Weltraum: Entscheidungsjahre der Raumfahrt
Mit dem Artemis-Programm der NASA geht es deutlich schleppender voran, als einst geplant war. Die US-Raumfahrtbehörde hat die Mission Artemis II, bei der erstmals seit den Tagen von Apollo wieder Menschen den Mond umrunden sollen, von November 2024 auf frühestens September 2025 verlegt. Artemis III soll nach der revidierten Planung erst im September 2026 folgen, also wieder ein Jahr später. Was die NASA (noch) nicht gesagt hat: Die Wahrscheinlichkeit liegt bei fast 100 Prozent, dass Artemis III nicht – wie derzeit offiziell immer noch behauptet wird – zur ersten Mondlandung mit Astronauten seit dem Flug von Apollo 17 im Dezember 1972 führen wird. Vielmehr wird sie im besten Fall dem Aufbau des Lunar Gateway dienen, einer kleinen Raumstation und Bestandteil des Artemis-Programms, der in einer lang gestreckten Mondumlaufbahn errichtet wird. Bewahrheitet sich das, wird es nicht Aufgabe der Crew von Artemis III sein, auf dem Mond zu landen. Ihr Flugauftrag wird dann darin bestehen, die ersten Gateway-Module in der Mondumlaufbahn in Betrieb zu nehmen. Die erste Landung würde sich dann zu Artemis IV verschieben. Das hätte zur Folge, dass mit dem ersten US-amerikanischen Mondlandeversuch der Nach-Apollo-Ära nicht vor Ende 2027 zu rechnen wäre.
Doch das Programm liegt inzwischen so weit hinter dem Zeitplan, dass in den letzten Monaten noch weiter abgespeckte Missionsvarianten für Artemis III ins Gespräch kamen. So erwägen offensichtlich die Befürworter eines vorsichtigeren Vorgehens eine Flugversion, die an die Mission Apollo 9 im Frühjahr 1969 erinnert: eine Erprobung des Human Landing System (HLS), also der Mondlandefähre Lunar Starship von SpaceX, in einer niedrigen Erdumlaufbahn. Dabei würde das Raumschiff Orion im Erdorbit an einem Lunar Starship andocken und mit diesem ein Flugtestprogramm absolvieren: keine Landung auf dem Mond, keine Mondumrundung, einfach nur ein Flug in die Erdumlaufbahn mit einigen Kopplungsversuchen. Ob das die NASA dem US-Steuerzahler verkaufen kann?
Die Gründe für diese Umplanungen und Verzögerungen sind vielfältig: Der unbemannte Testflug Artemis I, der vom 16. November bis 11. Dezember 2022 stattfand, zeigte einige Schwachstellen im Orion-System auf. So entstanden am Hitzeschild beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre Narben, die deutlich tiefer waren als das, was man sich zuvor ausgerechnet hatte. Sie hätten eine Besatzung zwar nicht gefährdet, aber trotzdem möchte die NASA dieses Phänomen erst im Detail verstehen, bevor sie die Raumkapsel für Einsätze mit einer Crew an Bord freigibt (siehe »Die erste Artemis-Crew«). Des Weiteren wurden ein Konstruktionsfehler in einem Ventil des Lebenserhaltungssystems festgestellt sowie eine Schwachstelle in der Rettungsrakete, welche die Kapsel mit den Astronauten im Fall eines Versagens der Trägerrakete in Sicherheit bringen soll (siehe »Rettungsrakete für Artemis«).
Ein weiterer Grund für die Programmverzögerung liegt darin, dass SpaceX seine vom Starship abgeleitete Mondlandefähre nicht rechtzeitig einsatzbereit bekommen wird. Die Schwierigkeiten, auf die Elon Musk mit seiner neuen Superrakete trifft, wurden schon im Beitrag Duell der Giganten geschildert. Allen Widrigkeiten zum Trotz lautet aber der gegenwärtige Plan, in diesem Jahr noch etwa drei und im kommenden Jahr acht bis zehn Starship-Testflüge durchzuführen.
