Direkt zum Inhalt

Weltnaturkonferenz COP 16 in Cali: Die Welt nimmt Kurs auf Scheitern

Am Wochenende endete in Kolumbien die Weltbiodiversitätskonferenz. Die Bilanz macht wenig Hoffnung auf eine Trendwende beim wichtigsten Naturschutzversprechen: Es fehlt an Geld und manchmal selbst an gutem Willen.
Goldschakale im indischen Bengalen
In Indien – wie hier in Westbengalen – geraten Goldschakale durch Urbanisierung und Lebensraumzerstörung immer weiter in Bedrängnis. Vom Ziel, ein Drittel der Landfläche unter Schutz zu stellen, ist die Welt aktuell sehr weit entfernt.

»30 x 30« ist die Formel für das größte Naturschutzversprechen der Menschheitsgeschichte: 30 Prozent der Landfläche der Erde und ein ebenso großer Anteil der Ozeane sollen bis 2030 unter Schutz stehen. Beschlossen wurde es vor zwei Jahren im kanadischen Montreal – von den Staaten der Welt, einstimmig.

Das Weltnaturabkommen ist ambitioniert. Und zugleich ist es für das Überleben der Menschheit so zentral wie das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens. Etwa die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung ist an intakte Ökosysteme geknüpft, haben Fachleute des Weltwirtschaftsforums berechnet. Sogar die einer grünen Ideologie unverdächtige NATO kommt zu dem Ergebnis, dass der Verlust der biologischen Vielfalt zu einer Gefahr für die politische Stabilität geworden ist.

Wo steht die Weltgemeinschaft bei der Einlösung dieses Versprechens? Welche Fortschritte wurden gemacht? Die erste Gelegenheit, das zu überprüfen, war der am 02. November zu Ende gegangene UN-Naturschutzgipfel COP16 im kolumbianischen Cali. Die Bilanz fällt ernüchternd aus.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hatte alarmierende Zahlen nach Cali mitgebracht. Laut seiner Analyse kommen die Staaten nur im Schneckentempo voran. Aktuell stehen 17,6 Prozent der weltweiten Landflächen und 8,4 Prozent der Meere unter Schutz.

Um das Ziel in den verbleibenden fünf Jahren noch zu erreichen, müssten jeden Tag etwa 10 000 Quadratkilometer neuer Schutzgebiete hinzukommen und 85 neue Meeresschutzgebiete ausgewiesen werden, rechnete ein renommiertes Forscherteam vor. Tatsächlich ist die Gesamtfläche in den vergangenen zwei Jahren um gerade einmal 0,5 Prozent an Land und 0,2 Prozent auf See gewachsen.

Nur ein Fünftel reiste mit konkreten Plänen an

Und es gibt noch mehr Alarmzeichen, dass die Welt ihr wohl wichtigstes Ziel im Umweltschutz zu verfehlen droht. Denn gerade mal ein Fünftel der 196 Vertragsstaaten sind der Vereinbarung nachgekommen, bis zur Konferenz eine so genannten Biodiversitätsstrategie aufzustellen, einen konkreten Fahrplan, wie sie die Ziele des Weltnaturabkommens bis 2030 erreichen wollen. Ein genauerer Blick auf die mitgebrachten Strategien zeigt, dass es viele Länder nicht mehr so ernst mit ihrer Selbstverpflichtung zum 30-Prozent-Naturschutzziel nehmen. Mit China, Kanada und Australien haben überhaupt nur drei der zehn flächengrößten Länder entsprechende Pläne vorgelegt. Dabei braucht es angesichts der riesigen Lücke gerade die Beiträge der Top-15-Staaten.

Immerhin kommen positive Zeichen von einigen Ländern, die noch keine fertigen Pläne vorgelegt haben, wie etwa Brasilien. Zwar hat der Präsident des fünftgrößten Landes der Erde, Luiz Inacio Lula da Silva, seine geplante Teilnahme in Cali wegen einer Verletzung in letzter Minute abgesagt. Seine Regierung hatte sich im Vorfeld aber zum 30-Prozent-Ziel bekannt und die Selbstverpflichtung in Cali bekräftigt – ein angesichts der Bedeutung des artenreichen Landes für Klima- und Naturschutz kaum zu überschätzendes Signal. Auch Gastgeber Kolumbien – ebenfalls ein Biodiversitätschampion im globalen Maßstab – hat selbstbewusst verkündet, bis 2030 insgesamt 34 Prozent seiner Fläche unter wirksamen Schutz zu stellen und die Rechte der indigenen Bevölkerung zu stärken.

