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News: Weniger ist mehr

Die Weibchen von Stichlingen lassen sich nicht mit jedem Männchen ein. Durch die Wahl eines geeigneten Partners sorgen sie dafür, dass ihre Nachkommen über einen optimalen Immunschutz verfügen.
Camallanus lacustris
Unser Immunssystem kann Infektionskrankheiten nur nachhaltig bekämpfen, wenn körpereigene Moleküle die vom Krankheitserreger stammenden Eiweißbruchstücke binden können. Diese Moleküle des so gennannten Haupthistokompatibilitätskomplexes (major histocompatibility complex; MHC) zeigen die gebundenen Peptide den Abwehrzellen im Immunsystem, den T-Zellen, die dann wiederum die Erreger bekämpfen können.

Dieser Erkennungsmechanismus funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip: Zu jedem MHC-Molekül gibt es die passenden Peptide, und zu diesen MHC-Peptid-Kombinationen die passenden T-Zellen. Je mehr verschiedene MHC-Moleküle ein Mensch hat, desto mehr verschiedene Krankheitserreger kann sein Immunsystem erkennen und bekämpfen.

Tatsächlich gibt es in jeder Population Hunderte von verschiedenen MHC-Varianten, aber jeder Mensch hat nur einige wenige davon. Zwei Menschen haben meist bereits unterschiedliche Varianten, wodurch die bekannten Transplantationsprobleme entstehen. Diese enorme Vielgestaltigkeit der MHC-Moleküle ist einzigartig; ansonsten unterscheiden wir uns in unseren Genen sehr viel weniger voneinander.

Da die T-Zellen "fremd" von "selbst" unterscheiden, müssen jene T-Zellen frühzeitig aus der Immunabwehr aussortiert werden, die auf Eigenpeptide reagieren. Gelingt dies nur unzureichend, können Autoimmunkrankheiten entstehen, bei denen das Immunsystem körpereigene Stoffe als fremd einstuft und deshalb bekämpft. Mit einer höheren Anzahl an MHC-Varianten steigt also nicht nur die Wahrscheinlichkeit, fremde Peptide von Krankheitserregern zu binden, sondern auch das Risiko, dass mehr körpereigene Eiweißbruchstücke präsentiert werden, die T-Zellen als fremd einstufen würden. Solche T-Zelllinien werden in der frühen Entwicklung abgeschaltet.

Wer nun über zu wenige unterschiedliche MHC-Moleküle verfügt, wird auch zu wenig verschiedene Krankheitskeime erkennen; wer zu viele verschiedene MHC-Moleküle hat, erkennt zwar viele verschiedene Keime, muss aber sein T-Zell-Repertoire so stark einschränken, dass er nur wenige davon bekämpfen kann. Die Evolutionsbiologen spekulierten daher, dass sich durch eine mittlere Anzahl verschiedener MHC-Molekülen pro Individuum ein zumindest auf der T-Zellebene optimaler Immunschutz einstellen lässt.

Bereits im Jahr 2001 hatten Wissenschaftler um Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön gezeigt, dass Dreistachelige Stichlinge (Gasterosteus aculeatus) in natürlichen Populationen meist über eine mittlere Anzahl von MHC-Varianten verfügen, und dass die Weibchen dies durch die geruchliche Selektion des immungenetisch passenden Partners erreichen. Jetzt wollten die Forscher wissen, ob diese mittlere Anzahl von MHC-Molekülen auch dem postulierten immungenetischen Optimum entspricht. Dazu haben sie mehr als einhundert im Labor erbrütete und parasitenfrei aufgezogene Nachkommen von sechs Stichlings-Elternpaaren gleichzeitig drei der häufigsten Parasitenarten aus dem Gewässer der Elterntiere ausgesetzt: dem Saugwurm Diplostomum spathaceum sowie den beiden Fadenwürmern Camallanus lacustris und Anguillicola crassus.

Tatsächlich waren Jungfische mit der in der Population häufigsten mittleren Anzahl von MHC-Moleküle von der geringsten Anzahl Parasiten befallen. Dagegen litten die Fische, die weniger verschiedene MHC-Moleküle aufwiesen, stärker unter Parasiten – ebenso wie jene Tiere, die über mehr MHC-Moleküle verfügten. Fische mit der optimalen Allel-Anzahl konnten darüber hinaus nicht nur die Parasiten am erfolgreichsten abwehren, sie hatten auch den besten Allgemeinzustand. Unter natürlichen Bedingungen werden diese robusten Fische, so vermuten die Forscher, auch mehr eigene Nachkommen erzeugen.

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