Parade der Schwerlastraketen
Her sind die meisten gegenwärtig oder noch in diesem Jahr aktiven Groß-Trägerraketen aufsteigend nach ihrer Nutzlastkapazität von links nach rechts dargestellt. Die Saturn V des Mondprogramms Apollo flog zuletzt im Jahr 1973 und ist nur zum Vergleich eingefügt. Die Ariane 6 (in der Variante 65) hat eine Nutzlastkapazität von 22 Tonnen für einen niedrigen Erdorbit. Die Langer Marsch 5 hat 25 Tonnen. Vulcan mit sechs Boostern (hier abgebildet ist die Version mit zwei Zusatzraketen): 27 Tonnen. Blue Glenn bei Wiederverwendung der Erststufe: 45 Tonnen. Falcon Heavy im Verbrauchsmodus: 70 Tonnen. SLS in der Block-1-Variante, wie sie bei der Mission Artemis I flog: 95 Tonnen. Saturn V: 145 Tonnen. Starship: 150 bis 200 Tonnen, wenn sowohl die Boosterstufe (»Super Heavy«), als auch die Oberstufe, das eigentliche Starship, wiederverwendet werden. Die Nutzlastkapazität im Verbrauchsmodus beträgt etwa 250 Tonnen. Die hier gezeigte Variante des Starship entspricht in den Abmessungen den derzeit für Versuchsflüge eingesetzten Prototypen. Aussehen und Größe der späteren Serienversion werden davon etwas abweichen.
Starship dürfte als zunächst nur teilweise wiederverwendbares System bis Ende 2025 tatsächlich einsatzbereit sein und zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich auch schon Hunderte von Starlink-Satelliten in die Erdumlaufbahn befördert haben. Die Mondlandungen im Artemis-Vorhaben sind jedoch eine ganz andere Hausnummer, denn das Konzept von SpaceX erfordert ein sehr komplexes Szenario. Es besteht aus mindestens einem Dutzend Starship-Starts in schneller zeitlicher Folge, in Verbindung mit noch nie durchgeführten Manövern, um riesige Mengen von Treibstoff von einem Raumfahrzeug zu einem anderen zu transferieren. Dafür muss auch noch die Mondlandevariante des Starship entwickelt werden – eine Tankerversion und ein orbitales Treibstoffdepot für mindestens 1500 Tonnen Betriebsmittel wie flüssigen Sauerstoff und flüssiges Methan. Kein Wunder also, dass die NASA die potenzielle Mondlandung von Artemis III schon aus diesen Gründen nicht wie ursprünglich geplant im Jahr 2026 durchführen kann.
Die komplexe Architektur von Artemis
Generell ist die enorme Komplexität der Artemis-Missionsarchitektur immer wieder Gegenstand der Kritik. Anlässlich einer Kongressanhörung am 17. Januar 2024 bemerkte der frühere NASA-Administrator Mike Griffin – er hatte das Amt zwischen 2005 und 2009 inne –, dass »… das Artemis-Programm übermäßig kompliziert ist, auf unrealistischen Kostenschätzungen basiert, große Risiken für die Crew und den Missionserfolg beinhaltet und dass es in hohem Maß unwahrscheinlich ist, dass es zeitgerecht abgewickelt werden kann, selbst wenn es erfolgreich verläuft«.
Ursprünglich hatte Donald Trump die NASA bald nach Beginn seiner Amtszeit beauftragt, eine Mondlandung noch vor November 2024 durchzuführen. Vorgestellt hatte er sich dabei einen krönenden Abschluss seiner damals erhofften achtjährigen Präsidentschaft. Allerdings »vergaß« er, die NASA dafür auch mit den notwendigen Finanzmitteln für ein solch beschleunigtes Programm auszustatten. Das Artemis-Programm sah übrigens, bevor Trump mit seiner Direktive zur Programmbeschleunigung eingriff, eine Mondlandung mit Crew etwa um das Jahr 2028 vor. Die Ironie des Schicksals will es jetzt, dass es in der Realität genau auf dieses Datum der vor-trumpschen Planung hin zuläuft.