Diese Länder bleiben aber Ausnahmen. Russland als flächengrößter Staat der Welt kam mit leeren Händen, ebenso wie Indien; die USA sind als Nichtmitglied der UN-Konvention über biologische Vielfalt ohnehin nur Zaungast, und Indonesien als ein weiteres wegen seiner Größe und seines Artenreichtums unverzichtbares Land erwähnt in seiner Strategie das 30-Prozent-Ziel nicht direkt, sondern kündigt eher unverbindlich einen »effektiven Schutz und Management« von Gebieten mit großem Wert für die Biodiversität an. Viele andere Länder verzichten selbst auf solche indirekten Bezüge oder schrauben ihre vor zwei Jahren eingegangene Verpflichtung drastisch auf 20, 10 oder noch weniger Prozent herab. Auch das EU-Land Ungarn will von der Verpflichtung offenbar nichts mehr wissen.

Deutschland schaffte es gerade noch in letzter Minute, eine Biodiversitätsstrategie mit nach Cali zu bringen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke reiste wegen anhaltender Blockade in der Ampel allerdings mit einer noch nicht mit den anderen Ministerien abgestimmten Fassung an. Darin bekennt sie sich klar zum 30-Prozent-Ziel. Diese Zusagen einzuhalten, wird jedoch auch hier zu Lande noch riesiger Anstrengungen bedürfen. Bisher hat Deutschland rund 18 Prozent seiner Landfläche als Teil der 30-Prozent-Ziels – das auch in der europäischen Biodiversitätsstrategie verankert ist – an die EU-Kommission gemeldet.

UN-Politiker zeigen sich gelassen, Naturschützer sind alarmiert

Trotz der ernüchternden Zahlen zeigten sich führende UN-Vertreter in Cali zuversichtlich. »Das 30 x 30-Ziel ist ehrgeizig, aber immer noch erreichbar, wenn die internationale Gemeinschaft grenzüberschreitend zusammenarbeitet«, beteuert die Generaldirektorin der für den UNEP-Report federführenden Internationalen Naturschutzunion IUCN, Grethel Aguilar. Auf den Ozeanen beispielsweise könnte das im vergangenen Jahr erzielte UN-Hochseeschutzabkommen den Weg für die Schaffung großräumiger Meeresschutzgebiete frei machen. Auch UNEP-Chefin Inger Andersen verbreitete in Cali Zweckoptimismus. »Die Erfolge zeigen, dass wir es noch schaffen können, aufzuholen«, sagte sie unter Verweis auf die Übererfüllung der 30-Prozent-Zusage durch etwa 50 – vor allem kleine – Länder.

Naturschutzexperten zeigen sich nach einer ersten Auswertung der in Cali vorgelegten Pläne dagegen alarmiert. »Das Ambitionsniveau liegt deutlich unter dem, was in Montreal vereinbart wurde«, sagt Georg Schwede, Europachef der Naturschutzorganisation Campaign for Nature. Weil eingereichte Pläne erfahrungsgemäß selbst bei bestem Willen nie vollständig umgesetzt würden, sieht er die Verwirklichung der Montreal-Ziele akut gefährdet. »Mit den vorliegenden Plänen kann die Trendwende in der ökologischen Krise des Planeten nicht gelingen«, sagt der Naturschützer. »Wenn nach dieser Zwischenbilanz in Cali in der Staatengemeinschaft nicht alle Alarmglocken schrillen und die Staaten in ihrer Ambition nicht deutlich zulegen, können wir das 30-Prozent-Ziel schon heute vergessen«, warnt Schwede. »Wir brauchen mehr Tempo und ein viel stärkeres Bewusstsein für die Dringlichkeit.«

Arme Länder fordern Einhaltung von Geld-Versprechen

Doch danach sieht es nicht aus. Denn der globale Naturschutz musste in Cali zwei weitere Rückschläge hinnehmen: Ein wichtiges Ziel der Konferenz war die Aushandlung eines Rahmenabkommens, das regelt, wie die Fortschritte auf dem Weg zum Montreal-Ziel überprüft werden sollen. Am Ende gelang es jedoch nicht mehr, das fertig ausgehandelte Abkommen zu verabschieden. Zu viele Delegierte waren schon abgereist, die Beschlussfähigkeit war am Ende der COP nicht mehr gegeben. Gelingt es nicht, über ein kurzfristig anzuberaumendes Treffen doch noch einen Beschluss herbeizuführen, dürfte der großen, für 2026 vorgesehenen Zwischenbilanz die objektive Grundlage fehlen, auf die sie sich stützen müsste.

