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Genetic Privacy: Wem gehören meine Gendaten?

Erbgut sequenzieren wird immer einfacher. Schon bald, erwarten Fachleute, wird es von uns allen Gendaten geben. Was das bedeutet, ist noch weitgehend unklar.
Ethernet-Kabel gehen über in einen stilisierten DNA-Strang

»Wir werden alle irgendwann sequenziert werden«, sagt David Goldstein, Professor am Institute for Genomic Medicine an der Columbia University. »Die Frage ist nur, für was man diese Daten verwendet.« Über Big Data im Allgemeinen diskutiert man schon lange kontrovers, beim menschlichen Erbgut redet niemand darüber. Im »Digital-Manifest«, das die Verwendung von Daten kritisch beleuchtet, finden sich die Worte »Genom« und »DNA« kein einziges Mal. Dabei wünschen sich viele Unternehmen Zugriff gerade auch auf die Daten des menschlichen Genoms. Wenn ich weiß, dass jemand ein genetisches Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten hat, dann kann ich ihm doch schon frühzeitig Turnschuhe, Wanderstöcke oder Medikamente anbieten.

Wer unser Erbgut studiert, so glaubte man einst, der würde bald alles wissen. Wir würden verstehen, wie der Mensch aufgebaut ist, warum er krank wird, wie er wieder gesund wird. Unter dieser Prämisse hatte man das Human Genome Project gestartet: um erstmals ein gesamtes menschliches Genom zu sequenzieren. Die Reihenfolge der vier Basen des genetischen Codes zu bestimmen, in dem, wie Bill Clinton sagte, »Gott das Leben kreiert« hat.

»We don't know a shit«, sagte dagegen der Leiter des Human Genome Project Craig Venter in Anbetracht des molekulargenetischen Kauderwelsches. Doch dabei wird es nicht bleiben. Seither wurde die Sequenzierungstechnologie schneller und günstiger – und die neuen Genomprojekte immer ambitionierter: Erst sollten 1000 Genome sequenziert werden, dann 10 000, dann 100 000.

Schon jetzt kann man allerdings viele Details aus dem Genom ablesen – die aber scheinen vielen Menschen noch keine kritischen Informationen zu sein. Viele schicken heute ihre DNA-Proben aus Spaß oder purer Neugier an Unternehmen, die ihr Erbgut analysieren. 23andme ist der bekannteste Anbieter, aber bei Weitem nicht der einzige. iGenea assoziiert Menschen mit »Urvölkern« – gemeint sind Kelten, Wikinger und Juden – und Ursprungsregionen. Kunden erhalten »zeitlich unbeschränkten Zugang zur weltweit größten DNA-Herkunftsanalyse-Datenbank«, um ihre »Herkunft noch genauer zu erforschen«.

Die neuen Gen-Geschäftsmodelle

Die Seite wirbt mit emotionalen Geschichten von Kunden, welche durch die Ergebnisse des Tests unbekannte Verwandte fanden. Ähnliche Dienste bietet FamilyTreeDNA. Dort kann man sogar direkt einen Nachnamen eingeben und bekommt öffentlich genetische Daten der Namensträger ausgeliefert. Ebenso bieten in China spezialisierte Firmen seit Neuestem genetische Tests an. Bei WuXi Nextcode können sich Chinesen auf genetische Erkrankungen und Krankheitsrisiken testen lassen. Ein spezieller Test richtet sich an Paare mit Kinderwunsch, die sich auf erbliche Erkrankungen untersuchen lassen wollen. Gleichermaßen sammeln Forschungsinstitute komplette Genome und teilen diese untereinander. Das Problem: Genetische Daten sind niemals vollständig anonymisierbar.

Wenn Politiker sagen, »Daten sind das neue Öl«, dann meinen sie schnelle Datendienste und Anwendungen wie Google Maps, die das Leben einfacher machen. Datenschützer sehen zwar die Vorteile, warnen aber auch vor den Folgen. Analog haben fossile Brennstoffe für uns heute weit reichende, negative Folgen, die zu Beginn der Nutzung nicht in Betracht gezogen wurden. Datenschützer berufen sich daher auf das grundgesetzlich garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung und warnen vor dem »gläsernen Bürger«, über den Staaten und Unternehmen alles herausfinden können.

So erhalten Anbieter wie 23andme oder ancestry regelmäßig Anfragen von der Polizei, die DNA bestimmter Personen herauszugeben. Die Firmen zeigen sich kooperativ. Wenn die Polizei es erlaubt, informiert 23andme die fraglichen Personen sogar über die Aushändigung ihrer Daten. So kann es leicht zu falschen Verdächtigungen kommen. Es gibt bereits einen Fall, bei dem ein Mann nur deswegen verdächtigt wurde, weil sein Vater sich bei einer privaten Gendatenbank registriert hatte. An einem Tatort fand man DNA von einem Verdächtigen, der ein ähnliches Profil wie der Vater besaß, also wahrscheinlich mit ihm verwandt war. Der Verdacht fiel nachgerade zwangsläufig auf den Sohn des DNA-Spenders – der jedoch konnte den Vorwurf entkräften.