Kompliziert ist das Programm ohne Frage – nicht zuletzt, weil über die so genannten Artemis Accords zusätzlich noch viele ausländische Programmpartner ins Spiel kommen. Sie senken die Kosten für die NASA und sichern das Programm vor der Stornierung, gleichzeitig blähen sie aber die Programmstruktur immer weiter auf, denn viele der inzwischen 40 Partnerländer wollen eigene Beiträge einbringen. Beispielsweise baut die Europäische Weltraumorganisation ESA für Artemis das Versorgungs- und Antriebsmodul der Raumkapsel Orion sowie Komponenten und Module für den Lunar Gateway. Aus Kanada kommt ein Manipulatorarm, ebenfalls für die Mondorbitstation. Die Vereinigten Arabischen Emirate gaben erst vor wenigen Monaten bekannt, dass sie das Luftschleusenmodul für den Gateway bauen wollen. Die japanische Raumfahrtbehörde JAXA will in Zusammenarbeit mit dem Autohersteller Toyota ein druckbelüftetes und mit Brennstoffzellen betriebenes Mondauto für das Artemis-Programm entwickeln.
Mit mehr Geld hätten die USA das Programm weitgehend solo und vor allem schneller durchführen können. Das wäre zu Beginn von Trumps Amtszeit noch möglich gewesen. Doch unter den Bedingungen des tatsächlich gewährten NASA-Budgets läuft es, wie es eben läuft. Somit werden die Aufgaben nun sequenziell abgearbeitet und nicht parallel, im Mehrschichtbetrieb oder mit Arbeit an Wochenenden. Solange das Geld für das Artemis-Programm nur über möglichst viele Einzelstaaten der USA verstreut wurde und jeder sein Stück vom NASA-Kuchen abbekam, hatte auch der Kongress bislang kein größeres Problem mit dem eher gemächlichen Fortschritt.
Chinas ambitionierte Raumfahrtpläne
Bislang, denn an dieser Stelle kommen die Chinesen ins Spiel: Die machen nämlich genau das Gegenteil der Amerikaner. Sie beschleunigen ihr Mondprogramm und üben auf die NASA mächtig Druck aus. Und so meinte denn auch Mike Griffin: »Für die Vereinigten Staaten und ihre Partner ist es völlig inakzeptabel, nicht auf dem Mond zu sein, wenn andere es sind.« Er sowie viele Politiker würden es demnach nur höchst ungern sehen, wenn der erste Artemis-Astronaut auf dem Mond von einem Chinesen begrüßt werden würde.
Die Zeichen der chinesischen Programmbeschleunigung sind unübersehbar. Hatte die chinesische Weltraumagentur vor wenigen Jahren das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2035 eine bemannte Mondlandung durchzuführen, hat sie diese Zielmarke nun zeitlich drastisch vorgezogen. Jetzt soll es spätestens im Jahr 2030 so weit sein. Auf Chinas neuem Startplatz Wenchang auf der Insel Hainan im Gelben Meer kann man zurzeit den zügigen Fortschritt der Bauarbeiten für die Startanlagen der Rakete Langer Marsch 10 beobachten. Satellitenaufnahmen zeigen auch die noch im Bau befindlichen Rollwege vom Raketenmontagegebäude hin zu den neuen Startrampen. Ein bisschen sieht es hier gerade aus wie einst in den Sturm-und-Drang-Tagen des Kennedy Space Center in Florida, als dort in den Jahren 1964 und 1965 all die Infrastruktur entstand, die dort noch heute die US-Raumfahrt bestimmt.
