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Energie: Wende in der Biospritpolitik?

Viele Wissenschaftler sprechen sich schon länger gegen den Einsatz von Kraftstoffen vom Acker aus. Nun könnte auch die Europäische Union eine Kehrtwende machen und ihre Biospritpolitik überdenken.
Zapfsäule

In den letzten zehn Jahren hat die Europäische Union viel investiert und eine 15 Milliarden schwere Industrie gepäppelt, die Biosprit aus Feldfrüchten wie Sojabohnen oder Zuckerrohr herstellt – in der Hoffnung, damit die Treibhausgasemissionen des Transportsektors zu senken. Gleichzeitig warnen seit mindestens fünf Jahren zahlreiche Wissenschaftler davor, dass viele Agrarkraftstoffe tatsächlich sogar noch mehr Kohlendioxid und andere klimawirksame Gase freisetzen könnten als fossile Energieressourcen.

Nun könnte die EU jedoch einen Richtungswechsel einschlagen und den Einsatz von Biokraftstoffen deckeln. Gleichzeitig droht aber Druck aus der Industrie und Landwirtschaft sowie von Energielobbyisten, diese Kehrtwende abzuschwächen. Gerade wird heiß diskutiert, wie viele und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Emissionen von Agrarkraftstoffen in die zukünftige europäische Politik einfließen – schließlich steht am 10. Juli eine Abstimmung in einem zentralen Parlamentsausschuss der EU an, in dem über die zukünftige europäische Gesetzgebung entschieden wird.

Europa fing 2003 an, die Entwicklung und den Verbrauch von Biosprit zu regeln. Die beiden jüngsten Gesetze aus dem Jahr 2009 fordern einen sechsprozentigen Rückgang der CO2-Bilanz des Transportwesens bis 2020; bis dahin muss ein Zehntel des Transportsektors auf erneuerbaren Energien laufen. Agrarkraftstoffe dürfen dazu beitragen, wenn sie mindestens ein Drittel weniger Emissionen als fossile Brennstoffe freisetzen; ab 2017 wird diese Anforderung auf 50 Prozent hochgeschraubt. Bislang stammt der größte Anteil des Biosprits von Feldfrüchten, die auch der Ernährung dienen könnten. Dadurch entstand eine blühende Biospritindustrie, die vornehmlich auf Biodiesel basiert. Europa importiert sogar Rapssamen und Pflanzenöle, um seinen Bedarf zu decken.

Der große Rechenfehler

Doch die ursprüngliche Rechnung zu den Emissionen der Agrarkraftstoffe war völlig falsch, erkannte der Umweltökonom Tim Searchinger von der Princeton University in einem einflussreichen Artikel im Jahr 2008. Zusammen mit seinen Kollegen bemerke er einen Verdrängungswettbewerb: Wenn Ackerland für Energiepflanzen genutzt wird, gerät bislang landwirtschaftlich ungenutzter Grund unter den Pflug, damit dort die verdrängten Feldfrüchte angebaut werden können. Letztendlich endet dies vielleicht im Kahlschlag von Wäldern oder der Umwandlung von Mooren und Sümpfen, die große Mengen Kohlenstoff speichern – und diese dann freisetzen. "Wenn man nur ein bisschen darüber nachdenkt, erscheint das sehr offensichtlich", so Searchinger.

Übersicht gängiger Kraftstoffe aus Pflanzenmaterial | Viele Agrarkraftstoffe schneiden in ihrer Ökobilanz miserabel ab, weil ihr Anbau wertvolle Lebensräume zerstört, enorme Düngermengen verschlingt oder mit der Nahrungsmittelproduktion konkurriert. Ökologisch wirklich wertvoll sind vor allem Treibstoffe, die aus der Verwertung organischer Reststoffe gewonnen werden.

Diesen indirekten Landnutzungswandel (indirect land-use change, ILUC) einzubeziehen, ist alles andere als trivial, denn schließlich basieren die Berechnungen auf ökonomischen Modellen, die 10 bis 20 Jahre voraussehen müssen. Die Zahlen unterscheiden sich zudem von Pflanze zu Pflanze: Unter Einbezug von ILUC erhalten Ölpalmen, Soja, Raps und Sonnenblumen die schlechtesten Werte. Prinzipiell produzieren die meisten Biodieselvarianten mehr Emissionen als Bioethanol – und in vielen Fällen schneiden sie sogar schlechter als fossile Brennstoffe ab.

