlich diskutiert. Es gab verschiedene Stellungnahmen und Positionspapiere von wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Interessenverbänden der Konsumierenden und der Cannabiswirtschaft. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde DGPPN hat sich beispielsweise dafür ausgesprochen, Cannabis erst ab 25 Jahren freizugeben, wenn die Hirnentwicklung weitestgehend abgeschlossen ist. Vom deutschen Hanfverband und auch von Seiten der Politik wurde dagegen argumentiert, dass man mit dem Gesetz junge Erwachsene schützen möchte, indem sie Cannabis aus sicheren Quellen ohne Verunreinigungen bekommen. Da sind unterschiedliche Perspektiven aufeinandergeprallt. Zwischenzeitlich wurde sogar eine Freigabe für unter 18-Jährige diskutiert.
Kommen wir noch einmal auf Ihre eigene Arbeit als Wissenschaftlerin zu sprechen. Ist das Forschen seit der Legalisierung einfacher für Sie geworden? Steht mehr Geld zur Verfügung? Stoßen Sie auf weniger rechtliche Hürden?
Es ist nicht unbedingt einfacher geworden. Wir erleben eine Zeit, in der an allem gespart wird und insgesamt sehr wenig Geld für unsere Forschung da ist. Aber möglicherweise geben die Menschen nun eher zu, dass sie Cannabis konsumieren, weil es nun legal ist. Ob das so ist, werden wir sehen, wenn wir erste Daten auswerten. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern habe ich vor rund einem Jahr in einem Brief an die Bundesregierung appelliert, schon vor der Legalisierung mit der Evaluation des Gesetzes zu beginnen. Das ist nicht gemacht worden, was ich kritisch finde. Denn man braucht ja einen Vorher-nachher-Vergleich, um kausale Schlüsse ziehen zu können. Es ist keine Studie in Deutschland speziell dafür designt worden, das Gesetz zu evaluieren. Man hat erst jetzt, ein Dreivierteljahr später, mit einer Bestandsaufnahme begonnen.
Gibt es denn in anderen Ländern Vorher-nachher-Vergleiche?
Für die International Cannabis Policy Study, an der unser Forschungsinstitut beteiligt ist, werden jährlich in Kanada, den USA, Deutschland, Großbritannien, Australien und Neuseeland Daten erhoben. Im Rahmen dieser internationalen Studie untersuchen wir auch für Deutschland die Auswirkungen der Cannabispolitik. Der Vergleich zeigt ganz gut, wer Cannabis nutzt, woher es kommt, wie verbreitet es ist, wo es gekauft wird und für wie gefährlich die Menschen es halten. Wichtig ist dabei: Wir sind alle unabhängige Wissenschaftler, die ein Forschungsinteresse an dem Thema haben und keinen Einflüssen der Industrie unterliegen.
»Man weiß aus der Forschung, dass industriegestützte Studien positivere Effekte finden und Substanzen weniger kritisch einordnen als unabhängige Studien. Ich fände es wichtig, dass da mehr Transparenz herrscht«
Sind die Legalisierungen in den unterschiedlichen Ländern vergleichbar?
Nein. Ein kommerzieller Ansatz wie in den USA wäre mit dem EU-Recht zum Beispiel nicht vereinbar gewesen. Deshalb hat die Bundesregierung die Zweisäulenlösung umgesetzt.
Was beinhalten die Säulen?
Die erste Säule des Cannabisgesetzes ermöglicht den privaten Eigenanbau und den Anbau in Anbauvereinigungen. Die zweite Säule gestattet, dass in bestimmten Regionen Fachgeschäfte als Modellprojekte entstehen, deren Verkauf über mehrere Jahre wissenschaftlich evaluiert wird. Die Tagesschau hat im Herbst 2024 darüber berichtet, dass der Verkauf Anfang 2025 in Frankfurt und Hannover beginnen soll. Zu dieser zweiten Säule findet man im Vergleich zu Säule eins nur wenige Informationen von der Bundesregierung. Es gab einen Aufruf an die Städte, sich an dem Modellversuch zu beteiligen, und einen Katalog für Fachgeschäfte, die teilnehmen wollen. Aber es ist nicht leicht ersichtlich, woher die Finanzierung kommt.
Und woher kommt die Finanzierung?
Dazu fehlen im Augenblick gesicherte, öffentlich verfügbare Informationen. Von der scheidenden Bundesregierung war geplant, dass sich die Industrie an dem Vorhaben beteiligen soll. Wenn Cannabis in den Verkaufsstellen verkauft werden soll, müsste es ja dafür hergestellt, transportiert und verfügbar gemacht werden. Wenn aber auch die Mitarbeiter der Studien von der drogenherstellenden Industrie finanziert werden, könnte ihre Neutralität potenziell verloren gehen. Man weiß aus der Forschung, dass industriegestützte Studien positivere Effekte finden und Substanzen weniger kritisch einordnen als unabhängige Studien. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen stets ihre Beziehungen offenlegen und Interessen deklarieren. Das wird beispielsweise von der Arbeitsgemeinschaft medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften für alle Forschungsfelder und -tätigkeiten gefordert und praktiziert. Ich fände es wichtig, dass hier mehr Transparenz herrscht.
Die CDU hatte vor der Bundestagswahl angekündigt, das Gesetz im Fall einer Regierungsbeteiligung wieder abzuschaffen. In ihrem Wahlprogramm steht unter der Überschrift »Damit wir uns wieder sicher fühlen«: »Das Cannabis-Gesetz schaffen wir ab. Das Gesetz ist ein Konjunkturprogramm für Kriminalität und gefährdet Kinder und Jugendliche. Es drängt den Schwarzmarkt nicht zurück. Stattdessen erleben wir brutale Bandenkriege. Clankriminalität begegnen wir durch maximalen Kontroll- und Verfolgungsdruck. Geldwäsche bekämpfen wir noch entschlossener.« Was sagen Sie als Wissenschaftlerin dazu? Gibt es Belege für diese Behauptungen?
Bandenkriege und Clankriminalität finden statt. Sie zeichneten sich jüngst durch besondere Brutalität aus. Im letzten Herbst gab es beispielsweise in Köln, Duisburg und Düsseldorf Sprengstoffanschläge der holländischen Drogenmafia, wohl um Rivalen zu bedrohen und Geld einzutreiben. Das in Deutschland genutzte Cannabis stammt aktuell weitestgehend vom illegalen Markt. Laut Bundeskriminalamt wird Marihuana vor allem aus Marokko importiert, Haschisch kommt überwiegend aus Spanien. Die Drogenbanden sind global tätig und nutzen immer neue und raffinierte Methoden für den Drogenschmuggel. Immer wieder gelingt es dem internationalen Zoll, solche Cannabis-Großtransporte aufzugreifen. Deutschland ist als drittgrößte Volkswirtschaft ein interessanter Markt für die organisierte Kriminalität. Wir können viele Folgen der Legalisierung schlicht noch nicht abschätzen. Die Forderung der CDU zeigt jedoch, wie umstritten das Gesetz bis heute in der Gesellschaft ist. Es ist komplex und herausfordernd, den richtigen Weg zu finden. Viele Aspekte müssen berücksichtigt und abgewogen werden. Ob die Legalisierung rückgängig gemacht wird, weiß Stand heute niemand. Doch egal, wie sich die Lage entwickelt: Wir werden sie weiter beobachten und unabhängige Daten erheben.
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