Die Langer Marsch 10 – sie ist das Trägersystem für die erste Phase bemannter chinesischer Mondlandungen – wird ihren Erstflug voraussichtlich Anfang 2027 erleben. Jeweils zwei dieser Raketen, jede fast so groß wie das Space Launch System der NASA, werden für eine Mondlandung eingesetzt. Mit der einen Rakete wird das Crew-Raumschiff zum Mond geschickt, mit der anderen der Lander. Diese beiden wichtigen Programmelemente haben inzwischen offizielle Namen erhalten: Mengzhou (Traumschiff) und Lan Yue (Der den Mond umarmt).
Auch die Schlagzahl im unbemannten chinesischen Mondprogramm erhöht sich weiter: Am 20. März 2024 wurde die neue Datenrelaissonde Queqiao 2 in eine weite Mondumlaufbahn geschickt. Nach der Indienststellungsphase ist es nun ihre erste Aufgabe, die Funkverbindung zur Landesonde Chang’e 6 aufrechtzuerhalten. Eine direkte Funkverbindung zur Erde ist vom Landeplatz von Chang’e 6 auf der erdabgewandten Seite des Mondes nicht möglich; deshalb wird Queqiao 2 benötigt. Chang’e 6 hat am 3. Mai ebenfalls einen perfekten Start hingelegt und ist am 1. Juni erfolgreich im südlichen Teil des Apollo-Kraters auf der erdabgewandten Seite des Mondes gelandet. Der Rückstart mit Bodenproben gelang, 1935 Gramm Mondgestein an Bord der Rückkehrkapsel erreichten die Erde am 24. Juni 2024.
Mondlandungen sind nicht einfach …
Während Chinas Mondsonden – das waren, Orbiter und Lander zusammengerechnet, bislang zwölf Stück – fast alle ein voller Erfolg waren, sind im Westen und in Russland die Resultate der neuen Welle von Mondflügen eher durchwachsen.
Die israelische Landesonde Beresheet stürzte im Februar 2019 wegen eines Triebwerkversagens beim Abstieg auf die Mondoberfläche ab. Nur wenige Monate später teilte Indiens Chandrayaan 2 das gleiche Schicksal. Grund war dieses Mal ein Softwareproblem. Der japanische Lander Hakuto-R stürzte im April 2023 genauso ab wie die russische Luna 25 im darauf folgenden August. Auch in diesen beiden Fällen waren die Software oder ihre Programmierer schuld.
Der Lander Peregrine von Astrobotic erreichte Anfang des Jahres erst gar nicht den Mond, denn ihn ereilte sein Schicksal schon kurz nach der Trennung von der Trägerrakete. Ein Ventil blieb stecken, und der Druck im Treibstofftank stieg so hoch, dass es zu einem Leck kam und eine große Menge Treibstoff in den Weltraum entwich. Somit war eine weiche Mondlandung ausgeschlossen.
Beim japanischen SLIM-Lander (kurz für Smart Lander for Investigating Moon) schien zunächst alles nach Plan zu laufen, doch nur wenige Meter vor dem Erreichen des Mondbodens brach die Düsenverlängerung eines der beiden Landetriebwerke ab. Dadurch verlor die Sonde die Kontrolle über die Fluglage und purzelte kopfüber ins Gelände. Eine der Folgen dieses Missgeschicks war, dass der Solargenerator von der Sonne abgewandt blieb (siehe »Auf den Kopf gefallen«). Dennoch ließ sich die Mission teilweise retten. Die Sonde konnte dank der Bordbatterien zunächst für einige Stunden betrieben werden. Danach verabschiedete sich SLIM wegen Strommangels. Kurz vor dem geplanten Missionsende – die Sonne war in der Zwischenzeit über den Horizont gewandert – war dann doch noch für eine kurze Zeit Energie verfügbar. Japan wurde damit zur fünften Nation nach der Sowjetunion, den USA, China und Indien, der es glückte, eine Sonde zumindest halbwegs weich auf dem Mond zu landen. Und dann geschah auch noch ein kleines Wunder, denn es war möglich, SLIM nach den kalten 14-tägigen Mondnächten zweimal wieder aufzuwecken und die Instrumente wieder in Betrieb zu nehmen.