In einem anderen Beispiel ließ ein adoptierter Mann, der seine biologische Verwandtschaft nicht kannte, seine DNA testen. Die Firma fand einen Verwandten, einen Cousin, der ihn mit seinem Vater bekannt machte. Eine schöne Geschichte? Vielleicht. Vielleicht wollte der Vater mit seinem Sohn aber auch nichts zu tun haben. Welches Recht haben Kinder und Eltern oder Verwandte darauf, ihre Familie zu kennen?

Es gibt kein Entkommen!

Doch nicht nur Verwandtschaft lässt sich über das Genom bestimmen. Auch Informationen über nicht genetische Eigenschaften lassen sich abgreifen. Lange gab es keine oder nur sehr wenige interreligiöse Verbindungen, so dass man heute anhand der unterschiedlichen Genetik Menschen religiösen Gruppen und sogar den indischen Kasten zuordnen kann. Erstarkender Antisemitismus, Rassismus und Separatismus könnten mit der Genomsequenzierung noch schlimmer werden. Möchte man sich wirklich ausmalen, wie schlimm ein Holocaust, die Apartheid oder andere Verfolgungen bestimmter Gruppen heute wären, wenn man mit Hilfe der DNA ganz genau die Abstammung auslesen kann?

Gensequenzierung | Mit modernen Typisierungs- und Sequenzierungsverfahren werden immer mehr Daten über menschliches Erbgut verfügbar.

Das ist längst keine reine Sciencefiction mehr. Kuwait hat als erstes Land angekündigt, an seinen Grenzen DNA-Tests zur Bekämpfung von Terrorismus einzuführen. Der Terrorismusbekämpfung sei dies aber gar nicht dienlich, vermutet Olaf Rieß, Präsident der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik. Stattdessen ginge es eher darum, die Beduinen, ein nomadisches Volk, aus dem Land herauszuhalten. Diese zahlten keine Steuern und seien der Regierung schon lange ein Dorn im Auge. Bei Diplomaten und Amtsträgern könne man durch die zwingenden Tests an der Grenze auch eventuelle Verwandtschaftsverhältnisse überprüfen. In der konservativen kuwaitischen Gesellschaft wäre ein uneheliches Kind für den Vater ein Skandal und hätte noch schlimmere Folgen für die Mutter.

Wer glaubt, es würde genügen, sich von solchen Tests fernzuhalten, unterliegt einem schweren Irrtum. Unsere DNA gehört nicht allein uns selbst. Wir teilen sie mit unseren Eltern, Kindern, Geschwistern. Lassen Sie Ihre DNA irgendwo testen, wird man auch etwas über Ihre Verwandten erfahren. Außerdem verlieren wir unsere DNA jeden Tag in rauen Mengen. Sie klebt an unserer Zahn- und Haarbürste, sie ist im Blut im Pflaster, welches wir achtlos wegwerfen, sie ist an dem Glas, aus dem wir eben getrunken haben, sie ist in unseren Ausscheidungen genauso wie im Sperma oder Vaginalsekret. Es ist ein leichtes, sich fremde DNA zu beschaffen. Eine Recherche von Peter Aldhous und Michael Reilly beim »New Scientist« ergab, dass man problemlos das genetische Material Dritter ohne deren Einverständnis sequenzieren lassen kann. Die Anbieter solcher Dienste schreiben zwar vor, dass der Probeneinsender die rechtliche Autorität dafür haben müsse, können dies jedoch kaum überprüfen.

Ist Widerstand zwecklos?

Die Kontrolle über die eigenen Gendaten kann man aber auch ganz legal verlieren. Im Jahr 2015 kaufte Genentech 23andme 800 000 Kundendaten ab, um damit Parkinsonforschung zu betreiben. Die Kunden hatten vorher dem Verkauf der Daten zugestimmt – doch konnten sie die Möglichkeiten, die durch die Nutzung dieser Daten entstehen, abschätzen?

»DNA-Daten sind ein schwieriges Themenfeld für die Abwägung von Nutzen und Risiken«, sagt Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs. »Es ist selbst für Experten kaum möglich zu beurteilen, welche langfristigen Folgen die Verwendung dieser Daten haben kann. Einerseits ermöglichen sie neue Ansätze, etwa in der personalisierten Medizin. Andererseits ist unser Wissen über die tatsächlichen Wirkungsweisen von Gen-Netzwerken noch so unvollständig, dass Vorhersagen über zukünftige Nutzung schwer möglich sind.«

Doch nicht nur genetische Profile werden angelegt. Für diverse Studien wird sehr viel biologisches Material gesammelt, das theoretisch einmal sequenziert werden könnte. In Deutschland setzt man bei der landesweiten NAKO-Gesundheitsstudie auf intensive Aufklärung. Dort werden in großer Zahl biologische Proben gesammelt und für die Dauer der Studie, 20 bis 30 Jahre, aufbewahrt. »Die eingelagerten Proben werden vorläufig nicht für DNA-Analysen verwendet. Momentan wird in Erwägung gezogen, im Rahmen von gesondert finanzierten Projekten DNA-Analysen durchzuführen«, erläutert Prof. Dr. Karl-Heinz Jöckel, Vorstandsvorsitzender der NAKO. »In der Einwilligungserklärung werden die Teilnehmer ausdrücklich auf eine eventuelle zukünftige Verwendung der Bioproben zu Wissenschaftszwecken hingewiesen. Dies wird auch in einem ausführlichen Aufklärungsgespräch vermittelt«, so Jöckel.