Noch schwerer wiegt aber der Umstand, dass sich die Industrieländer nicht auf Finanzierungszusagen an die Entwicklungsländer einigen konnten. In Montreal hatten sie sich eigentlich dazu verpflichtet, ärmere Länder und besonders artenreiche Staaten ab 2025 mit jährlich mindestens 20 Milliarden Dollar zu unterstützen und den Betrag bis 2030 auf mindestens 30 Milliarden anzuheben. Das Geld soll helfen, Schutzgebiete einzurichten, und ein Ausgleich dafür sein, dass die artenreichen Länder des globalen Südens aus Naturschutzgründen auf die Ausbeutung ihrer Umwelt verzichten müssen.

Zwar gab es in Cali neue Zusagen, darunter eine weitere 50-Millionen-Finanzspritze Deutschlands, das damit an der Spitze der Geberländer steht. Doch Wochen vor Beginn des Zieljahres klafft immer noch eine Lücke von über vier Milliarden Dollar. Ohne ausreichende Finanzmittel werde man die notwendigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft nicht stemmen können, schrieb eine Gruppe von 20 Ministern aus Entwicklungsländern.

Die kongolesische Umweltministerin Ève Bazaiba griff in Cali die reichen Industriestaaten in einer emotionalen Rede an. Überall gelte das Verursacherprinzip – nur die westlichen Staaten glaubten, dass sie selbst immer mehr Treibhausgase in die Luft blasen und gleichzeitig von den armen Ländern verlangen könnten, die eigene Umwelt nicht anzurühren. »Es stimmt, auch wir brauchen saubere Luft«, sagte die Ministerin und Menschenrechtsaktivistin. »Aber wir brauchen auch Brot.«

Wird es in Erewan einen zweiten »Montreal-Moment« geben? Oder droht eine Wiederholung des Traumas von Aichi?

Das Trauma des Scheiterns hat einen japanischen Namen

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Staatengemeinschaft nicht das schafft, was sie sich zur Bewahrung ihrer eigenen Lebensgrundlagen vorgenommen hat. In der japanischen Provinz Aichi hatten sich die Länder der Erde 2010 schon einmal ganz ähnliche Ziele gesetzt, mit denen das Artensterben und die Zerstörung der Ökosysteme gestoppt werden sollten. Zieldatum damals: 2020. Auch unter den insgesamt 20 Aichi-Zielen ragte eines heraus. Statt »30 x 30« hieß es damals »17 x 10«: 17 Prozent der Land- und 10 Prozent der Meeresfläche sollte bis 2020 unter einen wirksamen Naturschutz gestellt werden. Es wurde ebenso wie alle weiteren Ziele verfehlt, wie die Vereinten Nationen Jahre später in ihrem 2024 veröffentlichten Bericht zur Lage der Natur einräumen mussten. Der Name der japanischen Präfektur Aichi steht bis heute für den größten Rückschlag im Kampf um das Überleben der Natur, seit die Weltgemeinschaft 1982 in Rio de Janeiro erstmals beschlossen hat, die globalen Umweltkrisen aus Erderwärmung, Naturverlust und Wüstenbildung zu bekämpfen.

Rio, Aichi, Paris, Montreal, Cali: Der Kampf um die Rettung des Planeten und damit das Überleben der Menschheit ist eng verbunden mit den Namen der Gastgeberstädte der Weltkonferenzen. Vielen stellt sich nun die Frage, welches Ergebnis man in zwei Jahren mit der armenischen Hauptstadt Erewan verknüpfen wird. Dort wird 2026 auf der nächsten Weltnaturkonferenz die letzte Zwischenbilanz auf dem Weg zum »30 x 30« gezogen werden. Wird es in Erewan einen zweiten »Montreal-Moment« geben? Oder droht eine Wiederholung des Traumas von Aichi?

»Wenn wir in diesem Tempo und in dieser Qualität weitermachen, nehmen wir definitiv eher Kurs auf Aichi als auf Montreal«, sagt Yves Zinngrebe, der als Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung an Verhandlungen in Cali teilgenommen hat. Auch Campaign-for-Nature-Mann Schwede sieht die Staaten »auf einem maximal falschen Kurs.« Dagegen beteuert die Chefin der COP16, Astrid Schomaker : »Wir haben unsere Lektion aus Aichi gelernt. Die Bewahrung der Natur ist eine existenzielle Angelegenheit – Scheitern ist keine Option.«

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.