Am 23. Februar gelang den USA mit der Mission IM-1 von Intuitive Machines ebenfalls so etwas Ähnliches wie eine Landung auf dem Mond. Allerdings war der Missionskontrolle selbst eine Viertelstunde nach dem geplanten Aufsetzzeitpunkt nicht klar, ob ihr Gerät erfolgreich gewesen war, denn zunächst konnte keine Funkverbindung aufgebaut werden (siehe »So war es geplant«). Schließlich bekamen die Ingenieure auf der Erde doch noch einen Kontakt, allerdings viel schwächer als erhofft. Der Grund: Auch die US-Sonde war bei der Landung umgekippt – dieses Mal nicht wegen eines Triebwerkschadens, sondern wegen einer Kombination aus zu hoher seitlicher und vertikaler Geschwindigkeit beim Aufsetzen.
Ironie des Schicksals: Die japanische Raumfahrtbehörde JAXA hatte ursprünglich ihren SLIM-Lander genauso topplastig entworfen wie Intuitive Machines ihre Sonde IM-1. Das hohe Gerät mit dem schmalen Kranz aus Landebeinen sah schon rein optisch recht kippelig aus. So kamen den japanischen Ingenieuren bald Zweifel, ob das Verhältnis von Höhe des Landers zur Breite des Landegestells stimmen konnte, und sie konstruierten SLIM so um, dass er eine Landung in Seitenlage durchführen sollte. Aber am Ende half alles nichts: SLIM endete dennoch kopfüber im Mondstaub.
So richtig erfolgreich, mit einer wirklich perfekten Landung, war im August 2023 ausgerechnet der Außenseiter Indien mit dem Lander Chandrayaan 3 und dem kleinen Rover mit dem Namen Pragyan.
Die Rallye unbemannter Mondsonden geht auch in diesem Jahr munter weiter. So steht im Herbst der Lander Blue Ghost der Firma Firefly auf der Startrampe. Er soll mit einer Falcon-9 von SpaceX starten, denn Fireflys eigene Trägerrakete, die Alpha, ist dafür nicht leistungsstark genug. Im September 2025 soll der Griffin-Lander von Astrobotic auf die Reise gehen, auch er mit Hilfe von SpaceX und einer Falcon Heavy als Träger. Allerdings wurde der Mondrover VIPER, der mit Griffin zum Mond fliegen sollte, wegen überschießender Kosten von der NASA eingestellt.
Im Jahr 2025 geht dann ein zweiter Lander von Intuitive Machines auf die Reise, gefolgt von der japanischen Mission Hakuto-R Nummer 2 und einer dritten IM-Sonde. Weitere robotische Landemissionen sind geplant.
Raumstationen und Weltraumteleskope
Verlassen wir nun den Mond, denn es gibt noch andere Raumfahrtziele: politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche. Auch hier werden in den kommenden beiden Jahren wichtige Weichen gestellt. Da gibt es beispielsweise den Wettbewerb um die kommerzielle Nutzung des Weltalls zwischen China und den USA. Dafür hat China seinen neuen Startplatz Wenchang erweitert und neue Startanlagen geschaffen. Dort sollen vor allem Privatfirmen aller Art aufgenommen werden. Die erste der neuen Rampen ging im Juni 2024 in Betrieb. Um das Ereignis gebührend zu feiern, wird die Anlage mit dem Jungfernflug einer neu entwickelten Rakete eingeweiht: die Langer Marsch 12. Sie ist Chinas jüngster Träger der Mittelklasse. Leistungsmäßig ist sie zwischen der russischen Sojus 2 und der Falcon-9 von SpaceX angesiedelt.