Dieser Effekt wischt mit einem Handstreich mehr als zwei Drittel der Kohlendioxideinsparungen weg, die sich die europäische Politik mit der Umsetzung ihrer Regeln zur erneuerbaren Energie bis 2020 versprochen hatte, sagt David Laborde vom International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington – ein Institut, das bereits mehrere einflussreiche Berichte für die Europäische Kommission verfasst hat. Die Umweltbehörde der Vereinigten Staaten bezieht die Landnutzungseffekte seit 2010 in ihre Bewertungen mit ein. Zum Glück für die Farmer erhielt Ethanol aus Mais – der wichtigste Agrarkraftstoff des US-Fahrzeugmarkts – von der Behörde grünes Licht. Die Europäische Kommission zog jedoch wegen des starken Widerstands der Biotreibstoffindustrie und aus der Landwirtschaft den Kopf ein.

Im Oktober 2012 schlug die Kommission schließlich vor, dass Treibstoffe aus Feldfrüchten bis 2020 nur fünf Prozent Anteil im Transportsektor haben sollten – die Hälfte des ursprünglichen Ziels von zehn Prozent. Damit sollten bestehende Produktionsanlagen ihre Investitionen zwar wieder erwirtschaften können, doch keine weitere Expansion mehr stattfinden. "Meiner Meinung nach haben sie völlig richtig gehandelt: Die einzige richtige Antwort lautet 'stopp!'", sagt Searchinger. Der EU-Vorschlag sieht nicht vor, dass – basierend auf den Landnutzungsstatistiken – ein Agrarkraftstoff dem anderen vorgezogen würde. Aber die Produzenten müssten die Abschläge, die das IFPRI berechnet hat, in ihre Kalkulationen einfließen lassen, wenn sie der EU vom gesamten Treibhausgasausstoß ihrer Erzeugnisse berichten – ein Hinweis darauf, dass die zukünftige offizielle CO2-Bilanz des europäischen Transportwesens wohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt.

Der Kampf beginnt

Im Europäischen Parlament beginnt nun der Kampf um die Vorschläge der Kommission. Am 20. Juni votierte der Energieausschuss dafür, den gedeckelten Agrarkraftstoffanteil auf 6,5 Prozent leicht zu erhöhen. Außerdem kippte er die Klausel, dass die Produzenten ihre Emissionen inklusive der Landnutzungsänderungen berichten müssen. Stattdessen schlug das Komitee vor, nach und nach steigende, verpflichtende Anteile an Biosprit der zweiten Generation einzuführen – diese werden zum Beispiel aus Pflanzenabfällen oder Zellulose und nicht aus potenziellen Lebensmitteln gewonnen.

"Die Wissenschaft hinter ILUC ist nicht solide genug für die Politik", erklärt Clare Wenner von der UK Renewable Energy Association in London. Die Gemeinsame Forschungsstelle (JRC) der Europäischen Union betont allerdings, dass die Modelle, mit denen die Folgen der Landnutzungsänderungen berechnet werden, genauso zuverlässig sind wie die anerkannten Forschungsarbeiten zu den direkten Emissionen der Agrarkraftstoffe. Deshalb drängt das JRC darauf, dass die IFPRI-Modelle ebenfalls berücksichtigt werden. Der Umweltausschuss stimmt am 10. Juli über die von ihm bevorzugte Politik ab: Die leitende Verhandlungsführerin Corinne LePage stimmt mit dem JRC überein und drängt darauf, die Landnutzungsänderungen in die CO2-Bilanz einfließen zu lassen, damit man besser zwischen guten und schlechten Agrarkraftstoffen unterscheiden könne. Doch ob sie sich durchsetzt, ist nicht sicher.

Die Auseinandersetzung endet ohnehin noch nicht: Das EU-Parlament stimmt über das Thema erst im September ab und beruft sich dabei weit gehend auf die Empfehlungen des Energie- und Umweltausschusses. Im nächsten Schritt müssen sich die europäischen Energieminister auf einen gesetzlichen Kompromiss einigen. Verschiedene Länder wie Großbritannien, die Niederlande und Dänemark möchten Landnutzungsänderungen mit aufnehmen, während vornehmlich mittel- und osteuropäische Staaten mit starker Biospritlobby dagegen sind. Obwohl die Abstimmung diesen Monat die groben Linien der zukünftigen Politik festlegt, wird vor 2014 nichts endgültig entschieden. Dann könnten die Europawahlen im Mai die Verhandlungen wieder auf null zurücksetzen. "Es ist zum Haareraufen kompliziert", beklagt Wenner.

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