Die deutsche Knochenmarkspenderdatei DKMS hat ebenfalls eine Menge biologische Proben, die viele Menschen mit der Absicht einschicken, Menschen mit Leukämie die Chance auf ein neues Leben zu bieten. Potenziell ließen sich hier enorme Mengen Gendaten gewinnen – womöglich noch in Jahrzehnten. »Wie lange die Speichelproben aufbewahrt werden, hängt letztlich auch von der Registrierung des Spenders ab«, erklärt Ralf Neumann, der Datenschutzbeauftragte des DKMS. »Die Proben werden pseudonymisiert im Labor aufbewahrt, und nur das DKMS kennt die personenbezogenen Daten des Spenders. Eine weiter gehende Untersuchung der Proben wäre zwar theoretisch möglich, ist aber von der vertraglichen Verpflichtung der Labore her nicht erlaubt beziehungsweise verboten, da es nicht mehr dem Zweck der Spendervermittlung dienen würde.«

»Grundsätzlich ist durch die bestehenden gesetzlichen Vorschriften dem derzeit absehbar größten Risikofeld – der Diskriminierung und Benachteiligung auf Basis bestimmter DNA-Konfigurationen – relativ gut vorgebeugt«, beurteilt Frank Rieger die Aufbewahrung der Gen-Proben in Deutschland. »Es ist gut, wenn regulatorisch bedacht vorgegangen wird und Missbrauchsmöglichkeiten kritisch betrachtet werden. Es gibt hier kein Patentrezept, nur eine fortwährende Betrachtung des Stands der Technik, der daraus resultierenden Risikopotenziale und der daraus resultierenden Notwendigkeit zur zügigen Anpassung der Regulierung und gesetzlichen Vorschriften.«

Zwischen Chancen, Gefahren und Geschäft

Interessant sind solche Daten für Versicherungen und Arbeitgeber, die ihr wirtschaftliches Risiko minimieren wollen. Bislang findet man durch die Genanalyse vor allem monogenetische Krankheiten, die von einem einzelnen defekten Gen ausgehen. Dazu gehören zum Beispiel Chorea Huntington oder Cystische Fibrose. Auch einige seltene Krebsarten sind mit einem bestimmten Gen assoziiert, zum Beispiel der erbliche Brustkrebs. Weit mehr im Vordergrund für die großen Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs steht der persönliche Lebenswandel und der Pechfaktor. Nichtsdestoweniger: Wer weiß, ob in Zukunft nicht doch bislang unbekannte Vorhersagen getroffen werden können? Wer braucht schon Arbeitnehmer, die ständig krank sind?

Auch wer heimlich einen Vaterschaftstest machen will, könnte sich an ein privates Unternehmen wenden. Werdende Eltern könnten die DNA ihres entstehenden Kindes überprüfen, dafür reicht schon eine einzige Zelle.

Mit der Zeit werden weitere Anwendungen kommen, die wir jetzt noch nicht vorhersehen können. Derzeit arbeiten Forschende daran, aus forensischen DNA-Proben Täterprofile zu erarbeiten. Bei der vorhersagenden DNA-Analyse im Rahmen des EU-Projekts Visage unter der Leitung des Molekularbiologen Walther Parson sollen Fahnder künftig mittels DNA-Spuren ein Phantombild erstellen. Diese Methode ist jedoch fehleranfällig. Denn nicht alle Informationen über unser Aussehen befinden sich in der DNA: Alter und Umweltfaktoren prägen unsere DNA ebenso und sorgen dafür, dass bestimmte Gene nicht mehr aktiv sind. Ein einfaches Beispiel gibt Parson selbst: »Ich trage in meiner DNA zum Beispiel die Information, dass meine Haare dunkelbraun sind. Tatsächlich sind sie mittlerweile aber grau.«

Noch dürfen Forensiker keine Daten über Herkunft und Aussehen aus DNA-Proben entnehmen. Derzeit wird jedoch eine Aufweichung dieser Regelung diskutiert (Anm. d. Red.: Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt vor). Das birgt allerdings auch Risiken: Verunreinigte Proben, mutwillig deponierte manipuliertte Beweise und ungenaue Analysen könnten die Polizei auf die falsche Fährte führen. Trotzdem werden erste Rufe laut, die DNA-Profile aller Menschen in Deutschland zu erfassen.

Zu starker Schutz der genetischen Daten würde sowohl die Erforschung von Erkrankungen als auch die Aufklärung von Verbrechen behindern. Gleichzeitig schränkt eine Lockerung des genetischen Datenschutzes das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein und kann zu falschen Verdächtigungen führen. Für manche Anwendungen wird man abwägen müssen, ob das Recht auf Privatsphäre mehr wert ist als ein Menschenleben. Oder als hunderte.

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