Eine Mischung aus Prestige und Wissenschaft ist das Weltraumteleskop Xuntian, das Ende 2024 oder Anfang 2025 in eine Umlaufbahn geschickt wird, die genau jener der Raumstation Tiangong entspricht. Damit will sich die chinesische Raumfahrtagentur einige der Probleme ersparen, die sich die NASA mit der Wahl der Umlaufbahn ihres Weltraumteleskops Hubble eingehandelt hat. Das befindet sich nämlich auf einem Kurs, auf dem es von der ISS aus nicht erreichbar ist. Die Bahnneigung ist wesentlich niedriger, die Bahnhöhe dafür größer als diejenige der Station. Obendrein hat Hubble kein eigenes Antriebssystem, und generell war es für die Wartung vom Spaceshuttle aus konstruiert, das aber seit dem Jahr 2011 nicht mehr fliegt.
Chinas Weltraumteleskop Xuntian ist da schlauer konzipiert: Es fliegt nicht nur auf derselben Bahn wie Tiangong, sondern verfügt auch über ein eigenes Antriebssystem. Damit wird es in der Lage sein, die chinesische Station anzusteuern und dort anzulegen. Hier kann es gewartet werden, man kann alte Instrumente entfernen und neue einbauen.
Und weil wir gerade bei Chinas Raumstation sind: Derzeit nehmen die Pläne Chinas, die nationale Raumstation Tiangong zu vergrößern, Gestalt an. Diese Zusatzmodule sind bereits alle vorhanden. Es handelt sich um die Reserveeinheiten der bisherigen Station, die nur noch für den neuen Einsatzzweck modifiziert werden müssen.
Was planen Indien und Japan?
Auch für Indiens Raumfahrt sind die kommenden Jahre entscheidend. Die wenigsten Menschen im Westen wissen, dass Indien ein eigenständiges astronautisches Raumflugprogramm betreibt. Das System trägt die Bezeichnung Gaganyaan (Sanskrit für »Himmelsfahrzeug«). Bislang ist kein indischer Astronaut in den Orbit geflogen, aber benannt sind Indiens zukünftige Raumflieger bereits. Derzeit arbeitet sich die nationale Raumfahrtagentur ISRO systematisch durch ihre Acceptance-Tests und ihre Versuchsflugliste. Zuletzt gab es am 21. Oktober 2023 einen spektakulären und sehr erfolgreichen Erprobungseinsatz für das Crew-Rettungssystem (siehe »Die indische Rettungsrakete beim Teststart«). Drei weitere Versuche damit, unter wechselnden Bedingungen, sollen in diesem Jahr noch folgen.
Die Kapsel weist, zusammen mit dem Servicemodul, ein Gesamtgewicht von 8200 Kilogramm auf. Sie ist für bis zu drei Raumfahrer ausgelegt und wird zunächst insgesamt dreimal ohne Crew erprobt. Der erste dieser Testflüge trägt die Bezeichnung LVM3 G1 und soll noch in diesem Jahr stattfinden. Gegen Ende nächsten Jahres soll dann der erste Einsatz mit Crew erfolgen, bei dem zwei indische Raumfahrer drei bis sieben Tage im Orbit bleiben sollen.
Geht das Programm weiter erfolgreich voran, dann sind die künftigen Pläne Indiens in der astronautischen Raumfahrt schon abgesteckt. Der nächste Schritt wird eine kleine, zunächst nur zeitweise besetzte Raumstation sein, gefolgt von einem dauerhaft betriebenen Außenposten. Auch robotische Probenrückführmissionen und sogar bemannte Mondexpeditionen stellte Premierminister Narendra Modi den Indern in Aussicht. Der erfolgreiche Mondlander Chandrayaan 3 vom 14. Juli 2023 war da nur der erste Vorbote kommender Ereignisse.
Japans neue Trägerrakete, die H3, absolvierte im Februar 2024 eine erfolgreiche zweite Mission. Der erste Testflug war im März 2023 noch gescheitert, weil das Triebwerk der zweiten Stufe nicht gezündet hatte. Es dauerte also elf Monate, bis der Flug wiederholt werden konnte.
Und Europas Weltraumpläne?
In diesem Zusammenhang war es eine Erlösung, dass der Erstflug der europäischen Trägerrakete Ariane 6 am 10. Juli weitgehgend erfolgreich war – denn etwa 50 Prozent aller Erstflüge scheitern. Vor allem im Hinblick auf Trägerraketen ist Europas Raumfahrt in desolatem Zustand. Der Zukunftsträger Ariane 6, war eigentlich schon beim Erstflug ein technologisches Auslaufmodell, sie ist trotz der wenig fortschrittlichen Technik fünf Jahre im Rückstand und weit über dem ursprünglich geplanten Budget. Bereits jetzt ist absehbar, dass die Rakete für ihren Betrieb massive Subventionen von Seiten der ESA benötigt. Man spricht von 340 Millionen Euro pro Jahr – und das nur für die Aufrechterhaltung der Flugbereitschaft, nicht für die Durchführung von Einzelmissionen. Die werden europäische Institutionen, die verpflichtet sind, diesen europäischen Träger zu nutzen, mit Startkosten weit oberhalb der Weltmarktpreise bezahlen müssen. Die europäischen Kleinträger, von denen die meisten eigentlich seit dem Jahr 2022 fliegen sollten, sind ebenfalls noch Jahre von ihrer Einsatzreife entfernt. Einige wenige von ihnen dürften in diesem Jahr gerade mit ihren ersten Testmissionen beginnen.
Und um das Thema astronautische Raumfahrt drückt sich Europa schon seit Jahrzehnten herum, ohne dabei jemals zu Potte zu kommen. Nun hofft die Europäische Weltraumorganisation bei der ESA-Ministerratskonferenz im Herbst 2025 auf eine positive Weichenstellung. Ich fürchte nur, das Ergebnis wird sein wie immer: der lauwärmste Kompromiss. Ausrichter dieser Konferenz ist das ambitionslose Deutschland. Man wird sich wahrscheinlich wieder einmal für ein automatisches Transportsystem entscheiden – das man mit dem ATV-Transportraumschiff vor vielen Jahren schon einmal hatte – und dazu eine vage Erklärung abgeben, dieses Vehikel dann irgendwann einmal in ferner Zukunft für den astronautischen Betrieb aufzurüsten. Im Grunde ist es aber sowieso egal. Bei irgendwem können wir Europäer – hoffentlich – für teures Geld schon mitfliegen, sei es bei SpaceX, bei Axiom Space, in China oder mit dem indischen Raumschiff.
Unabhängig davon gibt es jedoch einen kleinen Lichtblick für dieses Jahr: Die ESA will im Oktober die Raumsonde HERA (siehe »Die Asteroidensonde HERA«) zum Doppelasteroiden Didymos/Dimorphos starten, allerdings mangels eigener Startkapazitäten auf einer Rakete von SpaceX.
Ausblick auf die nächsten Monate
Ursprünglich sollte diesen Sommer das neueste Raumtransportsystem der USA seinen Jungfernflug antreten: der Dream Chaser von Sierra Space. Das nun erst im nächsten Jahr startende Exemplar wurde auf den Namen Tenacity (Beharrlichkeit) getauft (siehe »Der Raumfrachter Dream Chaser von Sierra Space«). Das Vehikel ist ein geflügelter Minishuttle, der zwar ganz konventionell an der Spitze einer Trägerrakete (Vulcan) startet, aber ähnlich wie der vor 13 Jahren aufgegebene Spaceshuttle antriebslos auf der Rollbahn eines Flughafens landen wird. Das ist vor allem für empfindliche Nutzlasten, die von der ISS zur Erde transportiert werden, von Vorteil, wie zum Beispiel in Schwerelosigkeit gezüchtete Proteinkristalle. Diese können dann schon Minuten nach der Landung ins Labor.
Eine bedeutende wirtschaftliche Weichenstellung für die Zukunft der Raumfahrt ist die sich gerade abzeichnende Fusion der Raumfahrtfirma Blue Origin von Jeff Bezos mit der United Launch Alliance (ULA). Zum Zeitpunkt, zu dem diese Zeilen entstanden, war das aber noch nicht in trockenen Tüchern. Zusammen würden sie dann ein Gegengewicht zum derzeit absoluten Marktführer SpaceX bilden. Da ist es interessant, dass diese beiden derzeit noch einzelnen Unternehmen in diesem Jahr jeweils eine neue Trägerrakete an den Start bringen. ULA die Vulcan mit ihrem erfolgreichen Erstflug am 8. Januar dieses Jahres und Blue Origin die New Glenn, die auch noch in diesem Jahr, spätestens aber Anfang 2025 seinen Erstflug absolvieren soll. Die Vulcan tritt in der – je nach Version – mittleren bis oberen Mittelklasse an (siehe »Die Vulcan-Rakete vor der Premiere«). Die New Glenn ist ein Großträger und wird nach ihrer Indienststellung zu den fünf größten Trägerraketen der Welt gehören.
In der astronautischen Raumfahrt wird sich in den kommenden beiden Jahren die starke Zunahme der Aktivitäten weiter fortsetzen. Allein für dieses Jahr sind mindestens neun Missionen zu erwarten. Eingesetzt werden dabei die Crew Dragons von SpaceX, die Shenzhou-Raumschiffe Chinas, die Sojus-Kapseln Russlands und – nach langen Entwicklungsverzögerungen – erstmals auch der Starliner von Boeing (siehe »Testflug mit Crew«). Bei einem dieser Flüge (Axiom-3 mit einem SpaceX Crew Dragon) waren mit Marcus Wandt auch ein ESA-Astronaut und mit Walter Villadel ein Raumfahrer aus Italien mit an Bord. Bezahlt hat den Einsatz von Wandt aber die nationale schwedische Raumfahrtagentur und den von Villadel die italienische Luftwaffe.
Die vielleicht interessanteste astronautische Mission dieses Jahres ist Polaris Dawn, ein von dem Milliardär Jared Isaacman privat organisierter Flug mit massiver Unterstützung durch das Raumfahrtunternehmen SpaceX. Isaacman flog bereits bei der Mission Inspiration 4 im September 2021 in den Orbit. Er und seine drei Mitflieger, darunter zwei Frauen, werden in einem Dragon-Raumschiff mehrere Tage im Erdorbit verbringen. Während des Fluges soll versucht werden, den bisherigen Höhenrekord für astronautische Erdorbitmissionen zu brechen; dieser steht seit Gemini 11 im Jahr 1966 bei einer Höhe von 1368 Kilometern. Erstmals soll bei diesem Einsatz eine rein private Crew auch ein Außenbordmanöver durchführen. Allerdings ist derzeit nicht bekannt, wann die Mission starten soll, denn wegen eines Fehlstarts der Falcon 9 am 11. Juli 2024, bei dem die Oberstufe versagte, sind für mehrere Monate wohl keine Starts möglich.
Jared Isaacman hat der NASA übrigens angeboten, mit einer Dragon-Raumkapsel eine Mission zur Anhebung der Flugbahn des Hubble Space Telescope durchzuführen. Dessen Umlaufbahn hat sich nämlich über die Jahre durch die Restreibung der Erdatmosphäre bedenklich abgesenkt, was dazu führen könnte, dass Hubble schon vor seinem technischen Ende den Dienst einstellen muss. Mit den Triebwerken der Dragon soll dann die Bahn von Hubble angehoben werden. Diese Rettungsmission will Isaacman der NASA schenken – auch etwas völlig Neues in der Raumfahrt!
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.